Wirtschaftsweise senken Wachstumsprognose für 2021 auf 4,1 Prozent
von Hubert Hunscheidt
Die Corona-Pandemie hat viele Länder, darunter Deutschland, weiterhin fest im Griff. Bisher zeigt sich die deutsche Volkswirtschaft jedoch recht robust. Vor allem die Industrieproduktion ist aufwärtsgerichtet. Anders als im vergangenen Frühjahr sind die internationalen Lieferketten bisher weitgehend intakt, und die Nachfrage nach Waren aus Deutschland steigt mit der fortschreitenden Erholung der Weltwirtschaft. Im Gegensatz dazu ist die wirtschaftliche Lage bei den personennahen Dienstleistungen weiterhin sehr angespannt.
Infolge der im Herbst 2020 wieder angestiegenen Infektionszahlen und der aktuell noch andauernden Einschränkungen ist im ersten Quartal 2021 mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung in Deutschland um etwa 2 % zu rechnen. Einhergehend mit dem zu erwartenden beschleunigten Impffortschritt, der Eindämmung der Pandemie und dadurch möglichen graduellen Lockerungen dürfte sich die Erholung in den kommenden Monaten wieder fortsetzen. Der Sachverständigenrat erwartet für das laufende Jahr ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um 3,1 % (kalenderbereinigt: 3,1 %). „Sobald es gelingt, das Infektionsgeschehen effektiv zu begrenzen und größere Anteile der Bevölkerung zu impfen, dürften sich die von den Kontaktbeschränkungen oder Schließungen stark betroffenen Dienstleistungsbereiche wie das Gastgewerbe oder der stationäre Einzelhandel wieder beleben. Dies dürfte zu einem kräftigeren Wachstum beitragen“, erklärt Achim Truger, Mitglied des Sachverständigenrates.
„Die Wirtschaftsleistung wird voraussichtlich zum Jahreswechsel 2021/22 wieder ihr Vorkrisenniveau erreichen“, ergänzt Monika Schnitzer, Mitglied des Sachverständigenrates. Für das Jahr 2022 wird ein weiterhin kräftiges Wachstum erwartet. Gestützt wird die Entwicklung vor allem durch die Normalisierung des privaten Konsums sowie durch eine anhaltend kräftige Auslandsnachfrage. Der Sachverständigenrat rechnet für das Jahr 2022 mit einem BIP-Wachstum um 4,0 % (kalenderbereinigt um 4,1 %).
Zum Jahresbeginn sind die Verbraucherpreise in Deutschland wieder stärker gestiegen. Hierzu haben vor allem der höhere Ölpreis, die Einführung der CO2-Bepreisung in den Sektoren Verkehr und Wärme sowie das Auslaufen der vorübergehenden Umsatzsteuersenkung beigetragen. Die Inflationsrate dürfte 2021 im Jahresdurchschnitt 2,1 % betragen. Im Jahr 2022 wird ein Anstieg der Verbraucherpreise von 1,9 % erwartet.
Im Euro-Raum ist die wirtschaftliche Aktivität durch die erhöhten Infektionszahlen und die daraus resultierenden Einschränkungen gedämpft. Der Sachverständigenrat senkt daher seine Wachstumsprognose für dieses Jahr auf 4,1 %. Im kommenden Jahr dürfte das BIP um 4,2 % wachsen. Im Dezember 2020 beschloss die Europäische Zentralbank (EZB) eine Verlängerung und Ausweitung ihrer expansiven geldpolitischen Maßnahmen. Die aktuell sehr günstigen Finanzierungsbedingungen im Euro-Raum dürften die wirtschaftliche Entwicklung bis Ende 2022 stützen, auch wenn die Banken ihre Kreditvergabestandards vor allem für Unternehmen seit der zweiten Jahreshälfte 2020 verschärft haben.
„Das größte Risiko für die Konjunktur in Deutschland stellt eine mögliche dritte Infektionswelle dar, und zwar dann, wenn sie zu Einschränkungen oder gar Betriebsschließungen in der Industrie führen würde“, erläutert Volker Wieland, Mitglied des Sachverständigenrates. Chancen für eine bessere wirtschaftliche Entwicklung bestehen, wenn die Bevölkerung schneller als erwartet geimpft wird. Daneben kann in den kommenden Monaten eine zusätzliche wirtschaftliche Dynamik entstehen, wenn weitere Fortschritte in der medikamentösen Behandlung von COVID-19 erzielt, Infektionsketten durch den Einsatz digitaler Technologien schneller verfolgt, neue Teststrategien eingesetzt oder gezieltere Maßnahmen zum Schutz vulnerabler Gruppen getroffen werden.
„Damit Deutschland das EU-Ziel, 70 % der erwachsenen Bevölkerung zu impfen, bis Ende September 2021 erreicht, muss die aktuelle Anzahl der täglichen Impfungen in den Impfzentren um 50 % gesteigert werden. Darüber hinaus sollten dafür Haus- und Fachärzte in den Impfprozess einbezogen werden“, sagt Veronika Grimm, Mitglied des Sachverständigenrates.
Quelle: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung / Foto: marketSTEEL