Hauptversammlungssaison 2017: Entlastung und Vertrauensentzug
Die Hauptversammlungssaison 2017 steht bevor. Ein obligatorischer Bestandteil von Hauptversammlungen sind die Beschlüsse über die Entlastung, mit der die Verwaltung der Vergangenheit im Hinblick auf ein weitgehend gesetzes- und satzungskonformes Verhalten gebilligt wird (idR für das abgelaufene Geschäftsjahr). Darüber hinaus liegt in der Entlastung typischerweise auch eine Vertrauenskundgabe für die Zukunft. Im Gegensatz zur Entlastung des GmbH-Geschäftsführers verbirgt sich hinter derjenigen bei der AG jedoch kein Verzicht auf etwaige Ersatzansprüche gegenüber Aufsichtsrat und Vorstand. Dennoch hat eine Entlastungsverweigerung aufgrund der prestigeschädigenden Wirkung eine erhebliche tatsächliche Bedeutung. Erkennbar wird dies nicht zuletzt an den zahlreichen Gerichtsverfahren wegen angefochtener Entlastungsbeschlüsse. Über die Entlastungsverweigerung hinaus kann die Hauptversammlung dem Vorstand auch durch Beschluss das Vertrauen entziehen. Ein solcher Vertrauensentzug birgt ein erhebliches tatsächliches Risiko für den Vorstand, da der Aufsichtsrat den Widerruf der Vorstandsbestellung mit einem solchen Hauptversammlungsbeschluss begründen kann, § 84 Abs. 3 AktG.
In einem Urteil vom 15. November 2016 (Az. II ZR 217/15) befasste sich der BGH mit Einzelfragen zum Vertrauensentzug und dem damit begründeten Widerruf der Bestellung eines Vorstands. Dem Urteil lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem einem Vorstandsmitglied durch die Hauptversammlung das Vertrauen entzogen wurde und am selben Tag der Aufsichtsratsbeschluss gefasst wurde, die Bestellung des Vorstands zu widerrufen und seinen Dienstvertrag vorsorglich zu kündigen. Der Vorstand ging gegen den Widerruf seiner Bestellung und die Kündigung vor und hatte hiermit vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht Erfolg. Die Revision der Beklagten führte nun jedoch zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.
Das Revisionsurteil des BGH beinhaltet folgende Kernaussagen:
- Der Beschluss, einem Vorstandsmitglied das Vertrauen zu entziehen, ist nicht schon dann offenbar unsachlich oder willkürlich, wenn sich die (genannten) Gründe für den Vertrauensentzug als nicht zutreffend oder nicht beweisbar erweisen.
- Ein Hauptversammlungsbeschluss der Hauptversammlung über einen Vertrauensentzug muss nicht begründet werden.
- Zur Wirksamkeit des Widerrufs der Bestellung bedarf es bei einem Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung keiner Anhörung des betroffenen Vorstandsmitglieds durch den Aufsichtsrat.
Der BGH führt weiter aus, dass der wichtige Grund für den Widerruf nach § 84 Abs. 3 AktG im Hauptversammlungsbeschluss über den Vertrauensentzug selbst liegt. Nur bei der konkreten Feststellung eines offenbar unsachlichen Grundes kann der Aufsichtsrat den Widerruf der Bestellung gemäß § 84 Abs. 3 Satz 2 Var. 3 AktG nicht auf den Hauptversammlungsbeschluss stützen. Der Vorstand ist für die Darlegung solcher „auf der Hand liegender“ Unsachlichkeiten vor Gericht beweispflichtig. Offenbar unsachlich ist ein willkürlicher, haltloser oder wegen des damit verfolgten Zwecks sittenwidriger, treuwidriger oder sonst wie rechtswidriger Entzug des Vertrauens. Ist es demgegenüber dem Gericht nur nicht möglich, einen sachlichen Grund für den Vertrauensentzug positiv festzustellen, reicht dies aus Sicht des Vorstands gerade nicht. Es gilt insoweit auch für den Beschluss über den Vertrauensentzug, dass ein Hauptversammlungsbeschluss nicht begründet werden muss.
Bei Verdachtskündigungen von Arbeitnehmern und GmbH-Geschäftsführern ist anerkannt, dass diese einer Anhörung des Betroffenen bedürfen. Ob diese Grundsätze auch auf den Vorstand einer AG im Falle einer Verdachtskündigung Anwendung finden, hat der BGH ausdrücklich offengelassen. In seiner Entscheidung stellt er allerdings klar, dass es bei dem Widerruf der Bestellung, der mit dem Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung begründet wird, keiner solchen Anhörung des Vorstandsmitglieds bedarf.
Praxishinweis:
Neben dem allseits präsenten Entlastungsbeschluss ist der Hauptversammlungsbeschluss über den Vertrauensentzug mit seiner erheblich drastischeren Wirkung deutlich unbekannter, aber – zum Glück – auch seltener. Das BGH-Urteil veranschaulicht, dass sich ein betroffenes Vorstandsmitglied nur schwer gegen einen solchen Beschluss und einen hiermit begründeten Widerruf seiner Bestellung verteidigen kann. Dabei ist jedoch die ordnungsgemäße Ladung zu einer entsprechenden Hauptversammlung zu beachten, um eine entsprechende Beschlussanfechtung auszuschließen. Nach einem Urteil des LG München I aus dem Jahr 2005 (5 HKO 10485/04) ist der Tagesordnungspunkt „Entlastung des Vorstands“ bei der Bekanntmachung der Tagesordnung nicht ausreichend, um eine Beschlussfassung über den Vertrauensentzug zu fassen.
Information zum Autor:
Andreas Hecker, LL.M. oec., Rechtsanwalt/Partner bei Hoffmann Liebs Fritsch & Partner Rechtsanwälte mbB
Herr Hecker berät Unternehmen und Unternehmensgruppen bei gesellschafts- und kapitalmarktrechtlichen Fragen. Er veröffentlicht regelmäßig zu gesellschaftsrechtlichen Themen sowie zur Corporate Governance in ausgewählten Fachzeitschriften und Branchenmagazinen und wirkt an Gründerwettbewerben für Startups mit.