Es werden gewaltige Investitionen in der Stahlherstellung geplant.
von Dagmar Dieterle
Tata Steel plant 2045 klimaneutral zu sein. An seinen europäischen Produktionsstandorten in den Niederlanden und Großbritannien verfolgt der Stahlhersteller hierzu unterschiedliche Konzepte, die die jeweiligen Standortbedingungen optimal nutzen. Klar ist: Die Stahlherstellung wird sich grundlegend ändern. Doch wie kann dieser Wandel gelingen? Welche Investitionen und Infrastruktur sind nötig? Wir haben bei Henrik Adam, Vice President European Corporate Affairs der Tata Steel Limited, nachgefragt:
Welche Motivation treibt Tata Steel an?
Unser indischer Mutterkonzern Tata Steel hat angekündigt, dass er bis 2045 klimaneutral sein will. Das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel. In Europa haben wir zwei Produktionsstandorte, in den Niederlanden und in Großbritannien. In beiden Ländern befinden wir uns derzeit in Gesprächen mit den jeweiligen Landesregierungen, um Möglichkeiten der Unterstützung hiesiger Investitionen zu diskutieren. Die Gespräche konzentrieren sich in beiden Ländern sowohl auf Kapitalinvestitionen als auch auf gesetzliche Rahmenbedingungen im Energiebereich.
In Großbritannien haben wir es uns zum Ziel gesetzt, die schrottbasierte Stahlerzeugung zur bevorzugten Technologie der Zukunft zu machen. So wollen wir Nutzen daraus ziehen, dass Großbritannien eine herausragende Position als einer der größten Schrottexporteure auf dem internationalen Schrottmarkt hat. In den Niederlanden planen wir Kohle durch Wasserstoff zu ersetzen. Unsere Hochöfen, Kokereien und Gaswerke wollen wir komplett durch neue Anlagen ersetzen, in denen wir Wasserstoff und Eisenerz zur Herstellung von Stahl einsetzen.
marketSTEEL: Welche Investitionsbeteiligungen wünschen Sie sich?
Wir haben die große Chance, die Dekarbonisierung voranzutreiben, indem wir die Stahlindustrie transformieren und grüner machen. Und das ist unumgänglich, um das Net-Zero Ziel zu erreichen, das sich die europäischen Regierungen gesetzt haben. Diesen enormen Wandel und die komplette Umstellung unseres Stahlprozesses können wir allerdings nicht alleine stemmen.
Andere europäische Länder haben bereits finanzielle Unterstützung für die Dekarbonisierung ihrer Stahlindustrien zugesagt. In den Niederlanden und in Großbritannien brauchen wir gleiche Wettbewerbsbedingungen, um sicherzustellen, dass wir in Europa und weltweit nachhaltig wettbewerbsfähig bleiben.
marketSTEEL: Der Weg der CO2-Transformation ist bei Tata Steel klar strategisch definiert. Wie gehen Sie vor? Wo sehen Sie Handlungsbedarf?
Die Umstellung auf CO2-freien Stahl ist eines unserer wichtigsten strategischen Unternehmensziele, wenn nicht das wichtigste. Nur so bleiben wir wettbewerbs- und zukunftsfähig. Die Direktreduktion ist ein lang erprobtes Verfahren, allerdings ist vor allem der Maßstab der benötigten Elektrolysekapazität eine große Herausforderung. Wir haben viele talentierte und erfahrene Kollegen, die sich genau dieser Herausforderung stellen.
Andere Komplexitäten sehen wir in den regulatorischen Maßnahmen und der Unterstützung der nationalen und europäischen Regierungen. Hierfür müssen noch nachhaltige und wirtschaftliche Lösungsansätze gefunden werden. Des Weiteren wird die Verfügbarkeit von ausreichend grüner Energie, die damit verbundene Infrastruktur und wirtschaftliche Möglichkeiten Energie aus erneuerbaren Quellen längerfristig zu speichern, in den nächsten Jahren ein sehr wichtiges Thema.
marketSTEEL: Bei der Produktion grünen Stahls entsteht eine neue Wertschöpfungskette in bisher unbekannten Dimensionen.
Absolut, ja. Die Stahlproduktion ist ein großer Hebel in der Transformation vieler anderer Industriezweige. Unglaublich viele Bereiche durchleben aktuell einen Wandel, und das gilt vor allem für ihre Lieferketten. Nehmen wir als Beispiel das Endprodukt, in dem unser Stahl verwendet wird: Tata Steel Nederland hat bereits letzten Oktober eine Absichtserklärung mit Ford unterzeichnet. Hierdurch hat sich der Autobauer schon jetzt unseren grünen Stahl der Marke Zeremis gesichert, sobald wir diesen in IJmuiden in wenigen Jahren über die Wasserstoffroute produzieren.
Hier sehen wir sehr gut, wie wichtig Stahl in der Wertschöpfungskette vieler Endprodukte ist, damit auch Ford seine Nachhaltigkeitsziele erreichen kann. Weil der Bedarf für CO2-reduzierten Stahl so groß ist, haben wir im letzten Jahr auch Zeremis Carbon Lite auf den niederländischen Markt und Optemis Carbon Lite auf den britischen Markt gebracht. Damit können unsere Kunden schon jetzt einen Stahl verwenden, dem ein bis zu 90 Prozent reduzierter Kohlendioxid-Fußabdruck zugewiesen wird.
marketSTEEL: Wie gehen Sie beim Umbau der Werke zum „Grünen Stahl“ vor?
Für unser integriertes Werk in IJmuiden ist es unsere Präferenz, den kompletten Stahlfertigungsprozess bis 2030 umzustellen. Hierfür möchten wir in 2030 zwei Direktreduktionsanlagen und drei Elektroreduktionsöfen in Betrieb genommen haben. Dadurch würden wir zwischen 35 und 40 % unserer CO2-Emissionen einsparen.
Die Vorbereitungen dafür sind bereits im Gange. So haben wir zum Beispiel im August letzten Jahres mit drei Parteien Verträge über 65 Millionen Euro für die technischen Vorbereitungen der Wasserstoffroute abgeschlossen. Im Hinblick auf die Genehmigungen und Projektplanung sind wir in regem Austausch mit der Bundes- und Landesregierung. Darüber hinaus wollen wir auch unsere Anwohner und Interessensgruppen in den Planungsprozess miteinbeziehen. So wollen wir ihnen zum Beispiel die Möglichkeit bieten Feedback und Ideen für die Bauphase einzureichen. Dadurch möchten wir sicherstellen, dass Umweltbelastungen so gering wie möglich ausfallen
In Großbritannien laufen bereits zahlreiche Projekte an allen unseren Betriebsstandorten, um den Energieverbrauch zu senken, unsere CO2-Bilanz zu verbessern und unser Nachhaltigkeitsprofil zu schärfen. Diese Projekte sind bedeutsam und werden von unseren Kunden anerkannt. Allerdings ist ein grundlegender Wandel in der Technologie der Eisen- und Stahlerzeugung erforderlich, wenn wir die Net-Zero Ziele des Unternehmens erreichen wollen.
marketSTEEL: Das Thema Energie wird immer wichtiger. Wie sichern Sie sich die Energie?
Das stimmt, die Verfügbarkeit von ausreichend erneuerbarer Energie ist eines der wichtigsten Themen unserer Transformation. So werden wir in den Niederlanden sowohl für die lokale Wasserstoffproduktion als auch für die Elektrifizierung unseres Standorts circa 17 Terrawattstunden benötigen. Das ist ungefähr so viel Energie wie Berlin in einem Jahr verbraucht.
Dieses Beispiel zeigt sehr deutlich, dass einerseits die Verfügbarkeit von genügend grüner Energie immer wichtiger wird. Andererseits gilt das aber auch für deren Speicherung und die Stabilität des Stromnetzes sowie die Kosten und Finanzierungsmöglichkeiten. Das alles ist nicht zuletzt wichtig, um in Europa, aber auch auf dem globalen Markt, wettbewerbsfähig zu bleiben.
In den Niederlanden haben wir daher frühzeitig eine Vereinbarung mit dem nationalen Netzbetreiber TenneT getroffen, um einen Stromanschluss an das nationale Stromnetz zu erhalten. Über diesen Anschluss werden wir ungefähr ein Gigawatt zusätzliche Elektrizität beziehen können. Auch in Großbritannien benötigen wir auf dem Weg zu kohlenstofffreier Stahlerzeugung zwangsläufig immer größere Mengen an Strom. Und um unsere Net-Zero Ziele zu erreichen, ist es wichtig, dass dieser aus erneuerbaren Ressourcen erzeugt wird. Genau zu diesem Thema stehen wir im ständigen Dialog mit National Grid, dem größten Verteilernetzbetreiber Großbritanniens.
marketSTEEL: Wasserstoff wird immer wichtiger. Worauf setzen Sie hier?
Die Wasserstoffthematik ist neu und hat eine immense Dynamik. Es wird sehr wichtig die Herstellung von grünem Wasserstoff schnellstmöglich zu skalieren und ein solides Netzwerk für seinen Transport zu errichten. Die Anlagen in der von uns gewählten Route in den Niederlanden können zunächst auch mit Erdgas betrieben werden. Wir wollen allerdings so schnell wie möglich auf Wasserstoff umsteigen.
Dafür werden wir zwischen vier und fünf Gigawatt an erneuerbaren Energien brauchen. Diese können wir beispielsweise über die grüne Energie der geplanten Windparks in der Nordsee, über die geplante Wasserstoffinfrastruktur im Norden der Niederlande und auch über mögliche Importe aus anderen Ländern erhalten. Die Lage unseres Standorts in IJmuiden ist hierfür sehr günstig, da sie nah am Meer gelegen ist. Hier wurden bereits einige Windparks gebaut und weitere Projekte sind in der Ausführung.
Vielen Dank für das Gepräch
Foto: Tata Steel