Windenergie: Hochfeste Stähle machen Offshore-Türme leistungsfähiger
von Hubert Hunscheidt
Offshore-Windanlagen werden aus zahlreichen Einzelteilen zusammengeschweißt. Bei der Entwicklung immer größerer und damit leistungsfähigerer Anlagen in Leichtbauweise erweisen sich jedoch ausgerechnet die Schweißnähte als besondere Herausforderung. Daher testet die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) spezielle Legierungen, die die Nähte ertüchtigen und damit eine lange Lebensdauer der gesamten Anlage garantieren sollen.
Damit Windräder leistungsfähiger werden, müssen sie mit längeren Rotorblättern ausgerüstet werden. Gleichzeitig wachsen damit die Türme in die Höhe – auch, weil in oberen Luftschichten mehr und konstanterer Wind weht. Um die gigantischen Anlagen wirtschaftlich und technisch realisieren zu können, ist in naher Zukunft der Umstieg auf eine Errichtung in Leichtbauweise mit modernen hochfesten Stählen unvermeidlich.
Je nach Konstruktionstyp bestehen heutige Offshore-Anlagen aus bis zu 2000 Tonnen Stahl. Ein großer Teil davon wird für die Tragstrukturen verwendet, die unterhalb der Wasserlinie liegen. Bei einer konsequenten Errichtung in Leichtbauweise, d.h. mit hochfesten Stählen, ließen sich davon insgesamt bis zu 20 Prozent, also 400 Tonnen, einsparen.
Bislang galten hierbei die Schweißnähte als Schwachstelle, was u.a. auch dazu führte, dass die entsprechenden Regelwerke eine Ausschöpfung des Potentials dieser Stähle beim Bau von Windenergieanlagen aus Sicherheitsgründen aktuell nicht zulassen. Um die Größe und damit die Leistungsfähigkeit der Anlagen weiter zu steigern, sind jedoch hochfeste Stähle unverzichtbar, zumal Konstruktionen aus herkömmlichen Stählen aufgrund ihres Eigengewichts schlicht zu schwer wären.
„Windenergieanlagen sind, zumal auf See, gewaltigen Belastungen durch Wind und Wellen ausgesetzt, die das Material schwingend, d. h. zyklisch wechselnd, beanspruchen. Gerade die Schwingfestigkeit moderner hochfester Stähle wird durch den Schweißvorgang beeinträchtigt, weil dieser zu strukturellen Veränderungen im Material führt“, erklärt Arne Kromm, Experte für Schweißtechnik an der BAM. „Gleichzeitig werden diese Nähte während des Betriebs der Anlage am höchsten belastet.“ Zwar existieren bereits Methoden, Schweißnähte an besonders kritischen Stellen manuell nachzubearbeiten. Doch die Verfahren sind personal- und zeitintensiv und entsprechend teuer.
Aus diesem Grund testet die BAM in einem Kooperationsprojekt neuartige Schweißzusätze, die die Schweißnähte an den besonders kritischen Stellen ertüchtigen sollen. „Es handelt sich dabei um spezielle Legierungen. Sie bilden bei der Abkühlung eine Struktur aus, die die Eigenspannung im Material reduziert, so die Schweißnaht stabilisiert und ihre Schwingfestigkeit erhöht“, erklärt Arne Kromm.
Ziel ist es, der Industrie eine sichere Verarbeitung dieser speziellen Schweißzusätze zu ermöglichen. Gleichzeitig sollen die Erkenntnisse in die entsprechenden Regelwerke einfließen, damit diese entsprechend angepasst werden können. Relevant sind die Projektergebnisse nicht nur für Windenergieanlagen, sondern allgemein für den Maschinen-, Automobil- und Stahlbau, um das große Leichtbaupotenzial hochfester Stähle voll ausschöpfen zu können. Nicht zuletzt auch für die großen Spezialkräne, die benötigt werden, um noch gigantischere Windenergieanlagen errichten zu können.
Das Projekt, an dem auch das Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik (IWM) und die Forschungsvereinigung des Deutschen Verbands für Schweißen und verwandte Verfahren (DVS) beteiligt sind, wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz im Rahmen eines Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) gefördert.
Bildtext: Mit einer Infrarotkamera lassen sich innere Schäden an den Windenergieanlagen erkennen. Die BAM forscht zum sicheren Betrieb von Windenergieanlagen. Mit Infrarotkameras lassen sich innere Schäden an den Rotorblättern erkennen.
Quelle und Foto: Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM)