Weiterentwicklung der Netzentgeltsystematik
von Alfons Woelfing
Die Deutsche Energie-Agentur (dena) hat gemeinsam mit Netzbetreibern, Industrieunternehmen und Verbänden Vorschläge zur Weiterentwicklung der Netzentgeltsystematik erarbeitet. Das Ziel der Taskforce Netzentgelte ist, ein netzdienliches, flexibleres Verbrauchsverhalten der Netznutzer zu ermöglichen und die gesetzlichen Rahmenbedingungen besser an den aktuellen und zukünftigen Anforderungen der Energiewende auszurichten. Dabei werden sowohl die betriebswirtschaftlichen Voraussetzungen und Notwendigkeiten der Unternehmen als auch die netz- und systemseitigen Bedürfnisse der Netzbetreiber berücksichtigt.
Die zwölf Maßnahmen der Taskforce beziehen sich auf Änderungen und Ergänzungen der Stromnetzentgeltverordnung, die sich relativ kurzfristig umsetzen lassen. Das schafft Handlungsspielraum, um mittelfristig das Thema und seine industrie- und klimapolitischen Aspekte grundsätzlich zu erörtern und strategisch auszugestalten. Zu klären ist, wie die Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland und der Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Verbrauchergruppen erreicht werden kann. Auch die rechtlichen Beschränkungen auf EU-Ebene müssen betrachtet werden.
"Die Netzentgelte werden in der weiteren Diskussion um die Finanzierung des Energiesystems eine zentrale Rolle spielen. Bisher beschränkt sich diese zu sehr auf die EEG-Umlage", sagt Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der dena-Geschäftsführung. "Erstmalig liegen nun Vorschläge vor, die von wesentlichen Akteuren aus Industrie und Netzwirtschaft gemeinsam getragen werden. Es ist klar, dass die weitere Diskussion nicht einfach wird, da es noch viele weitere Stakeholder gibt, die dieses Thema betrifft. Die Vorschläge der Taskforce Netzentgelte sind ein wichtiger Beitrag zu dieser Diskussion, die in dieser Legislaturperiode geführt werden muss."
Zusammenspiel der Akteure verbessern, mehr Flexibilität ermöglichen
Ein Vorschlag der Taskforce Netzentgelte ist, dass netzdienliches Verbrauchsverhalten grundsätzlich nicht zu höheren Netzentgelten führen sollte. Dieser Fall kann zum Beispiel eintreten, wenn ein Netznutzer Regelleistung zur Verfügung stellt, also seinen Verbrauch je nach Lage im Netz kurzfristig steigert oder verringert. Wenn es dabei durch eine besonders hohe Stromaufnahme zu einer abrechnungsrelevanten Lastspitze kommt, wird nach den aktuellen Regelungen ein erhöhtes Netzentgelt fällig. Das Risiko, dass diese Zusatzkosten die Erträge für die erbrachte Regelleistung übersteigen, wollen viele Netznutzer nicht eingehen. Ihre Flexibilitätspotenziale werden aus diesem Grund nicht genutzt.
Fast die Hälfte der Vorschläge bezieht sich auf die Regelungen zu besonderen Formen der Netznutzung nach Stromnetzentgeltverordnung § 19 Abs. 2. Nach Auffassung der Stakeholder sollten zum Beispiel die Regelungen zur sogenannten "atypischen Netznutzung" so angepasst werden, dass die Netzbetreiber die Möglichkeit haben, Hochlastzeitfenster zurückzunehmen. Hochlastzeitfenster sind Zeiträume, in denen üblicherweise die höchste Last im Netzgebiet auftritt. Die Netzbetreiber können diese Zeitfenster aktuell nur einmal im Jahr festlegen. Netznutzer, die sicherstellen, dass sie während der Hochlastzeitfenster nicht zur Höchstlast beitragen, zahlen dafür nach der aktuellen Regelung ein individuelles, reduziertes Netzentgelt. Aber nicht immer tritt während der prognostizierten Hochlastzeitfenster auch tatsächlich eine Hochlastsituation ein. Eine Rücknahme des Hochlastzeitfensters kann deshalb bewirken, dass die atypischen Netznutzer ihre Last nicht reduzieren müssen und ihren wertschöpfenden Produktionsprozess fortsetzen können. Für die Netzplanung der Netzbetreiber ist es darüber hinaus relevant, dass die atypischen Netznutzer die Hochlastzeitfenster verbindlich einhalten. Dieser Aspekt ist deshalb Gegenstand eines weiteren Vorschlags.
In der Frage, wie ein sehr großes, temporäres Angebot an erneuerbarer Energie besser genutzt werden kann, sieht die Taskforce Netzentgelte ebenfalls Handlungsbedarf. In solchen Situationen, zum Beispiel während eines Sturmtiefs, müssen Netzbetreiber derzeit oft Erneuerbare-Energien-Anlagen in ihrem Netzgebiet abregeln, um die Netzstabilität gewährleisten zu können. Um diese Abregelungen zu vermeiden und einen Anreiz für einen höheren Verbrauch in diesen Situationen zu setzen, sollen betroffene Netzbetreiber lokal sogenannte "Erneuerbare-Energien-Zeitfenster" ausgeben können. Während dieser Zeitfenster könnten Netznutzer im jeweiligen Netzgebiet mehr Energie verbrauchen, ohne dass dies für sie zu
höheren Netzentgelten führt.
Auch neue Betrachtungsansätze wie die Berücksichtigung der Netzanschlusskapazität in den Netzentgelten oder die Nutzung von Flexibilisierungsmöglichkeiten bei diskontinuierlichen Verbrauchern wurden von den Partnern diskutiert.
Unternehmen: Industrie- und klimapolitische Aspekte mit einbeziehen
Das Ergebnispapier thematisiert auch die Frage, wie klima- und industriepolitische Aspekte bei der Ausgestaltung der Netzentgelte berücksichtigt werden können. Dies ist vor allem wichtig für Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, denn die Energiekosten und damit auch die Netzentgelte sind in diesem Kontext von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung. Stark steigende Netzentgelte können das Risiko von Carbon Leakage, also der Abwanderung energieintensiver Produktion in Regionen mit geringeren Klima- und Umweltschutzauflagen, erhöhen. Regulatorische Veränderungen sollten daher systemisch gedacht werden. Wettbewerbsrechtliche Fragen, die hiermit zusammenhängen, könnten im Zuge der anstehenden Novellierung der EU-Beihilferichtlinie geprüft werden. Mit Blick auf die Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ist es wichtig, die Entwicklung von internationalen Vereinbarungen voranzutreiben.
Das Ergebnispapier der Taskforce Netzentgelte "Impulse zur Weiterentwicklung der Netzentgeltsystematik. Industrielles Verbrauchsverhalten im Rahmen der Energiewende netzdienlich gestalten" steht hier zum Download bereit.
Quelle: Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena) / Foto: marketSTEEL