Verzerrtes Bild der Digitalisierung als Job-Killer
von Hubert Hunscheidt
Ist die Digitalisierung ein Job-Killer? Die meisten Studien deuten nicht darauf hin, dass durch die ¬mit der Digitalisierung einhergehende Automatisierung mehr Arbeit wegfällt, als neue entsteht. Dennoch tendiert die öffentliche Meinung dazu, Automatisierung als Gefahr wahrzunehmen. Eine solche Automatisierungsangst wirkt sich wiederum auf politische und gesellschaftliche Präferenzen sowie auf individuelle Arbeitsmarktentscheidungen aus und nimmt so Einfluss auf die Auswirkungen der Digitalisierung. Aber: Informationskampagnen können dabei helfen, die verzerrte Wahrnehmung in der Bevölkerung zu korrigieren – das sind zentrale Ergebnisse einer Umfrage des ZEW Mannheim.
Aus der ZEW-Studie geht hervor, dass Bürger/innen in Deutschland und in den USA die fortschreitende Automatisierung fürchten: Die Mehrheit der Befragten geht davon aus, dass Arbeitsplätze verloren gehen und gerade geringqualifizierte Arbeitnehmer/innen betroffen sind – die Ungleichheit nimmt zu, so zumindest die vorherrschende Annahme. Ein Drittel macht sich darüber hinaus Sorgen um die eigene Perspektive auf dem Arbeitsmarkt. Dieses Ausmaß an Automatisierungsangst ist allerdings wissenschaftlich unbegründet: „Die aktuelle Studienlage deutet eher darauf hin, dass Automatisierung mehr neue Arbeitsplätze schafft, als alte zerstört“, sagt Prof. Dr. Melanie Arntz, Co-Autorin der Studie und stellvertretende Leiterin des ZEW-Forschungsbereichs „Arbeitsmärkte und Sozialversicherungen“. Automatisierungsängste, insbesondere in den USA, hängen zudem eng mit allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Überzeugungen der Befragten zusammen. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Wahrnehmung der Digitalisierung auch eine Folge fehlenden Faktenwissens sein könnte.
Information relativiert die Automatisierungsangst
Was also tun, um der falschen Erzählung etwas entgegenzusetzen? „In unserer Studie haben wir festgestellt, dass Informationskampagnen die entsprechenden Befürchtungen mildern können. Befragte, die über Studienergebnisse informiert wurden, dass sich die Automatisierung nicht negativ auf die Gesamtbeschäftigung auswirkt, waren danach weniger besorgt; die Information hat also Automatisierungsängste relativiert“, so Arntz. Der genaue Effekt der Informationskampagne war zudem besonders stark unter denjenigen, die zuvor technologischen Wandel und dessen Auswirkungen auf die Bedeutung der menschlichen Arbeitskraft besonders pessimistisch einschätzten.
Bedenken beeinflussen Digitalisierungstrend
Die Forscher/innen stellen auch fest, dass die Frage, ob der Einzelne den Neuentwicklungen positiv gegenübersteht oder nicht, tatsächliche Konsequenzen hat: „Menschen, die Automatisierung als eine Bedrohung wahrnehmen, fordern mehr Intervention und Unterstützung durch die Politik“, sagt Dr. Sebastian Blesse, Wissenschaftler im ZEW-Forschungsbereich „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“. Verglichen mit Deutschland ist der Ruf nach politischer Intervention in den USA besonders laut, so die Forscher/innen. „Da in den USA das Wohlfahrtsystem und die Umverteilung nicht so sehr ausgeprägt sind wie in Deutschland, drückt sich die Automatisierungsangst dort stärker durch politische Forderungen gegenüber dem Staat aus, auf die mutmaßliche Bedrohung zu reagieren“, so Blesse.
Die verzerrte Wahrnehmung beeinflusst somit auch die politischen Bedürfnisse in einer Gesellschaft. Und auch das individuelle Engagement, nicht nur das politische, wird beeinflusst, wie sich aus der ZEW-Studie ergibt: Digitalisierungssorgen gehen mit einer höheren Bereitschaft einher, sich auf Veränderungen einzustellen, den Beruf zu wechseln oder in die eigene Ausbildung zu investieren. Es zeigt sich aber auch: Informationskampagnen reduzieren zwar Automatisierungsängste; die Schlüsse, die Menschen aus diesen Informationen für politisches und individuelles Handeln ziehen unterscheiden sich jedoch stark zwischen denjenigen mit grundsätzlich optimistischen oder pessimistischen Voreinstellungen. Allgemeine Informationskampagnen eignen sich daher kaum, um den politischen Konsens in einer Gesellschaft zu fördern.
Quelle: ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH / Foto: Fotolia