Haftung des Arbeitgebers für Stress am Arbeitsplatz?

Der Autor hat zum Thema in der Zeitschrift DER BETREIB einen Fachaufsatz verfasst (Haftung des Arbeitgebers für Stress am Arbeitsplatz, DB 2016, Seite 1695). marketsteel.de fasst die wesentlichen Ergebnisse zusammen:

Einigkeit besteht heute darüber, dass beruflicher Dauerstress schädlich und der damit in manchen Fällen zusammenhängende gesundheitliche Risikozustand Burn-out mehr als nur eine Modeerscheinung ist. Globalisierung und Digitalisierung haben den Wettbewerbs- und Effizienzdruck an vielen Arbeits­plätzen ohne Zweifel erhöht. Arbeitsverdichtung, entgrenzte Arbeitszeiten, permanente Kommunikation, teilweise über mehrere Zeitzonen, sind die Folgen für Viele.

Die Verpflichtungen der Arbeitgeber zur Analyse der psychischen Belastung bei der Arbeit und zur Ermittlung der not­wendigen Maßnahmen des Arbeitsschutzes sind mittlerweile ausdrücklich gesetzlich normiert (§ 5 Abs. 3 Nr. 6 ArbSchG). Die dazu notwendige Gefährdungsbeurteilung ist vom Arbeitgeber durchzuführen und zu dokumentieren. Auf Grundlage der Gemeinsamen deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) erarbeiten Bund, Länder und Unfallversicherungsträger gemeinsame Konzepte um die Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung umzusetzen und fortzuschreiben. Ein besonderer Schwerpunkt für den Zeitraum 2013 bis 2018 sind dabei Instrumente und Verfahren zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belas­tungen bei der Arbeit.

Die vor allem in den Jahren 2013/2014 geführte Diskussion über eine Anti-Stress-Verordnung hat dagegen bisher nicht zu einer neuen Spezialregelung geführt. Das Bundesarbeits­ministerium (BMAS) stellte zutreffend fest, dass hierzu erst einmal allgemeingültige und rechtssichere Kriterien benötigt würden, bevor den Betrieben etwas vorgeschrieben werden könne.

Auch ohne Spezialgesetze gelten für Arbeitgeber die allgemei­nen Pflichten zur Fürsorge und zur Gefährdungsbeurteilung bezüglich der psychischen Belastungen am Arbeitsplatz.

Die sich daraus ergebenden arbeitsrechtlichen Herausforderungen für Arbeitgeber finden sich an mehreren Stellen. Es drohen vor allem Schadensersatzforderungen, die der Arbeitnehmer auf eine Verletzung der Fürsorgepflicht nach § 618 BGB stützen kann. Für den Arbeitnehmer gilt dann eine Beweiserleichterung, wenn der Arbeitgeber noch nicht einmal eine Gefährdungsbeurteilung hinsicht­lich der psychischen Gefahren am Arbeitsplatz durchgeführt hat. Andererseits kann den Arbeitnehmer ein Mitverschulden nach § 254 BGB treffen, wenn er seiner Pflicht zur Überlastungsanzeige nicht nachgekommen ist.

Im Bereich des Kündigungsschutzes ergeben sich Erschwernisse für personen- und verhaltensbedingte Kündigungen wegen Minderleistungen. Hier geht die Rechtsprechung von einem individuell anzulegenden Leistungsmaßstab aus, der durch eine psychische Beanspruchung verringert sein kann.

Auch nach einer intensiven öffentlichen Diskussion über mehrere Jahre, etlichen Fachbeiträgen zum Thema Stress und Recht sowie gesetzgeberischen Maßnahmen sind bisher kaum Gerichtsentscheidungen zum psychischen Arbeitsschutz bekannt geworden. Die Dunkelziffer dieser Fälle ist nicht abschätzbar. Solche Angelegenheiten werden eher im Wege des Vergleichs erledigt. Die praktische forensische Bedeutung des Themas bleibt daher nicht zu unterschätzen.

Wünschenswert wäre es, wenn die Arbeitnehmer selbst erken­nen würden, wann ihre persönliche Belastungsgrenze erreicht ist und sich entsprechend bei ihren Arbeitgebern mit Überlas­tungsanzeigen und Vorschlägen zu alternativen Arbeitsmetho­den melden würden. Aber vielen Arbeitnehmern ist ein möglicher schleichender Prozess der Persönlichkeitsveränderung, der Erschöpfung und des Leistungsabfalls nicht voll bewusst.

Außerdem: Niemand zeigt sich gerne als „Weichei“. Auch wenn an die Selbstverantwortung der Arbeitnehmer appelliert wer­den muss, bleibt es dabei, dass Stress am Arbeitsplatz in erster Line eine Management-Aufgabe für den Arbeitgeber ist.

Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass die Erschei­nungsformen und individuellen Grenzen von Stress sehr unter­schiedlich sind. Ein abstrakt-generelles Anti-Stressgesetz ist daher kaum möglich und auch nicht notwendig. Vielmehr ist der jetzt eingeschlagene Weg, Abhilfe mit Leitlinien und indi­viduellen Gefährdungsbeurteilungen zu schaffen, der richtige Weg. Er muss von Arbeitgebern nur konsequent beschritten werden.

Festzustellen ist, dass das Stressargument in arbeitsrecht­lichen Auseinandersetzungen an Bedeutung gewinnt (z.B. bei der Minderleistung und der verhaltens- oder personen­bedingten Kündigung). Arbeitgeber müssen daher durch die Erfüllung sämtlicher Vorgaben des Arbeitsschutzrechts und entsprechender Dokumentation hierauf vorbereitet sein. „Stressklagen“ auf Schadensersatz drohen nur in Extremfällen und dort, wo Arbeitgeber den Pflichten aus dem technischen Arbeitsschutz, insb. ihrer Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung und zum aktiven Schutz der psychischen Gesundheit, nicht nachkommen. Es geht für Arbeitgeber darum, die allgemeinen Schutzpflichten und die konkreten Gefährdungen im Betrieb zu erkennen und dann richtig und maßvoll zu handeln.

Information zum Autor:

MKRG ist eine renommierte Wirtschaftskanzlei in Düsseldorf. Partner Dr. Jörg Podehl ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und seit 20 Jahren als Anwalt tätig. Er berät Unternehmen und Manager im Arbeits- und im Vertriebsrecht.

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