Was braucht es auf dem Weg zu grünem Stahl?
von Hubert Hunscheidt
Hohe Energiekosten, teure Grundstoffe und eine wachsende Konkurrenz aus Asien – die deutsche Stahlindustrie steckt in der Krise. Zugleich muss sich die Branche einer historischen Aufgabe stellen. Innerhalb weniger Jahre soll sie klimaneutral werden. Ist Schrottrecycling die ideale Lösung auf dem Weg dorthin? Der Einsatz von Schrott sei sinnvoll, aber allein nicht die Lösung, darin sind sich Sandrina Sieverdingbeck, Geschäftsführerin der DEUMU, und Dr. Matthias Gierse, langjähriger kaufmännischer Geschäftsführer des Kaltwalzers Waelzholz, im Gespräch einig. Das Familienunternehmen Waelzholz treibt die Transformation des Unternehmens intensiv voran, sieht aber die internationale Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr. „Die Industrie hat ihre Hausaufgaben gemacht, jetzt muss die Politik die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen“, so Gierse. Was es für ein Level Playing Field braucht, und welche Rolle der CO₂-Grenzausgleichsmechanismus CBAM dabei spielt, diskutiert Waelzholz auch mit dem Direktor der Denkfabrik Agora Industrie, Frank Peter, in der Podcast-Reihe „Steel to Zero“
Die Stahlproduktion ist energie- und rohstoffintensiv. Durch den Einsatz von Stahlschrott können Rohstoffe eingespart und CO2-Emissionen reduziert werden. In der Branche wird daher zunehmend über einen verstärkten Einsatz von Stahlschrott diskutiert - insbesondere vor dem Hintergrund der Transformation zu grünem Stahl. Die ausschließliche Verwendung von Schrott bei der Stahlerzeugung im Elektrolichtbogenofen (EAF) bedeutet eine Einsparung von etwa 1,67 Tonnen CO2 pro Tonne erzeugten Stahl. „Stahl ist super recyclingfähig“, sagt Podcast-Gast Sandrina Sieverdingbeck, Geschäftsführerin der DEMU, einer 100-prozentigen Tochter der Salzgitter AG. Doch die verfügbare Schrottmenge reiche bei einem weltweiten Stahlbedarf von rund zwei Milliarden Tonnen bei weitem nicht aus. „Wir können uns nicht allein auf das Recyclingprodukt Schrott verlassen“, sagt Dr. Gierse. „Es wird auch weiterhin der Primärrohstoff Erz benötigt.“
Höchste Qualität braucht Primärstahl
Neben der endlichen Verfügbarkeit von Stahlschrott, spielt auch die Qualität eine Rolle, die mit Stahlschrott erzielt werden kann. „Die Qualitäten, die aus einem EAF-Prozess mit Schrott erzeugt werden können, sind stark davon abhängig, wie gut der eingesetzte Schrott vorsortiert worden ist und, ob es sich um Alt- oder Neuschrotte handelt“, so Sieverdingbeck. Und Dr. Gierse ergänzt: „Was wir bei Waelzholz für unsere hochwertigen Produkte beispielsweise nicht gebrauchen können, sind Spurenelemente aus Nichteisenmetallen. Für höchste Qualitätsanforderungen in Anwendungsbereichen wie der Automobilindustrie wird die Stahlerzeugung aus Erz weiterhin notwendig sein“.
Die internationale Wettbewerbsfähigkeit ist in Gefahr
Die deutsche Stahlproduktion ist im Jahr 2023 um fast 4 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken und hat damit den niedrigsten Stand seit der Finanzmarktkrise 2009 erreicht, meldet die Wirtschaftsvereinigung Stahl. Die Entwicklung ist alarmierend, denn zwei Drittel der deutschen Exporte sind stahlintensiv. Zudem sichert jeder Arbeitsplatz in der Stahlindustrie sechs weitere. Auch bei der Energiewende spielt Stahl eine zentrale Rolle: Wind- und Wasserkraft, Generatoren aus E-Band, Elektrolyseure für grünen Wasserstoff - all das ist ohne Stahl nicht denkbar. „Derzeit ist unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit massiv gefährdet, daher müssen jetzt Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Transformation in Deutschland und Europa geschaffen werden“, betont Matthias Gierse.
Vergleichbare Regeln auf globaler Ebene
Ein zentrales Instrument auf dem Weg zu einem Level Playing Field ist unter anderem der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM), der Carbon Leakage, also das Abwandern emissionsintensiver Unternehmen, verhindern soll. Die Wirksamkeit dieses Instruments sieht Waelzholz allerdings äußerst kritisch. „CBAM trägt nicht dazu bei, die Wettbewerbsfähigkeit der stahlverarbeitenden Industrie in Deutschland zu stärken“, meint Gierse. Leider sehe er derzeit auch keine Alternativlösungen, die die europäische Industrie nicht beschädigen würden. „Die einzige denkbare Lösung sind multilaterale Abkommen mit vergleichbaren Regeln und damit global vergleichbaren Kostenbelastungen der Produktion. Die Erfolgsaussichten schätze ich aber als sehr gering ein.“
Deutschland habe auf internationaler Ebene versucht, einen Klimaclub zu initiieren, in dem Mitglieder solche Regeln miteinander vereinbaren. „Bisher sind solche Initiativen allerdings noch zu klein“, meint Podcast-Gast Frank Peter, Direktor der Denkfabrik Agora Industrie. Eine andere Möglichkeit wären womöglich Sektorabkommen, beispielsweise zur Stahlindustrie. „Bis es hier Lösungen gibt, wird man versuchen, sich mit Alternativen wie CBAM-Regimes zu helfen“, so Peter. Die kürzlich veröffentlichte Agora-Studie ‚Klimaneutrales Deutschland – von der Zielsetzung zur Umsetzung‘ sieht im Emissionshandel in Verbindung mit dem CBAM daher einen der zentralen preisbasierten Anreize für die Transformation der Industrie.
Stahl ist ein wichtiger Grundstoff für die Technologien, die Klimaneutralität erst ermöglichen werden – Windkraftanlagen sind nur eines von vielen Beispielen. „Deshalb ist die Stahlindustrie ein entscheidender Akteur beim Übergang zu einer klimaneutralen Industrie. Nur mit grünem Stahl werden die Bemühungen zur Einschränkung des Klimawandels gelingen“, betont Peter.
Freiwilliger Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht
„Und Waelzholz wird seinen Beitrag dazu leisten“, betont Gierse. Selbstverständlich stehe Waelzholz hinter dem Pariser Klimaabkommen. Deshalb hat Waelzholz eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsstrategie erarbeitet und daraus Maßnahmen abgeleitet, um die direkten und indirekten Emissionen weiter zu reduzieren. Besonderen Wert legt Waelzholz auf Transparenz und Nachvollziehbarkeit. So hat das Unternehmen ein Verfahren entwickelt, mit dem der produktbezogene Fußabdruck aller Produkte genau berechnet und an die Kunden kommuniziert werden kann. Auch wurde ein erster freiwilliger Nachhaltigkeitsbericht für das Geschäftsjahr 2022/2023 veröffentlicht - in Vorbereitung auf die ab 2026 verpflichtende Berichterstattung.
„Wir setzen unseren Weg der Transformation konsequent fort und möchten mit unserem Nachhaltigkeitspodcast ‚Steel to zero‘ noch mehr Transparenz schaffen, konstruktive Diskussionen anregen bzw. verstärken und Impulse geben. Denn die Transformation zu grünem Stahl ist eine Gemeinschaftsaufgabe und kann nicht allein gelingen“, betont Matthias Gierse.
Podcastreihe „Steel to Zero“
Die erste Folge der 2022 etablierten Podcastreihe ist ab Mitte November auf den gängigen Podcast-Plattformen verfügbar sowie aufrufbar unter dem Link: waelzholz.com/steeltozero
Quelle: C.D. Wälzholz GmbH & Co. KG / Foto: marketSTEEL