EuGH billigt deutsches Mitbestimmungsrecht
Von Andreas Hecker, LL.M. oec., Rechtsanwalt/Partner bei Hoffmann Liebs Fritsch & Partner Rechtsanwälte mbB
Der EuGH hat sich in der Vorlagefrage des Kammergerichts Berlin den Anträgen des Generalanwalts angeschlossen (siehe Stahl-Recht vom 23.05.2017) und am 18.07.2017 entschieden, dass das deutsche Mitbestimmungsgesetz mit dem Unionsrecht vereinbar ist (Az. C-566/15).
Wie bereits berichtet, betraf das Verfahren die TUI AG. Ein Aktionär hatte gegen die Zusammensetzung des Aufsichtsrats ein Statusverfahren angestrengt. Er begründete dies damit, dass das deutsche Mitbestimmungsrecht gegen die Grundsätze der Arbeitnehmerfreizügigkeit und gegen das Diskriminierungsverbot verstoße (Art. 45 bzw. 18 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union). Mögliche Folge eines solchen Verstoßes wäre das aktive und passive Wahlrecht von Mitarbeitern im EU-Ausland gewesen. Hierdurch hätte sich ggf. nicht nur die Zusammensetzung in bestehenden Aufsichtsräten ändern können, sondern es wäre auch denkbar gewesen, dass wesentlich mehr deutsche Unternehmen unter Berücksichtigung der Mitarbeiter im EU-Ausland die Schwellenwerte des Drittelbeteiligungsgesetzes oder des Mitbestimmungsgesetzes überschreiten und hierdurch in die unternehmerische Mitbestimmung gelangen.
Der EuGH ist nunmehr der Ansicht des Aktionärs entgegengetreten und hat zugunsten der Vereinbarkeit des deutschen Mitbestimmungsrechts mit dem Unionsrecht entschieden. Der EuGH folgte hierbei im Wesentlichen der Argumentation des Generalanwalts und unterschied dabei zwei Konstellationen:
Bei Arbeitnehmern der TUI, die bei einer Tochtergesellschaft mit Sitz im EU-Ausland beschäftigt sind, fehlt es nach Ansicht des EuGH bereits an einem grenzüberschreitenden Sachverhalt, der sei aber im Hinblick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit Voraussetzung. Da es sich nach Ansicht des EuGH in diesen Fällen vielmehr um einen innerstaatlichen Sachverhalt handele, wäre dieser nicht am Unionsrecht bzw. der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu messen.
Für Arbeitnehmer der TUI AG und ihrer Tochtergesellschaften im Inland, die sich zu einem Wechsel in eine Gesellschaft im EU-Ausland entschließen würden, sei zwar ein grenzüberschreitender Sachverhalt gegeben. Dieser stelle allerdings im vorliegenden Fall keine Behinderung der Freizügigkeit dar.
Das Unionsrecht könne einem Arbeitnehmer nicht garantieren, dass ein Umzug in einen anderen EU-Mitgliedstaat in sozialer Hinsicht „neutral“ sei. Mitgliedstaaten würden für verschiedene Bereiche unterschiedliche Regelungen vorsehen. Deutschland sei in diesem Zusammenhang nicht daran gehindert, den Geltungsbereich des MitbestG hinsichtlich des aktiven und passiven Wahlrechtes auf Arbeitnehmer inländischer Betriebe zu beschränken.
Nach alldem können sowohl diejenigen Unternehmen aufatmen, die bereits der Mitbestimmung unterliegen. Das Mitbestimmungsstatut und das Wahlrecht der Mitarbeiter bleiben unverändert und die Zusammensetzung des Aufsichtsrates widerspricht nicht Unionsrecht. Unternehmen, die bisher nicht der Mitbestimmung unterworfen waren, müssen nach dieser Entscheidung des EuGH nicht befürchten, dass aufgrund der Einbeziehung von Mitarbeitern im EU-Ausland ein Erreichen der Schwellenwerte nach Drittelbeteiligungsgesetz oder Mitbestimmungsgesetz droht.
Information zum Autor:
Andreas Hecker, LL.M. oec., Rechtsanwalt/Partner bei Hoffmann Liebs Fritsch & Partner Rechtsanwälte mbB
Herr Hecker berät Unternehmen und Unternehmensgruppen bei gesellschafts- und kapitalmarktrechtlichen Fragen. Er veröffentlicht regelmäßig zu gesellschaftsrechtlichen Themen sowie zur Corporate Governance in ausgewählten Fachzeitschriften und Branchenmagazinen und wirkt an Gründerwettbewerben für Startups mit.