Wirtschaftsweise fordern Insolvenzregeln für Euro-Staaten
von Hans Diederichs
Der jüngste Konflikt zwischen der griechischen Regierung und ihren Partnern im Euro-Raum hat an den Grundfesten der Europäischen Währungsunion gerüttelt. Nach Ansicht des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung werfen die schwierigen Verhandlungen ein Schlaglicht auf die hohe Dringlichkeit weiterer Reformen.
Daher regt der Sachverständigenrat in seinem am Dienstag veröffentlichten Sondergutachten an, die Architektur der Währungsunion weiter zu stärken. Zu diesem Zweck hat er unter dem Stichwort „Maastricht 2.0“ einen langfristigen Ordnungsrahmen entworfen, der dem Leitgedanken der Einheit von Haftung und Kontrolle folgt. Die europäische Bankenunion solle durch die Weiterentwicklung des Abwicklungsregimes und durch Begründung einer eigenständigen Allfinanzaufsicht vorangetrieben werden. Das Problem des Risikoverbunds zwischen Banken und Staaten solle weiter entschärft werden.
Vor allem aber solle der Krisenmechanismus ausgebaut werden, um Staatsinsolvenzen geordnet durchführen und der fehlenden Kooperationsbereitschaft eines Krisenstaates entschieden entgegentreten zu können. Die strikte Einhaltung von Fiskalregeln sei der einzige Weg, um das Problem hoher Altschulden zu überwinden.
Insolvenzverfahren für Mitgliedstaaten
„Es gilt, durch die konsequente Anwendung von Fiskalregeln die Staatsschulden zu reduzieren und durch die Etablierung einer Insolvenzordnung die Nicht-Beistandsklausel glaubwürdig zu machen“, sagt Christoph M. Schmidt, Vorsitzender des Sachverständigenrates. „Für den Zusammenhalt der Währungsunion müssen wir anerkennen, dass Wähler in Gläubigerstaaten nicht bereit sind, Schuldnerstaaten dauerhaft zu finanzieren.“
Nach Ansicht des Sachverständigenrates wäre der Insolvenzmechanismus ein wichtiges Instrument zur Krisenprävention: Ähnlich der bereits beschlossenen Gläubigerbeteiligung bei Bankinsolvenzen solle eine Verlustbeteiligung bei Staatspleiten möglich sein. Dies setze für Investoren den Anreiz, die Ausfallrisiken von Staatsanleihen genauer abzuschätzen. Die hohen aktuellen Schuldenstände machen laut Sachverständigenrat die Einführung starrer Verschuldungsgrenzen für einen Insolvenzmechanismus impraktikabel.
Dennoch sollten die Euro-Staaten jetzt eine Insolvenzordnung erarbeiten. Diese würde die Gefahr reduzieren, dass Steuerzahler wieder zum einseitigen Vorteil der Anleihegläu- biger in die Pflicht genommen würden, wenn ein hoch verschuldetes Land ins Straucheln geriete. Ein dauerhaft unkooperativer Staat dürfe den Euro nicht existenziell bedrohen. Daher muss nach Ansicht des Sachverständigenrates der Austritt eines Mitgliedstaates aus der Währungsunion als Ultima Ratio möglich sein.
Griechenland-Krise lenkt von Erfolgen der europäischen Krisenpolitik ab
Die wiederkehrenden Debatten über die Hilfen für Griechenland lenken nach Ansicht des Sachverständigenrates von den Erfolgen der Krisenpolitik ab. Erstens wurde eine finanzielle Systemkrise abgewendet, die allen Mitgliedern der Währungsunion massiv geschadet hätte. Zweitens wurden wichtige Institutionen, wie die Bankenunion oder der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), geschaffen, die den Euro-Raum widerstandsfähiger machen. Drittens federten die Hilfsprogramme in den Krisenländern die Auswirkungen der Krise ab.
„Ohne die Hilfe der europäischen Partner und des IWF wären die Krisenländer zu viel schmerzhafteren Anpassungen gezwungen worden“, sagt Professor Schmidt. „Die Hilfskredite haben die erforderliche Haushaltskonsolidierung über mehrere Jahre gestreckt. Die Rettungsprogramme trugen daher zur Verhinderung einer schärferen Austeritätspolitik bei.“
Das von Kritikern der Rettungspolitik empfohlene „Herauswachsen aus den Schulden“ wäre nach Ansicht des Sachverständigenrates aufgrund der schwachen Wirtschaftsstruktur in Griechenland zum Scheitern verurteilt. Die wirtschaftliche Kehrtwende in Irland, Portugal, Spanien und – bis Ende letzten Jahres – auch Griechenlands zeige, dass der Grundsatz „Kredite gegen Reformen“ zum Erfolg führen könne. Für das Gelingen des neuen Hilfsprogramms für Griechenland brauche es eine stärkere Bereitschaft für tiefe strukturelle Reformen. Dazu solle die von den europäischen Partnern angebotene technische Expertise genutzt werden.
Kurzfristig wirksame Maßnahmen könnten langfristig eine Gefahr bergen
Kurzfristig wirksame Maßnahmen zur Abwendung akuter Probleme bergen laut Sachverständigenrat langfristig eine Gefahr für den Euro-Raum. Daher wendet sich der Sachverständigenrat gegen aktuell diskutierte Reformvorschläge wie die Einrichtung einer Fiskalkapazität, einer europäischen Arbeitslosenversicherung oder einer Wirtschaftsregierung für den Euro-Raum.
Denn die Übertragung potenzieller Kosten auf die Gemeinschaft ohne einen entsprechenden Souveränitätsverzicht der Mitgliedstaaten in der Finanz- und Wirtschaftspolitik wird über kurz oder lang zu erhöhter Instabilität führen. Ein Mitglied des Sachverständigenrates, Peter Bofinger, hat zu wesentlichen Punkten des Sondergutachtens ein Minderheitsvotum abgegeben. Er sieht die Lösung der gegenwärtigen Probleme in einer stärkeren politischen Integration der Eurozone und der EU. "Der Weg zu mehr politischer Integration in Europa ist schwierig, aber letztlich alternativlos", so Bofinger in seinem abschließenden Statement.
Das vollständige Gutachten als PDF finden Sie hier.
Quelle: Sachverständigenrat Bildtext: Ratsmitglieder 2014 (Foto: Sachverständigenrat)