Offshore-Windindustrie ist Fundament für ein industriell starkes Europa
von Hubert Hunscheidt
Die Branchenverbände der deutschen Offshore-Windindustrie sowie die Stiftung Offshore-Windenergie haben heute die Zubauzahlen für das erste Halbjahr 2023 vorgestellt. Nach den durch das Beratungsunternehmen Deutsche WindGuard aufbereiteten Zahlen gingen in Deutschland in den ersten sechs Monaten des Jahres 24 Offshore-Windenergieanlagen (OWEA) mit einer Leistung von 229 Megawatt (MW) neu ans Netz. Insgesamt sind damit in der deutschen Nord- und Ostsee nun 1.563 OWEA mit einer Gesamtleistung von 8.385 MW in Betrieb. Das im Bau befindliche Projekt Arcadis Ost 1 macht weiter Fortschritte und wird aller Voraussicht nach vor Ende des Jahres in Betrieb genommen werden.
„Die Offshore-Windindustrie soll bis 2030 zusätzlich 22 Gigawatt (GW) an Leistung auf See installieren. Die Entwicklung der vergangenen Monate stimmt positiv. Nach Jahren des schwachen Zubaus steht die Branche in den Startlöchern, um eine Vielzahl an Projekten umzusetzen. Die Zuschlagswerte der letzten Offshore-Ausschreibung zeigen, dass Offshore-Windenergie einen starken Beitrag zur Dekarbonisierung und zur kostengünstigen Bereitstellung von Energie leisten kann. Die ungedeckelte Gebotskomponente und das dynamische Gebotsverfahren im Ausschreibungsdesign lassen aber zu wenig Spielraum für Erträge der herstellenden Offshore-Windindustrie. Dringend benötigt wird eine Anpassung der unausgereiften qualitativen Kriterien in den Ausschreibungen, um die Realisierungswahrscheinlichkeit der Projekte zu erhöhen und den europäischen Wertschöpfungsanteil zu stärken. Das WindSeeG muss daher noch in diesem Jahr dringend angepasst werden“, kommentieren die Branchenorganisationen BWE, BWO, Stiftung OFFSHORE-WINDENERGIE, VDMA Power Systems, WAB e.V. und WindEnergy Network e.V. die aktuelle Entwicklung.
„Um die Ausbauziele erreichen zu können, bedarf es einer industriepolitischen Strategie. Diese muss die Kapazitätssicherung und den Kapazitätsaufbau der Branche unterstützen, um die energiepolitischen und für den Klimaschutz erforderlichen Zubauziele mit Wertschöpfung verknüpfen zu können. Wesentlich dabei muss eine Stärkung der europäischen Wertschöpfungskette der Offshore-Windindustrie sein. Die Branche tritt an vielen Stellen auch finanziell in Vorleistung und geht damit ein wirtschaftliches Risiko ein. Industrieübergreifend, etwa im Schiffbau, müssen deutsche Werften für den Bau von Gründungsstrukturen, Umspann- und Konverterplattformen, Spezialschiffen für Service und Wartung sowie für die Errichtung in die Lage versetzt werden, ihren Beitrag für die Energiewende leisten zu können. Die Kapazität der Seehäfen einschließlich der Hinterland-Anbindung und der Kapazitäten für den Transport im Binnenland sind ein erkennbarer Bottleneck.
Auch für die Sicherheit der maritimen kritischen Infrastruktur sowie deren Schutz vor Sabotage gilt es, Lösungen zu erarbeiten. Ferner bedarf es zum Schutz der Fachkräfte einem Rettungskonzept für die küstenferneren Standorte. Dies können die Offshore-Windenergie-Betreiber finanzieren, aber nicht allein organisieren.
Die Offshore-Windindustrie bietet in den kommenden Jahren deutlich wachsende Beschäftigungspotenziale. Um in der Konkurrenz um Fachkräfte mithalten zu können, sind Maßnahmen wie eine Ausbildungsoffensive zur Gewinnung internationaler Fachkräfte und gezielte Kampagnenarbeit für akademische und berufliche Ausbildungen wichtig. Hierzu sind umgehend ein branchenspezifisches Ausbildungsmarketing, die Einführung von Englisch als Antragssprache für Anerkennungsverfahren und generell im Visumsprozess sowie eine personelle Stärkung der Behörden zur Sachbearbeitung erforderlich“, fordern die Organisationen.
Bereits zu Beginn des Jahres hatten die Verbände kritisiert, dass der Zubau der kommenden Jahre nach den Plänen der Bundesregierung nicht gleichmäßiger erfolgen soll, sondern in teils erratischen Sprüngen. Dies erschwert den nachhaltigen Aufbau von Produktionskapazitäten unnötig. Es braucht eine Verstetigung des jährlichen Zubaus auf hohem Niveau, damit die Kapazitäten im Lauf der Jahre gleichmäßiger ausgelastet werden können. Dies sollte auch möglichst europäisch koordiniert werden.
„In der Ostend Declaration haben die neun Nordseeanrainerstaaten ihre Selbstverpflichtung zu den Ausbauzielen für die Windenergie auf See unterstrichen. Bis 2030 sollen 120 GW, bis 2050 300 GW Offshore-Windenergieleistung installiert sein, hinzu kommt das Vereinigte Königreich mit perspektivisch weiteren 100 GW. Die Kooperation bei der künftigen Erzeugung grünen Wasserstoffs aus Offshore-Windenergie und beim Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur soll verstärkt werden. Die von den EU-Mitgliedstaaten unverbindlich vereinbarten Ziele für die Ostsee von 22,5 GW bis 2030, 34,6 GW bis zum Jahr 2040 und 46,8 GW bis zum Jahr 2050 wurden bekräftigt.
Um diesen Ausbau der Windenergie auf See in Nord- und Ostsee erreichen zu können, müssen nun umgehend die richtigen Weichen gestellt werden. Unter anderem braucht es Präqualifikationskriterien für eine resiliente Lieferkette und zielgenaue qualitative Ausschreibungskriterien zur Differenzierung im Wettbewerb. Es gilt, die Energiesouveränität Europas und die Dekarbonisierung der energieintensiven Industrie sowie die grüne Schifffahrt zu ermöglichen.
Die Offshore-Windindustrie muss endlich in die Lage versetzt werden, ihren Platz in der Energiewende als Wirtschaftsmotor einnehmen zu können: Sie ist das Fundament für ein souveränes und industriell stark aufgestelltes Europa“, so die Verbände abschließend.
Quelle: VDMA / Foto: Parkwind & Heerema