Weil Gusseisen nicht gleich Gusseisen ist
von Hubert Hunscheidt
Die Bearbeitung von Gusseisen ist keine so simple Angelegenheit, wie oft angenommen wird. Die Vielfalt der unter diesem Begriff zusammengefassten Metalle und ihre unterschiedlichen Eigenschaften verlangen unter anderem nach spezialisierten Werkzeugen für die Zerspanung. Die Lösungen aus ISCARs LOGIQ-Serie sind genau darauf abgestimmt.
Gusseisen besitzt im Vergleich zu Stahl einen hohen Kohlenstoffanteil. Bei der Zerspanung entstehen spröde, kurze Späne an der Werkzeugschneide. Weil dabei kaum Vibrationen auftreten, verläuft die Bearbeitung stabil und unproblematisch. Zudem „schmiert“ der Kohlenstoff die Schneide. Deshalb gilt die spanende Bearbeitung von Gusseisen gemeinhin als unproblematisch. Doch die Vielfalt des Werkstoffs erfordert eine genauere Betrachtung. Das Material kommt fast ausschließlich für Gussbauteile in der Automobil-, Formenbau-, Werkzeugmaschinen- und Schwerindustrie zum Einsatz. Bearbeitet der Anwender diese Komponenten, muss er auf Unregelmäßigkeiten und Gussfehler achten wie Sand- oder Lufteinschlüsse, Gusshaut oder Hitzerisse. Dabei zeigt sich auch der große Nachteil des größeren Kohlenstoffanteils: erhöhter Verschleiß. Deshalb brauchen Anwender verschleißfeste Zerspanungswerkzeuge.
Die ISO-Klassifikation unterstützt Anwender
Die Bezeichnung Gusseisen fasst verschiedene Eisenlegierungen zusammen, die unterschiedlich schwer zu bearbeiten sind. Gemäß ISO-Standard 513 bilden Grau-, Kugelgraphit- und Temperguss die ISO-K-Gruppe (rote Kennzeichnung), gehärtetes Gusseisen und Schalenhartguss finden sich in der Gruppe ISO-H (graue Kennzeichnung). Diese Spezifikationen erleichtern dem Anwender die Wahl des Zerspanungswerkzeugs, des entsprechenden Schneidstoffs, der richtigen Schneidengeometrie und der passenden Schnittparameter.
Herausforderungen für Werkzeughersteller
Werkzeughersteller müssen die Werkzeuge und Schneidstoffe auf die jeweilige Gusseisen-Sorte entsprechend auslegen. Die Materialien in der ISO-K-Gruppe sind in der Regel leicht zu bearbeiten, die in der ISO-H hingegen viel schwerer. Sie ähneln zwar gehärteten Stählen, verlangen aber spezifische Werkzeuglösungen. Dazu kommt: Auch innerhalb einer Gruppe können die Materialien je nach Verarbeitung und Härtegrad leicht oder schwer zu bearbeiten sein.
Ein paar Beispiele: Austenitisches Gusseisen der Sorte Ni-Resist ist zwar ähnlich gut zerspanbar wie Grauguss, erforderlich dafür ist jedoch eine Schneidengeometrie wie für austenitischen, rostbeständigen Stahl. Oder: Werkstücke aus austenitischem, duktilem Eisen (ADI) sind in unterschiedlichen Zuständen und Härtegraden erhältlich. Vor dem Aushärten lässt sich ADI ähnlich gut zerspanen wie hochlegierter Stahl, nach dem Härten – je nach Grad – benötigt der Anwender dafür dann Werkzeuge für die ISO-H-Gruppe.
Gusseisen mit einer Härte von HB400 bis 440 zu bearbeiten, stellt in der Regel kein Problem dar. Das gilt aber nicht für hartes, abriebfestes Material mit hohem Chromgehalt. Seine durchschnittliche Härte liegt zwischen 52 und 54 HRC, in den dünnwandigen Bereichen kann sie sogar 60 HRC und mehr erreichen. Der hohe Chromgehalt erschwert die Bearbeitung und kann die Standzeit des Werkzeugs verkürzen.
Ein stabiles Schneidstoff-Fundament
ISCAR bietet eine breite Palette an Werkzeugen mit einer Vielzahl an Schneidengeometrien und Schneidstoffen, um auf die oft speziellen Fälle eine Antwort zu liefern. Damit unterstützt der Werkzeugspezialist den Anwender dabei, seine Produktivität zu steigern.
Bei den schwer zu zerspanendem Gusseisen mit hohem Chromgehalt wird das Werkzeug thermisch stark belastet. Beim Fräsen liegt die Schnittgeschwindigkeit der Hartmetallwerkzeuge in der Regel nur bei 40 bis 50 Metern pro Minute. Wegen der Wärmeentwicklung muss der Anwender eine Emulsionskühlung einsetzen. Das Werkzeug arbeitet hier unter einem Hitzeschock-Effekt, der seine Lebensdauer stark verkürzen kann. Speziell für solche Einsätze hat ISCAR den Schneidstoff DT7150 entwickelt. Diese DO-TEC-Schneidstoffsorte besteht aus einem zähen, mit CVD oder PVD beschichteten Substrat. Das erhöht die Verschleiß- und Ausbruchresistenz. Um seine Produktivität zu verbessern und höhere Schnittgeschwindigkeiten bei der Bearbeitung von hartem Gusseisen zu erreichen, kann ein Anwender Wendeschneidplatten mit kubischem Bornitrid (CBN) verwenden. Hochleistungsfräswerkzeuge mit tangential montierten, CBN-bestückten Wendeschneidplatten werden häufig in der Automobilindustrie eingesetzt.
Bei ISO-K-Anwendungen unter mittlerer Belastung zeigen Keramikwerkzeuge gute Ergebnisse. Umfanggeschliffene, tangential geklemmte TANGMILL-Wendeschneidplatten aus der Schneidstoffsorte IS8 ermöglichen große Schnittgeschwindigkeiten beim Fräsen und erzeugen hohe Oberflächengüten. Beim Drehen und Schruppen können Anwender mit CVD-beschichteten Siliziumnitrid-Wendeschneidplatten bis zu fünfmal höhere Schnittgeschwindigkeiten erreichen.
Die Geometrie spielt eine wichtige Rolle
Schneidengeometrie und Schneidkantenpräparation wie Verrunden oder Fasen haben großen Einfluss auf die Werkzeugleistung. Auch wenn die Wahl der erforderlichen Präparation einfach erscheint, lohnt eine detaillierte Betrachtung. Welche Fasenbreite oder welcher Fasenwinkel ist am effektivsten? Wie kann der festgelegte Spanwinkel während der Werkzeugproduktion sichergestellt werden? Das ist besonders beim Einsatz von Keramik- oder CBN-Wendeschneidplatten entscheidend. Neben ihrer Erfahrung und ihrem Know-how können Ingenieure bei der Werkzeugentwicklung auf ein leistungsfähiges Instrument zurückgreifen: die computergestützte Modellierung der Spanbildung. Sie trägt wesentlich dazu bei, die optimale Form der Schneidengeometrie zu finden und verkürzt die Entwicklungszeit.
Ein gutes Beispiel, was die Kombination einer optimierten Schneide mit einer speziellen Schneidstoffsorte für die Bearbeitung von Gusseisen ausmacht, ist der TGMA-Schneideinsatz zum Einstechen aus der TOPGRIP-Linie. Er besteht aus der CVD-beschichteten Schneidstoffsorte IC5010, die speziell für das Einstechen von Gusseisen entwickelt wurde, und verfügt über eine umlaufende Schutzfase. Das erhöht die Stabilität der Schneidkante und verlängert die Standzeit.
Oberflächengüten der Extraklasse
Die TANGFIN-Linie hat der Werkzeugspezialist im Rahmen der LOGIQ-Kampagne eingeführt. Sie bietet Planfräser, mit denen sehr hohe Oberflächenqualitäten möglich werden. Beim TANGFIN-Fräswerkzeug sind die Wendeschneidplatten (WSP) abgestuft montiert. Jede WSP trägt nur einen kleinen Teil des Materials ab. Dadurch und durch die lange Wiper erreicht der Anwender mit den Planfräsern Oberflächengüten bis zu Ra 0,1 µ. Die radiale und axiale Positionierung der WSP sorgt für eine optimale Spanabfuhr sowie einen leichten Schnitt. Die Bearbeitung läuft ruhig und vibrationsfrei.
Maßgeschneiderte Werkzeuglösungen
Um die Kosten pro Bauteil bei der Serienfertigung von Automobilkomponenten zu senken, können Anwender auf maßgeschneiderte Werkzeuge zugreifen. Ausgelegt sind diese für eine hohe Produktivität bei bestimmten Bearbeitungsprozessen. Sie reduzieren den nicht schneidenden Anteil der Zykluszeiten.
ISCAR hat für einen großen Automobilhersteller beispielsweise eine maßgeschneiderte, kombinierte Werkzeuglösung für die Bearbeitung von Achsschenkeln als Turnkey-Projekt geliefert. Das kombinierte Werkzeug führt mehrere Bearbeitungsvorgänge aus: Inngengewindeschneiden, Bohrzirkularfräsen von zwei Nuten für Sprengring und Dichtung sowie das Planfräsen der Außenfläche. Das Werkzeug ist mit radial und tangential geklemmten WSP bestückt und verfügt über einen Gewindebohrer mit Ausgleichsmechanismus. Die strengen Toleranzgrenzen für lineare Abmessungen stellen den erfolgreichen Einsatz des Werkzeugs auf Mehrspindelmaschinen sicher.
Quelle und Fotos: ISCAR Germany GmbH