Mit höherem Forderungsrisiko gegen Konjunkturflaute
von Hubert Hunscheidt
In der aktuellen wirtschaftlichen Schwächephase setzen Osteuropas Lieferanten auf höhere Forderungsrisiken und gewähren ihren Firmenkunden wieder deutlich mehr und längere Zahlungsziele. Das geht aus dem heute veröffentlichten Zahlungsmoralbarometer des internationalen Kreditversicherers Atradius für die Region hervor. Demnach räumten die befragten Unternehmen ihren Kunden in den vergangenen zwölf Monaten im Durchschnitt bei 67,2 % der Umsätze einen Warenkredit ein - ein deutlicher Anstieg gegenüber der Vorjahresstudie. Damals gewährten die Umfrageteilnehmer nur bei 38,8 % des Geschäftsvolumens ihren Kunden ein Zahlungsziel. Auch die Zahlungsfristen sind insgesamt lockerer geworden. Zuletzt lagen sie bei durchschnittlich 37 Tagen, im Jahr zuvor noch bei 34 Tagen.
"Die abkühlende Weltkonjunktur macht sich auch in Osteuropa bemerkbar und verschärft den Wettbewerb um Aufträge und Kunden. Mehr und längere Zahlungsziele sind in dieser Situation ein überaus probates Mittel, um im Geschäft zu bleiben und Umsätze zu sichern", sagt Mathias Freudenreich, Country Manager von Atradius in der Schweiz. "Lieferanten und Dienstleister sollten dabei allerdings die derzeit wieder steigenden weltweiten Insolvenzzahlen im Auge behalten. Diese Risiko-Strategie geht nur auf, wenn Forderungen entsprechend abgesichert sind."
Slowakei: Kaum noch Geschäfte ohne Lieferantenkredit
Die aktuelle Atradius-Befragung zeigt große Unterschiede hinsichtlich der Gewährung von Lieferantenkrediten in den einzelnen osteuropäischen Ländern. Mit einem Anteil von 91,4 % an ihrem Gesamtumsatz handelten Unternehmen in der Slowakei in den vergangenen zwölf Monaten besonders häufig Geschäfte mit Zahlungszielen mit ihren Firmenkunden aus. Im Vorjahreszeitraum lag der Wert noch bei 51,4 %. Unternehmen in der Tschechischen Republik räumten bei 87,6 % ihrer Geschäfte in den vergangenen zwölf Monaten ein Zahlungsziel ein (Vorjahresbefragung: 43,3 %). Auf der anderen Seite neigten polnische und bulgarische Firmen am seltensten dazu, Zahlungen erst nach Lieferung zu akzeptieren: Bei den befragten Unternehmen in Polen war dies nur bei 48,5 % des Umsatzes der Fall (Vorjahresbefragung: 30,5 %), bei bulgarischen Unternehmen gar nur bei 33,6 % (Vorjahresbefragung: 24,4 %).
Die im Ländervergleich längsten Zahlungsziele gewährten Lieferanten und Dienstleister in der Türkei mit durchschnittlich 59 Tagen, gefolgt von Rumänien (40 Tage) und Polen (38 Tage). Die kürzesten Zahlungsziele gab es gemäß der Atradius-Studie zuletzt in Ungarn mit 29 Tagen, gefolgt von Bulgarien (30 Tage) und der Tschechischen Republik (31 Tage).
Türkei: Unternehmen erfahren schlechteste Zahlungsmoral in der Region
Das Zahlungsmoralbarometer von Atradius gibt auch Einblicke in die jüngsten Zahlungserfahrungen von osteuropäischen Unternehmen im Firmengeschäft. Demnach waren zuletzt insgesamt 24,4 % des Gesamtwerts der Rechnungen der Umfrageteilnehmer am Fälligkeitstermin noch nicht beglichen. Im Ländervergleich waren türkische Lieferanten und Dienstleister am häufigsten die Leidtragenden von säumigen Kunden: 41,5 % ihrer Außenstände waren im Befragungszeitraum zu spät oder gar nicht beglichen. Die beste Zahlungsmoral erfuhren bulgarische Unternehmen. Hier waren nur 18,2 % der Forderungen bei Ablauf der Zahlungsfrist noch offen.
Uneinbringliche Forderungen: Polnischer Maschinenbau ragt heraus
Mit 1,8 % vermeldete die verarbeitende Industrie in Osteuropa den im Branchenvergleich größten Anteil von offenen Forderungen, die als uneinbringlich abgeschrieben und damit als Verlust verbucht werden mussten. Den wenig schmeichelhaften Spitzenplatz in dieser Kategorie nahm zuletzt der polnische Maschinenbau ein: 3,7 % der Außenstände waren hier im Befragungszeitraum uneinbringlich. In der Türkei mussten im Elektronikhandel 3,5 % der Außenstände als Verlust abgeschrieben werden, im Agrarbereich 3,2 % und in der chemischen Industrie 3,1 %. Auch in der tschechischen Konsumgüterbranche gab es zuletzt erhebliche Unsicherheiten. Hier blieben die Unternehmen auf 2,6 % ihrer Forderungen sitzen. Der Durchschnitt der uneinbringlichen Forderungen in Osteuropa lag zuletzt bei 1,2 % des Gesamtwerts der Außenstände.
Das Atradius Zahlungsmoralbarometer Osteuropa
Atradius erhebt für das Zahlungsmoralbarometer Osteuropa jedes Jahr Informationen über das Zahlungsverhalten im Firmengeschäft in sieben Ländern. Für die aktuelle Ausgabe wurden mehr als 1.500 Unternehmen in Bulgarien, Polen, Rumänien, der Slowakei, der Tschechischen Republik, der Türkei und Ungarn zu ihren Zahlungserfahrungen und
-erwartungen sowie zu ihren Maßnahmen im Forderungsmanagement mit ihren Kunden im In- und Ausland befragt. Die Studie umfasste dabei kleine und mittelständische Firmen sowie große Konzerne aus unterschiedlichen Branchen.
Quelle: Atradius N.V. / Vorschaufoto: fotolia