WTO-Ministerkonferenz: Erosion des Welthandelssystems stoppen
von Hubert Hunscheidt
Schließlich schreitet die Erosion des Welthandelssystems seit Jahren voran. Verschiedene geopolitische Entwicklungen führen zu einer zunehmenden weltwirtschaftlichen Entkopplung, die am Fundament des multilateralen regelbasierten Handelssystems rüttelt. Bisher wacht die WTO über einheitliche Regeln und die Marktöffnung im Außenhandel für 164 Länder und damit 98 Prozent des Welthandels. Zudem ermöglicht sie die Streitschlichtung zwischen Mitgliedern auf Augenhöhe, um Handelskonflikte zu verhindern. Über die Hälfte des außereuropäischen Handels deutscher Unternehmen ist einzig durch WTO-Regeln abgesichert – etwa der Warenaustausch mit den USA, China oder Indien. Seit Langem setzt sich die DIHK daher mit verschiedenen Initiativen für ehrgeizige Reformen der Welthandelsorganisation ein, aktuell mit einem neuen Positionspapier zur WTO-Ministerkonferenz.
Grundfeste des Welthandelssystems
Hiesige Unternehmen profitieren von dem multilateralen Ansatz der WTO, der seit bald 30 Jahren Märkte öffnet und Handelsschranken abbaut. Für die exportorientierte deutsche Wirtschaft sind weltweit gleiche Wettbewerbsbedingungen, fairer Marktzugang und Rechtssicherheit im Auslandsgeschäft von herausragender Bedeutung. Daher ist es in ihrem Interesse, der Fragmentierung des Welthandelssystems entgegenzuwirken sowie moderne multilaterale oder notfalls plurilaterale Handelsregeln zu entwickeln. Insbesondere beim Thema Nachhaltigkeit sollte die EU viel stärker globale statt unilaterale Lösungen durch entsprechende WTO-Initiativen vorantreiben. In ihrer Streitbeilegungsfunktion hat die Welthandelsorganisation bereits über 600 Fälle geschlichtet. Doch derzeit erscheint die Zukunft der WTO unsicher.
Stärke des Rechts statt Recht des Stärkeren
Bereits seit einigen Jahren ist die Zusammenarbeit für offene Märkte von diversen Blockaden belastet. Insbesondere die USA verhindern die WTO-Streitbeilegung und haben so die Verbindlichkeit des WTO-Regelsystems erschüttert. Warum sich an Vorgaben halten, wenn niemand für Verstöße belangt werden kann? Die Folgen dieser Erosion: rechtliche Unsicherheit und eine Zunahme von Diskriminierungs- und Vergeltungsmaßnahmen. Für deutsche Unternehmen steht viel auf dem Spiel. Denn ohne eine funktionierende WTO gilt – anstelle der Stärke des Rechts – das Recht des Stärkeren auf den Weltmärkten.
WTO weiterentwickeln – Mittelstand mitdenken
So gut wie alle WTO-Regeln stammen aus den 1990er-Jahren oder sind noch älter. Ein Update ist angesichts der seitdem erfolgten großen Veränderungen der Weltwirtschaft dringend nötig. Um die praktische Relevanz des multilateralen Systems zu stärken, sollte die EU bei der Konferenz in Abu Dhabi greifbare Verbesserungen für die Unternehmen voranbringen. Insbesondere die Streitbeilegungsfunktion der WTO muss reaktiviert werden. Zentral ist für die deutsche Wirtschaft zudem, dass das WTO-Verbot von Zöllen auf elektronische Übertragungen wie Softwareupdates, Videostreams oder E-Mails nicht ausläuft, sondern als permanente Handelsregel verankert wird. Der grenzüberschreitende Fluss von Datenströmen muss gewährleistet bleiben.
Nötig sind auch ein globales Vorgehen gegen unfaire Subventionen und Wettbewerbsverzerrungen, die Anpassung globaler Handelsregeln an die Herausforderungen des digitalen Zeitalters und ein koordiniertes Handeln aller relevanten CO2-emittierenden Länder zur Bekämpfung des Klimawandels. Ein Baustein kann dabei auch die Wiederaufnahme der Verhandlungen über ein WTO-Abkommen für Umweltgüter und -dienstleistungen sein. Ebenso ist es wichtig, dass sich die WTO auf eine Agenda für kleine und mittlere Unternehmen verständigt, um den Mittelstand besser in globale Wertschöpfungsketten einzubinden. Die WTO-Mitglieder werden nicht müde, zu betonen, dass multilaterale Abkommen die besten Lösungen für alle bieten. Jetzt müssen sie Ernst machen, um das multilaterale System zu retten. Für die deutsche Wirtschaft ist das von entscheidender Bedeutung, denn ihr außenwirtschaftlicher Erfolg ist kein Selbstläufer.
Quelle: DIHK / Foto: Fotolia