Zentrale EU-weite Erdgasbeschaffung kann Energiepreisspitzen vermeiden

von Hubert Hunscheidt

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs haben die EU-Länder die Dringlichkeit erkannt, ihre Abhängigkeit von russischem Erdgas zu mindern und gleichzeitig die europäischen Bürger/innen und Unternehmen vor exorbitanten Energiekosten zu schützen. Eine gemeinsame EU-weite Beschaffung von Erdgas könnte bei beiden Problemen Abhilfe schaffen. Zudem wäre es ein wirksames Mittel, um Energiepreisspitzen zu verhindern, wie ein aktueller Policy Brief des ZEW zeigt.

Die Erdgasversorgung in Europa verschlechtert sich vor dem Hintergrund steigender Kosten und drohender Versorgungsengpässe zunehmend. Viele europäische Mitgliedstaaten unternehmen seit dem Angriff auf die Ukraine große Anstrengungen, um ihre Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren. Ein gemeinsames Vorgehen würde die Situation für alle EU-Länder verbessern. „Wir gehen davon aus, dass eine zentralisierte Beschaffung im Falle von Erdgas wesentlich effektiver ist als bei Corona-Impfstoffen. Das macht die Beschaffung zu einem wertvollen politischen Instrument, um Unternehmen und Bürger/innen in der EU vor stark ansteigenden Energiepreisen zu bewahren“, sagt ZEW-Ökonom Leonardo Giuffrida, Leiter der ZEW-Nachwuchsforschungsgruppe „Öffentliche Beschaffung“ und Koautor des Policy Briefs.

Die EU-weite Beschaffung ist immer auch mit Kompromissen verbunden, selbst bei einem Rohstoff wie Erdgas. Dennoch kann ein zentraler Ansatz lohnenswert sein, schließlich gelten nicht für alle Produkte und Dienstleistungen die gleichen Hindernisse. Einer der Hauptvorteile einer zentralisierten Beschaffung ist, dass dank der größeren Kaufkraft und Verhandlungsmacht Größenvorteile genutzt und somit niedrigere Preise erzielt werden können. Des Weiteren werden Verwaltungskosten eingespart, da weniger Ausschreibungen und Verträge erforderlich sind. Auch der organisatorische Aufwand ist geringer, weil weniger Beschaffungsbeauftragte benötigt werden. Anderseits gibt es auch Nachteile, wie zum Beispiel zusätzliche Kosten aufgrund der Notwendigkeit, eine Koordinierungsstelle bzw. ein zentrales Beschaffungsbüro einzurichten, oder Schwierigkeiten bei der Anpassung an spezifische lokale Bedürfnisse.

„Bei der Zentralisierung der Erdgasbeschaffung überwiegen die Vorteile in der Regel die damit verbundenen Kosten. In der Tat ist die Kosten-Nutzen-Analyse bei Erdgas deutlich günstiger als bei anderen Produkten und Dienstleistungen. Das liegt vor allem daran, dass Erdgas ein standardisiertes Produkt ist“, sagt Leonardo Giuffrida. Ein weiterer Vorteil ist die Struktur des Erdgasmarkts, auf dem es aufgrund von Ressourcenmonopolen nur wenige etablierte Anbieter gibt.

Die EU hat bereits bei der Beschaffung von COVID-19-Impfstoffen auf ein zentralisiertes Vorgehen gesetzt. Dies war mit vielen Herausforderungen verbunden, darunter der zugrunde liegende Forschungs- und Entwicklungsprozess, der enorme Zeitdruck, die hohen Vorlaufkosten für die Hersteller und die hohe Misserfolgsquote bei klinischen Versuchen. Bei einem standardisierten Produkt wie Erdgas hingegen dürften eine Koordinierung auf politischer Ebene und die Übertragung von Befugnissen an eine zentrale Beschaffungsstelle leichter zu erreichen sein. Eine EU-weite Beschaffung wäre daher für diesen Rohstoff trotz der strengen Beschaffungsregeln wesentlich effektiver.

Quelle: ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH / Foto: Tim Reckmann pixelio.de

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