Leicht aufgehellter Ausblick des Sachverständigenrats

von Hubert Hunscheidt

Der kurzfristige Ausblick auf die deutsche Wirtschaft hat sich aufgrund einer vorerst stabilisierten Energieversorgungslage und gesunkener Großhandelspreise leicht aufgehellt.
Die weiterhin erhöhte Inflation sorgt jedoch für Kaufkraftverluste und dämpft die Konsumnachfrage. Zudem verschlechtern die steigenden Zinsen die Finanzierungsbedingungen und führen zu einem Rückgang der Investitionen.

Für Deutschland erwartet der Sachverständigenrat Wirtschaft ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 0,2 % im Jahr 2023 und von 1,3 % im Jahr 2024.
Die Inflation dürfte im Jahresverlauf zwar rückläufig, aber noch deutlich erhöht bleiben und für 2023 durchschnittlich 6,6 % betragen. Für das kommende Jahr erwartet der Sachverständigenrat eine Inflationsrate von 3,0 %.

Der kurzfristige Ausblick auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland hat sich gegenüber dem Herbst 2022 leicht verbessert, die Lage bleibt aber angespannt. Die hohe Inflation stellt in diesem Jahr weiterhin eine große Belastung für die Konjunktur dar. Der Sachverständigenrat Wirtschaft erwartet im laufenden Jahr ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,2 Prozent und für das Jahr 2024 ein Wachstum von 1,3 Prozent. „Der inflationsbedingte Kaufkraftverlust, die schlechteren Finanzierungsbedingungen und die sich nur langsam erholende Auslandsnachfrage verhindern einen stärkeren Aufschwung in diesem und im kommenden Jahr“, sagt Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrates Wirtschaft.

Nach Einschätzung des Sachverständigenrates hat die Inflation ihren Hochpunkt vom Herbst 2022 überschritten. Sie ist aber immer noch deutlich erhöht und dürfte nur langsam zurückgehen. Im Jahresdurchschnitt rechnet der Sachverständigenrat im Jahr 2023 mit einer Inflationsrate von 6,6 Prozent. „Die Inflation kommt zunehmend in der Breite der Wirtschaft an“, erläutert Martin Werding, Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft. „Die gestiegenen Erzeugerpreise und die zu erwartenden Lohnsteigerungen dürften die Verbraucherpreisinflation noch bis ins kommende Jahr hinein hoch halten.“ Erst im Jahr 2024 dürfte die Teuerungsrate merklich auf 3,0 Prozent zurückgehen.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat angesichts der hohen Inflation begonnen, ihre Anleihebestände zu reduzieren, und die Leitzinsen deutlich angehoben. Dies verschlechtert die Finanzierungsbedingungen für Haushalte und Unternehmen, was sowohl die Konsumnachfrage als auch die Investitionen dämpft. Die straffere Geldpolitik dürfte sich erst im Verlauf des Jahres merklich auf die Inflation auswirken und deren Entwicklung spürbar bremsen. „Die Inflation ist noch weit vom Ziel der EZB von zwei Prozent entfernt, daher dürften weitere Zinserhöhungen in diesem Jahr erforderlich sein. Die hohe Unsicherheit an den Finanzmärkten der vergangenen Wochen erschwert allerdings die Inflationsbekämpfung durch die Zentralbanken“, erklärt Ulrike Malmendier, Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft.

Trotz der angespannten wirtschaftlichen Lage entwickelt sich der Arbeitsmarkt in Deutschland stabil. Die Erwerbstätigkeit dürfte bis Ende 2024 leicht zunehmen. Für die Effektivlöhne erwartet der Sachverständigenrat aufgrund der zuletzt höheren Tarifabschlüsse und zusätzlicher Inflationsausgleichsprämien in den Jahren 2023 und 2024 einen deutlichen Anstieg von 5,9 beziehungsweise 4,5 Prozent. „Zumindest für das Jahr 2023 ist der Lohnanstieg niedriger als die erwartete Inflation. Mit einem Anstieg der Reallöhne ist erst im kommenden Jahr zu rechnen. Dies wird voraussichtlich den privaten Konsum beleben“, sagt Achim Truger, Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft.

Für die öffentlichen Finanzen hat sich der Ausblick spürbar verbessert. Insbesondere die erwarteten Ausgaben für die Energiepreisbremsen fallen deutlich niedriger aus als im Herbst 2022 angenommen. Der Sachverständigenrat erwartet einen Finanzierungssaldo in Relation zum BIP von -1,6 Prozent im Jahr 2023 und -0,4 Prozent im Jahr 2024. Die Schuldenstandsquote dürfte von 67,4 Prozent im vergangenen Jahr auf 63,5 Prozent im kommenden Jahr sinken.

Energiekrise noch nicht vorbei

Begünstigt durch den milden Winter 2022/23 und die weiterhin geringe Gasnachfrage aus Ostasien hat sich die Energieversorgung vorerst stabilisiert. Die Großhandelspreise für Energie sind deutlich gesunken. Insgesamt haben damit die kurzfristigen Abwärtsrisiken für die deutsche Wirtschaft abgenommen. Für den Winter 2023/24 bleibt jedoch die Gefahr erneuter Preissprünge oder gar einer Gasmangellage bestehen. Die seit Januar geltenden Energiepreisbremsen begrenzen die möglichen Kostensteigerungen für die Endkundinnen und -kunden. Die aktuell niedrigeren Energiepreise dürften allerdings den Anreiz zum Energiesparen schwächen.

Es bestehen weiterhin erhebliche Risiken für die Energieversorgungslage im kommenden Winter. „Die Energiekrise ist noch längst nicht vorbei. Um die Gasspeicher wieder vollständig aufzufüllen und eine Gasmangellage im kommenden Winter zu verhindern, müssen wir weiterhin umfangreich Energie sparen. Dies gilt auch, wenn es gelingt, die Importmöglichkeiten auszuweiten“, warnt Veronika Grimm, Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft.

Positiv auf die Entwicklung des BIP-Wachstums könnte sich die Abkehr Chinas von der strikten Null-Covid-Politik auswirken. Dies dürfte die Nachfrage aus China erhöhen und damit den deutschen Außenhandel positiv beeinflussen. Gleichzeitig besteht allerdings das Risiko, dass zunehmende geopolitische Spannungen zwischen den USA und China den Welthandel belasten.

Aktuelle Lage an den Finanzmärkten

Die Unsicherheit an den Finanzmärkten ist zwar durch die Schließung der Silicon Valley Bank und die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS zuletzt gestiegen. Anders als in der globalen Finanzkrise basieren die Schwierigkeiten einzelner Banken aber nicht auf weitgehend wertlosen Finanzprodukten. Zudem sind derzeit der Interbankenmarkt und die Kreditversorgung der Realwirtschaft nicht gestört. Die Finanzmarktstabilität dürfte daher nach Einschätzung des Sachverständigenrates aktuell nicht gefährdet sein.

Quelle: Sachverständigenrat im Statistischen Bundesamt / Foto: Fotolia

Zurück