Wie Deutschlands Industrie den zweiten China-Schock überstehen kann
von Hubert Hunscheidt
Die deutsche Industrie, ein Kernstück der Wirtschaft mit rund 5,5 Millionen Arbeitsplätzen und einem Anteil von 20 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP), sieht sich einer tiefgreifenden Herausforderung gegenüber: Der "zweite China-Schock". Während die industrielle Produktion in Deutschland seit über fünf Jahren rückläufig ist, tritt China mit seiner boomenden Automobil-, Clean-Tech- und Luftfahrtindustrie zunehmend in direkte Konkurrenz.
Nach dem Platzen der chinesischen Immobilienblase 2021 hat China verstärkt in strategische Industrien investiert und seine Wirtschaft auf exportgetriebene Wachstumsmodelle ausgerichtet. Dies hat dazu geführt, dass chinesische Exporte weltweit Marktanteile gewinnen, während deutsche Exporte – insbesondere bei Kapital- und langlebigen Gütern – schrumpfen.
Im Vergleich zur ersten Phase der China-Globalisierung nach dem WTO-Beitritt des Landes 2001, als chinesische Exporte sich auf Konsumgüter konzentrierten, ist die Situation heute gravierender: Chinas Industrie produziert nun dieselben Hightech-Güter, die einst Deutschlands Domäne waren.
Insbesondere der Automobilsektor verdeutlicht die Lage: 2020 exportierte China noch keine Fahrzeuge netto, heute sind es 5 Millionen Einheiten jährlich. Deutschlands Nettoexporte in diesem Bereich sind hingegen um die Hälfte auf 1,2 Millionen Fahrzeuge gesunken. Auch die deutsche Green-Tech-Industrie steht unter wachsendem Druck durch die chinesische Subventionspolitik.
Um diese Herausforderungen zu meistern, muss Deutschland strategische Neuausrichtungen vornehmen:
-
Internationale Handelsüberwachung stärken
Deutschland sollte seine bisherige Zurückhaltung gegenüber der Regulierung großer Handelsüberschüsse aufgeben und sich für eine stärkere Rolle des IWF bei der Überwachung von Chinas Handelsüberschuss einsetzen. -
Europäische Industrie schützen
Die EU muss lebensfähige Industrien mit WTO-konformen Maßnahmen wie Antisubventionszöllen schützen, während kostengünstige Importe in nicht-strategischen Bereichen zugelassen werden. -
Subventionen an europäische Standards koppeln
Nationale und EU-weite Förderprogramme sollten "Buy-European"-Klauseln enthalten, um Chinas Subventionspolitik entgegenzuwirken und Standards zu setzen, die China nicht erfüllen kann. -
Gemeinsame EU-Industriepolitik entwickeln
Deutschland sollte die Führungsrolle übernehmen, um eine einheitliche europäische Industriepolitik zu etablieren und Tarif-Einnahmen aus Handelsabwehrmaßnahmen gezielt dafür zu nutzen.
Deutschland hat sowohl den politischen Spielraum als auch die Verantwortung, diese Herausforderungen aktiv anzugehen. In einer globalisierten Wirtschaft kann jedoch nur ein geeintes Europa Chinas expansive Industriepolitik erfolgreich entgegentreten.
Die gesamte Studie des Centre for European Reform steht hier als PDF-Dokument zur Verfügung.
Quelle: Centre for European Reform / Foto: Fotolia