wire und Tube 2024 - Rohrleitungen auf Wasserstoff Kurs
von Angelika Albrecht
Politik und Wirtschaft sehnen eine verstärkte Wasserstoffnutzung herbei und sind längst auf Lösungssuche. Dabei ist nicht nur die Erzeugung und die Speicherung von H2 sicherzustellen, auch dessen Transport ist zu regeln, damit der Wasserstoff vom Erzeugungsort zur Verwendungsstelle gelangt. Für Wasserstoffspeicher und -transportwege wird allerdings ein hoher Investitionsbedarf notwendig. Gefragt ist die Rohrbranche, die bereits geeignete Technologien und Materialien bietet.
Europa plant, bis 2050 CO₂-neutral zu sein. Zur Erreichung der Klimaneutralität wird Wasserstoff mitentscheidend sein – und das in mehrfacher Hinsicht. Die Schwankungen zwischen Energieproduktion und -verbrauch, die bei der Nutzung von Erneuerbaren Energien auftreten, können mit Waserstoff als Speichermedium ausgeglichen werden. Außerdem wird durch die Verwendung von grünem Wasserstoff die Industrie – wie etwa bei der Stahlproduktion – CO₂-neutral. Notwendig ist jeweils eine Infrastruktur aus Rohrleitungen und Anlagentechnik.
Der sichere Wasserstofftransport wird bei einem regenerativen Energiemix eine zentrale Rolle einnehmen. Die Rohrbranche ist bereits H2-ready. So liefert Mannesmann Stahlrohre, die für den Transport und die Speicherung ausgelegt sind. Für die H2-Weiterleitung – etwa in Pipelines – wird die Innenoberfläche frei von Oberflächenabsätzen gefertigt. Innere Angriffspunkte für den Wasserstoff werden durch eine Unterschreitung des Phosphor- und Schwefelgehaltes – im Vergleich zur EIGA-Richtlinie – auf ein Minimum beschränkt. „Ein weiter abgesenktes Kohlenstoffäquivalent gewährleistet eine hervorragende Schweißbarkeit unseres Rohrwerkstoffes“, betont Mannesmann. Das sichere eine lange Lebensdauer.
Rohrbranche bereit für den H2-Markt
Gemeinsam mit Partnern aus der Stahldistribution liefert Benteler Steel/Tube die Benteler Hyresist-Produktfamilie, zu der nahtlose, warmgewalzte Rohre gehören und die die Anforderungen der European Industrial Gases Association (EIGA) an Rohre für Verteilnetze erfüllt. Die Kriterien lauten: wasserstoffkonforme Stahlanalyse, Druckresistenz sowie homogene Struktur. Der Abmessungsbereich der Benteler-Rohrlösung entspricht mit einem Außendurchmesser von 21,3 bis 141,3 mm den aktuellen Vorgaben für Wasserstoffleitungen. „Darüber hinaus beugen optimierte mechanische Werte und die hohe Reinheit der verwendeten Stahlwerkstoffe einer Wasserstoffversprödung vor“, erklärt das Unternehmen.
Auch Butting ist bereit für den H2-Rohrmarkt. Mit vakuumisolierten Transferleitungen könnten laut Unternehmen im Vergleich zu konventionell mit Schaum isolierten Rohren Zeit und Ressourcen gespart werden. Der kosteneffiziente Transfer von flüssigem Erdgas und flüssigem Wasserstoff LH2 (LNG) erfordere Leitungssysteme in wesentlich größeren Dimensionen, als dies für andere kryogene Flüssigkeiten der Fall sei. So können kleinere Rohrdurchmesser gewählt werden, wodurch der Materialaufwand reduziert wird. Neben Standardleitungen gehören zur Firmen-Expertise unter anderem Transfersysteme für Trailer (Helium und Wasserstoff), Wasserstoff-Systeme für die Automobilbranche sowie Betankungssysteme für die Luft- und Raumfahrt (Wasserstoff und Sauerstoff).
Wichtige Wasserstoff-Projekte
Wichtig ist aktuell ein vorausschauender Blick. So werden in Wolfsburg zwei hochmoderne Gaskraftwerke die Energieversorgung des VW-Werks und der Stadt Wolfsburg sichern. „Damit sie perspektivisch auch mit Wasserstoff betrieben werden können, kamen beim Bau der Versorgungsleitung schon jetzt Mannesmann H2ready® Rohre von Mannesmann Line Pipe zum Einsatz“, erläutert Mannesmann. Die knapp 1.900 Rohre besitzen Einzellängen von bis zu 18 Metern in der Güte L360NE und einen überwiegenden Durchmesser von 406,4 mm. Die Trasse verläuft parallel zu einer bereits bestehenden Leitung und wurde auf einer Länge von neun Kilometern grabenlos und damit besonders schonend verlegt. Hierfür wurden die Rohre zusätzlich mit GFK umwickelt.
Für die Anbindung des LNG-Gasterminals in Brunsbüttel nach Hetlingen liefert die Salzgitter AG-Tochter Mannesmann Grossrohr GmbH (MGR) im Auftrag der Gasunie Deutschland Rohre mit einem Durchmesser von DN 800 für eine Länge von insgesamt etwa 54 Kilometern. Die rund 3.200 Rohre sind so spezifiziert, „dass durch die Leitung in Zukunft auch Wasserstoff transportiert werden kann“, erklärt MGR. Die Inbetriebnahme ist bis Ende 2023 vorgesehen.
Ein aktuell aufsehenerregendes Bauprojekt ist die Anbindung des LNG-Terminals Wilhelmshaven mit H2-ready Stahlrohren von Mannesmann Line Pipe im Auftrag des Energienetzbetreibers Ewe Netz. Mit rund 16.000 t H2-ready Rohren trägt Mannesmann zum Ausbau der LNG-Infrastruktur im Nordwesten Deutschlands bei. Insgesamt liefert das Unternehmen etwa 4.100 Rohre im Abmessungsbereich DN 600 in den Längen 18 bis 12 Meter. Die Inbetriebnahme der Leitung soll Ende 2023 erfolgen.
Klimafreundlichere Stahlproduktion
Für die Herstellung von Rohren für den Wasserstofftransport werden H2-optimierte Stähle für sichere und langlebige Rohrleitungstransportsysteme benötigt, die auch Thyssenkrupp liefert. Der Konzern verfügt neben den niedriglegierten Stahlsorten X42 und X52, die zum Transport von gasförmigem Wasserstoff und Wasserstoffgemischen geeignet sind, über optimierte Werkstoffkonzepte für den Festigkeitsbereich bis X70. „Diese Stähle sind im Hinblick auf die zu erwartenden Normanforderungen von Längs- und Spiralnahtrohren zum Wasserstofftransport, insbesondere in Bezug auf eingeschränkte Gehalte an Kohlenstoff, Phosphor und Schwefel, optimiert“, erläutert Thyssenkrupp.
Auch die Produktion von Stahl soll – unter Zuhilfenahme von Wasserstoff – klimafreundlicher werden. Thyssenkrupp Steel investiert daher in die Dekarbonisierung seiner Stahlproduktion, womit auch die ökologische Bilanz von Stahlrohren wiederum verbessert wird. Daher beauftragte der Konzern SMS mit dem Engineering, der Lieferung und dem Bau einer wasserstoffbetriebenen Direktreduktionsanlage, zweier Einschmelzer und zugehöriger Nebenaggregate am Standort Duisburg. Es handelt sich um eines der weltweit größten industriellen Dekarbonisierungsprojekte mit einem Auftragsvolumen allein für SMS von über 1,8 Milliarden Euro, die Inbetriebnahme ist für Ende 2026 vorgesehen.
H2-Infrastruktur aufbauen
Mit SALCOS® (Salzgitter Low CO2 Steelmaking) strebt Salzgitter gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft und Forschung die Grundlagen für eine nahezu CO2-freie Stahlproduktion an. Zentrale Elemente des Programms sind Strom aus erneuerbaren Quellen und dessen Einsatz in der Produktion von Wasserstoff mittels Elektrolyse. „Dieser grüne Wasserstoff wird die Kohle ersetzen, die wir derzeit im konventionellen Hochofenprozess verwenden“, erläutert der Konzern. Möglich wird dies mithilfe sogenannter Direktreduktionsanlagen, in denen Eisenerz durch Wasserstoff direkt im festen Zustand zu Eisen reduziert wird. Bei dieser Technologie werde an Stelle von CO₂ Wasserdampf ausgestoßen.
Deutschland ist nicht ausreichend vorbereitet auf den Hochlauf der Wasserstoff-Wirtschaft. So lautet das Ergebnis der H2-Bilanz, einer Analyse des Energiekonzerns E.ON, die auf Daten des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln basiert. „Mit Blick auf das Jahr 2030 stellt sich heraus, dass weder die inländische Erzeugungskapazität von grünem Wasserstoff ausreicht, noch der deutsche Importbedarf gedeckt werden kann.“ Außerdem mangele es an der Infrastruktur – noch. Hier ist nun auch die Rohrbranche gefordert.
Innovationen aus dieser Branche werden auf der internationalen Leitmesse Tube vom 15. bis 19. April 2024 auf dem Düsseldorfer Messegelände gezeigt.
Quelle: Messe Düsseldorf GmbH / wire und Tube 2024 /
Vorschaubild: thyssenkrupp Steel Europe AG: Einweihung der ersten Wasserstoffpipeline zur Versorgung des Duisburger Werkes
(Foto: Gilles Le Van, Vice President Larges Industries und Energy Transition für Air Liquide Central Europe, die deutsche NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur und Bernhard Osburg, CEO von thyssenkrupp Steel)