Was ist dran an der Revolution in der Stahlproduktion für eine nachhaltige Zukunft?

von Hubert Hunscheidt

Die Stahlindustrie ist ein bedeutender Wirtschaftssektor und spielt aufgrund der vielseitigen Einsatzmöglichkeiten von Stahl als Werkstoff eine entscheidende Rolle für die globale Wirtschaft. Allerdings ist die konventionelle Stahlproduktion äußerst energieintensiv und verursacht hohe Mengen an Treibhausgasemissionen. Laut Schätzungen ist die Stahlindustrie für rund 7% bis 9% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Angesichts des wachsenden Drucks zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen und der Notwendigkeit, den Klimawandel einzudämmen, müssen Stahlhersteller alternative Wege finden, um ihre Produktion umweltfreundlicher zu gestalten.

Auf dem  G7-Gipfel auf Schloss Elmau 2015 vereinbarten die G7 -Staaten, die weltweiten Treibhausgasemissionen bis 2050 um 40 % bis 70 % im Vergleich zum Jahr 2010 zu reduzieren und die Weltwirtschaft bis 2100 vollständig zu dekarbonisieren.

Auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität legt das kürzlich novellierte Klimaschutzgesetz (KSG) für den deutschen Industriesektor ehrgeizige Ziele fest. So sollen bis 2030 die THG-Emissionen auf 118 Mio. Tonnen sinken. Das entspricht einer weiteren Reduktion um ein Drittel im Vergleich zu den Emissionen des Jahres 2021, die bei 181 Mio. Tonnen lagen. Green Steel stellt eine vielversprechende Lösung dar, um die hochgesteckten Dekarbonisierungsziele zu erreichen.​

Was ist Green Steel?

Der Begriff Green Steel oder Grüner Stahl, bezeichnet klimaneutralen oder CO2-armen Stahl, der mit innovativen Technologien und Verfahren produziert wird, um die Umweltauswirkungen der Stahlherstellung zu minimieren. Im Gegensatz zur konventionellen Stahlproduktion, die sehr energieintensiv ist und hohe Mengen an Treibhausgasen freisetzt, zielt Green Steel darauf ab, den CO2-Fußabdruck der gesamten Wertschöpfungskette zu reduzieren. Dabei soll der neue Standard LESS unterstützen. Der Low Emission Steel Standard (LESS) ist eine Initiative, die einen bedeutenden Meilenstein auf dem Weg zur Förderung klimafreundlicher Standards in der Stahlindustrie markiert.

LESS vereint nämlich beide Produktionsrouten der Stahlherstellung und ermöglicht eine Vergleichbarkeit der Dekarbonisierungsanstrengungen. Dabei gilt es zu betonen, dass es zum ersten Mal einen Standard gibt, der bis zum gewalzten Produkt geht. Darin liegt der eigentliche Unterschied zu bisherigen Ansätzen dieser Art. Mit LESS werden Produkte vergleichbar, denn niemand kauft flüssigen Stahl. Durch ein einheitliches Kennzeichnungssystem und eine stufenförmige Klassifizierung von CO2-arm hergestelltem Stahl schafft LESS
Transparenz und ermöglicht es Stahlverwendern, ihre Klimaziele mit Hilfe von nachhaltig produziertem Stahl zu erreichen.

Anwendungsbereiche für Green Steel

In der Automobilindustrie wird Green Steel beispielsweise für Antriebswellen und Crashmanagement-Komponenten eingesetzt. Durch optimierte Materialeigenschaften für spezifische Anwendungen kann in einigen Fällen eine Materialeffizienzsteigerung erzielt werden, die indirekt zu einer Gewichtsreduktion und damit zu Emissionseinsparungen beim Fahrzeugbetrieb führen kann. Über das erforderliche Know-how verfügen die Stahlwerke der Swiss Steel Group: Der flüssige Stahl wird in der Stranggießanlage zu Knüppeln
gegossen und im Walzwerk zu Draht oder Stabstahl verarbeitet. Die planvolle Steuerung der Temperatur beim Walzen spielt eine entscheidende Rolle für die Ausbildung des gewünschten Gefüges und der mechanisch-technologischen Eigenschaften des Rohmaterials.

Für die Herstellung von hoch- und höherfestem Spezialstahl variieren die Stahlhersteller den sogenannten Abzug beim Ziehprozess. Je grösser die Reduktion des Stabdurchmessers beim Ziehen, desto höher ist der Verfestigungsgrad. Durch gezielte Wärmebehandlungen beeinflusst die Swiss Steel Group die mechanisch-technologischen Eigenschaften des Stahls – so wird der Werkstoff zum Beispiel in Bezug auf seine Verzugseigenschaften verbessert.

Das Ergebnis sind innovative Spezialstähle, welche die allgemeine Gegenläufigkeit von Werkstoffeigenschaften bzgl. Zähigkeit und Festigkeit durchbrechen. Im Maschinen- und Anlagenbau sorgt Green Steel für höchste Festigkeit bei Bauteilen, die hohen Belastungen ausgesetzt sind. Die gute Umform- und Schweißbarkeit des Werkstoffs ermöglichen zudem effiziente Fertigungsprozesse. Auch in der Medizintechnik kommt der umweltschonende Hightech-Stahl zum Einsatz, wo Edelstahl und Hygiene gefragt sind, beispielsweise für chirurgische Instrumente.

Herstellung von Green Steel

Es existieren vereinfacht gesagt zwei gängige Methoden zur Stahlerzeugung. Stahl wird entweder unter Einsatz von Eisenerz und Koks im Hochofen produziert, wobei bis dato noch kein grüner Stahl hergestellt werden kann, oder in einem Elektrolichtbogenofen aus Stahlschrott. Die Swiss Steel Group (SSG) setzt beispielsweise ausschließlich die Elektro-Lichtbogenofen-Technologie ein. Laut einer Studie der Swiss Steel Group liegen die CO2-Emissionen bei der Elektro-Lichtbogenofenroute rund 83% unter dem Branchendurchschnitt.
Aus dem umfangreichen Green-Steel-Portfolio der Swiss Steel Group können deren Kunden das am besten geeignete Produkt für ihren Weg in eine nachhaltige Zukunft auswählen. Dazu zählt Green Steel Climate+, der für solche Anwender gedacht ist, die ihre Nachhaltigkeitsbemühungen noch weiter vorantreiben möchten. Diese Produkte werden ausschließlich mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen, wie Wind, Solar und Wasser, hergestellt und weisen daher einen noch geringeren CO2-Fußabdruck auf.

Hinzu kommt Green Steel Stainless+, der sich durch seine Eigenschaften auszeichnet: Je nach Anforderungsprofil ist er korrosions- und hitzebeständig, bietet ausgezeichnete mechanische Eigenschaften oder ist nicht-magnetisch. ​Zudem punktet er durch seine optischen und architektonischen Vorteile, was ihn besonders attraktiv für vielfältige Einsatzmöglichkeiten macht. Beispiele hierfür sind die Verwendung in der Bauindustrie, in der Automobilbranche, für Haushaltsgeräte und in der Medizin-, Luft- und Raumfahrttechnik. Green Steel Stainless+ wird nach ISO 14021 mit über 95 % recyceltem Material hergestellt.

Zukunftsaussichten & Innovationen

Green Steel ist ein zukunftsweisender Lösungsweg, um die Stahlherstellung klimafreundlich zu gestalten und ihre Umweltauswirkungen deutlich zu reduzieren. Trotz bestehender Herausforderungen bei Infrastruktur und Kosten steckt in Green Steel großes Potenzial, einen wesentlichen Teil zur Dekarbonisierung der Industrie beizutragen. Mit stetiger Forschung und Entwicklung werden die Verfahren konstant optimiert und effizienter. Um die verbleibenden Hindernisse auf dem Weg zu einer weitgehend dekarbonisierten Stahlindustrie zu meistern, ist die Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Industrie und Forschungseinrichtungen dringend erforderlich. Nur durch enge Kooperation können Herausforderungen wie der Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur, die Verfügbarkeit und erschwingliche Kosten von Ökostrom sowie hochwertige Schrotte bewältigt werden. Gleichzeitig sind Investitionen und Innovationen seitens der Industrie erforderlich, um die Wettbewerbsfähigkeit des nachhaltigen Stahls zu gewährleisten.

Quelle und Foto: Swiss Steel Holding AG

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