Mineralölversorgung klappt auch ohne Russland

von Hubert Hunscheidt

Die EU hat als Reaktion auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine umfangreiche Sanktionen gegen Russland verhängt. Sie ergänzen bereits bestehende Maßnahmen, die ab 2014 nach Annexion der Krim und Nichtumsetzung der Minsker Vereinbarungen gegen Russland verhängt wurden. Mit den Wirtschaftssanktionen soll dafür gesorgt werden, dass Russlands Vorgehen schwerwiegende Konsequenzen nach sich zieht und eine Fortsetzung der Aggression wirksam erschwert oder unterbindet. Im Energiebereich betreffen die Sanktionen Mineralöl und Kohle sowie neuerdings auch verflüssigtes Erdgas (LNG).

Der Europäische Rat verabschiedete im Juni 2022 ein 6. Sanktionspaket, das den Erwerb, die Einfuhr oder den Transport von Rohöl sowie bestimmten Erdölerzeugnissen auf dem Seeweg aus Russland in die EU verbietet. Die Beschränkungen gelten seit Dezember 2022 für Rohöl und seit Februar 2023 für Mineralölprodukte. Da der Großteil des russischen Öls, das in die EU gelangt, auf dem Seeweg transportiert wird, erfasst das Embargo rund 90 Prozent der bisherigen russischen Öllieferungen nach Europa. Zwischenzeitlich endeten auch die Lieferungen über die Pipeline Druschba zu den mineralölverarbeitenden Betrieben in Ostdeutschland.

Zusätzlich hat die EU eine Preisobergrenze für Rohöl, Erdöl und Öl aus bituminösen Mineralien, die ihren Ursprung in Russland haben oder aus Russland ausgeführt werden, festgelegt. Die Preisobergrenze beträgt 60 US-Dollar je Barrel für Rohöl, 45 US-Dollar je Barrel für weniger hochwertige Erdölerzeugnisse und 100 US-Dollar je Barrel für hochwertige Erdölprodukte. Diese Werte können geändert werden, um Marktentwicklungen und technischen Änderungen Rechnung zu tragen. Die Preisobergrenzen sollen hohe Preissteigerungen begrenzen und die Einnahmen Russlands aus dem Verkauf von Mineralöl verringern. Zusätzlich hat die EU die Beförderung von russischem Rohöl und von Erdölerzeugnissen durch EU-Schiffe in Drittländer verboten. Das Verbot umfasst auch die Bereitstellung von technischer Hilfe, Vermittlungsdiensten, Finanzmitteln oder Finanzhilfen. Dieses Verbot gilt jedoch nicht, wenn das Rohöl oder die Erdölerzeugnisse zu Preisen erworben werden, die unter den festgelegten Preisobergrenzen liegen.

Das Sanktionspaket der EU gegen die Einfuhr, den Transport und den Handel mit Mineralöl und Mineralölprodukten aus Russland hat erhebliche Auswirkungen auf den internationalen Ölmarkt. Bemerkenswert ist, dass die durch das Sanktionspaket verursachten deutlichen Lieferrückgänge nicht zu Versorgungsengpässen geführt haben und durch Lieferungen aus anderen Ländern oder Regionen ersetzt werden konnten. Die weltweite Verflechtung des Ölhandels, die Sicherstellung der europäischen Versorgung und Versuche Russlands, die Exporte in die EU durch Lieferungen in andere Länder zu kompensieren, lassen jedoch eine stetige Marktbeobachtung ratsam erscheinen.

Deutschland ordnet Lieferquellen neu

Die Versorgung Deutschlands mit importiertem Rohöl basierte 2021 zu 34,1 Prozent und 2022 zu 25,4 Prozent auf Lieferungen aus Russland. Russland war in der Vergangenheit mit weitem Abstand der wichtigste Rohöllieferant für Deutschland. Das EU-Sanktionspaket sorgte 2023 für einen abrupten Rückgang der Lieferungen bis auf eine marginale Restgröße. Ein Versorgungsengpass konnte jedoch abgewendet werden, weil unter anderem der inländische Mineralölverbrauch 2023 konjunkturbedingt um rund 5 Prozent auf 88,4 Millionen Tonnen (Mio. t) zurückging. Auf längere Sicht ist dagegen vor allem die Ausrichtung auf neue Lieferländer und die veränderte Bedeutung der einzelnen Rohöllieferanten bedeutsam.
2023 importierte Deutschland 77,2 Mio. t Rohöl. Die USA rückten an die Spitze der Rohöllieferanten für Deutschland. Im Vergleich zu 2021 erhöhte sich der Import aus den USA um mehr als 38 Prozent auf 14,2 Mio. t. Knapp dahinter mit 13,8 Mio. t rangierte Norwegen, das im Vergleich zu 2021 seine Menge um über 76 Prozent steigern konnte. Gewachsen sind auch die Importe aus Libyen, Saudi-Arabien und dem Irak sowie Großbritannien und Kasachstan. Neu oder von einem sehr niedrigen Niveau starteten Guyana, die Vereinigten Arabischen Emirate sowie Kanada. Der Ersatz von Öllieferungen aus Russland führte damit nicht zu neuen einseitigen Abhängigkeiten, sondern zu einer größeren Diversifikation der deutschen Rohölbezüge.

Besonderes Augenmerk auf Dieselkraftstoff

Von den meisten Verbrauchern unbemerkt, jedoch stetig, hatte sich der Anteil Russlands an den deutschen Diesel-Importen erhöht. Im Jahre 2000 wurden erst etwa 15 Prozent der Einfuhren nach Deutschland durch Lieferungen aus Russland gedeckt, 2020 waren es dagegen knapp 41 Prozent. Infolge des europäischen Sanktionspakets vom Februar 2023 sackte der Anteil 2023 auf unter 5 Prozent ab. Den historischen Höchststand hatte der Anteil 2020 mit 40,8 Prozent erreicht. Ähnlich wie bei den Rohölimporten erfolgte auch beim Dieselkraftstoff eine Veränderung der Bezugsstruktur, um den Fortfall der Lieferungen aus Russland auszugleichen.

Anders als bei den kräftig gefallenen Rohölimporten verzeichnete die Einfuhr von Diesel-Kraftstoff 2023 einen Anstieg um 7,6 Prozent. Der inländische Absatz sank um 3,6 Prozent auf 33,4 Mio. t, liegt damit aber fast doppelt so hoch wie der der Ottokraftstoffe, was die große volkswirtschaftliche Bedeutung des Mitteldestillats unterstreicht und zu besonderer Achtsamkeit bei der Versorgungssicherheit zwingt. Immerhin konnte Deutschland 2023 fast 67 Prozent des Bedarfs an Diesel aus der heimischen Mineralölverarbeitung decken.

Bei den Diesel-Importen, deren Anteil 2023 bei gut 43,2 Prozent am Gesamtverbrauch lag, sprangen als Ersatz für das bisherige Lieferland Russland vor allem die Niederlande und Belgien ein. Beide Länder lieferten 2023 etwa 9,9 Mio. t Dieselkraftstoff nach Deutschland. Die Niederlande erhöhten ihre Ausfuhren nach Deutschland auf 7,3 Mio. t (plus 16 Prozent gegenüber 2022), die Menge an Diesel aus Belgien stieg auf 2,6 Mio. t (plus 68 Prozent gegenüber 2022). Da beide Länder als EU-Mitglieder den Sanktionsvorschriften unterliegen, dürften die Mengen direkt oder indirekt aus nicht-russischen Quellen stammen. Ähnliches gilt für die Diesel-Importe aus Schweden (0,35 Mio. t), Großbritannien (0,31 Mio. t) sowie den USA (0,89 Mio. t). Alle drei Staaten erhöhten die Lieferungen an Deutschland prozentual kräftig, allerdings auf (noch) niedrigem Niveau.

Erstmals stammten auch Lieferungen aus Kuwait (0,48 Mio. t), den Vereinigten Arabischen Emiraten (0,31 Mio. t) sowie Saudi-Arabien (0,04 Mio. t). Unklarheit hinsichtlich der Herkunft besteht allerdings bei den Lieferungen aus Indien, die sich 2023 auffällig auf 1,1 Mio. t (plus etwa 1.000 Prozent gegenüber 2022) erhöhten.

Alte Tugenden pflegen

Die in den zurückliegenden beiden Jahrzehnten stark gestiegene Abhängigkeit der deutschen Mineralölversorgung von Lieferungen aus Russland wurde im Zuge der EU-Sanktionspakete innerhalb kürzester Zeit abgebaut und durch eine Ausweitung der Bezugsquellen ausgeglichen. Dies gilt für die Versorgung mit Rohöl aber auch für wichtige Mineralölprodukte wie den volkswirtschaftlich besonders bedeutsamen Dieselkraftstoff.

Überwiegend stammten die zusätzlichen Lieferungen aus Ländern, die den europäischen Sanktionsvorgaben unterliegen. Einige neue Lieferländer außerhalb der EU sollten jedoch der sorgfältigen Marktbeobachtung unterliegen, um sicherzustellen, dass Russland die EU-Sanktionen nicht unterläuft. Insgesamt ist an die Stelle einseitiger hoher Abhängigkeiten wieder eine deutlich breiter diversifizierte Versorgung getreten.

Quelle: Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen e.V. / Foto: marketSTEEL

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