Von der Politik Aussage zur Sicherung des Industriestandorts Deutschland gefordert
von Hubert Hunscheidt
Der Maschinen- und Anlagenbau fordert von der Politik klare Aussagen, wie die Industriestandorte Deutschland und Europa in den kommenden Jahren gesichert und gestärkt werden sollen. "Wir stehen mitten in einer neuen, intensiven Standortdebatte, die wir mit großer Offenheit führen sollten. Es geht darum, in Gesellschaft und Politik der Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit der Wirtschaft wieder zu angemessener Bedeutung zu verhelfen. Deutschland und Europa müssen sich im globalen Wettbewerb mehr anstrengen, um mit anderen Weltregionen mithalten zu können", sagte VDMA-Präsident Karl Haeusgen vor Medienvertretern auf der Hannover Messe. "Beispielhaft hierfür steht die fehlende Debatte über verlängerte Wochen- und Lebensarbeitszeiten", betonte er.
Zwar gibt es im Maschinen- und Anlagenbau derzeit keine breite Verlagerungsdebatte, wie eine aktuelle Umfrage des Verbands unter seinen Mitgliedsfirmen zeigt. Demzufolge hegen vier von fünf Unternehmen keine Verlagerungsgedanken. "Trotzdem können wir mit einer Politik, die die Industrie mit Regulierungen überhäuft und eben nicht auf unternehmerische Freiheit im Wettbewerb setzt, nicht zufrieden sein", mahnte Haeusgen. Damit die mittelständische Industrie im Standortwettbewerb bestehen kann, brauche es jetzt vielmehr:
- flexiblere Arbeitsmärkte, um dem Arbeitskräftemangel zu begegnen,
- eine deutliche und nachhaltige Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, die über das bisher Erreichte hinausgeht,
- einfachere administrative Prozesse und weniger Bürokratie insbesondere für den Mittelstand, vor allem mit Blick auf EU-Regulierung,
- eine steuerliche Forschungsförderung ohne die bisherige Begrenzung sowie die Einführung der sogenannten „Super-AfA“ im Sinne einer 100prozentigen Sofortabschreibung,
den konsequenten Abbau von überflüssigen Subventionen.
"Man kann gute Ideen für die notwendige Transformation auch durch Subventionsabbau gegenfinanzieren. Aber der Weg bis 2035 muss jetzt von der Ampel-Koalition und der EU klar und verlässlich vorgezeichnet werden, und er muss industrie- und mittelstandsfördernd ausgestaltet werden", betonte Haeusgen. "Dies ist umso wichtiger, als der Maschinen- und Anlagenbau erst dann seine führende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel so richtig ausspielen kann!"
Produktionsplus in den ersten Monaten 2023
Der Maschinen- und Anlagebau hat seine Produktion in Deutschland zu Jahresbeginn wieder spürbar gesteigert, nachdem 2022 mit einem schwachen Produktionszuwachs von real 0,5 Prozent abgeschlossen wurde. In den ersten beiden Monaten 2023 wurde nach vorläufigen Zahlen ein Produktionsplus von 3,2 Prozent erreicht. Stark rückläufig war dagegen der Auftragseingang: Im Januar und Februar gingen die Bestellungen kumuliert um real 17 Prozent zum Vorjahr zurück. "Dieser Orderrückgang ist eine Folge der weltweiten wirtschaftlichen Abkühlung, die Investoren verunsichert. Nach wie vor verbuchen wir jedoch nur geringe Auftragsstornierungen, und der Auftragsbestand von zuletzt 11,6 Monaten stützt die Produktion weiterhin", erläuterte Haeusgen.
Engpässe in den Lieferketten entspannen sich weiter
Positiv sei zudem, dass sich die Engpässe in Folge gestörter Lieferketten inzwischen deutlich entspannen, ergänzte er. Der Höhepunkt der Knappheiten wurde im Juni 2022 registriert, als laut VDMA-Umfrage 87 Prozent der Mitgliedsfirmen merkliche oder gravierende Schwierigkeiten in ihren Lieferketten hatten. Im März 2023 waren es nur noch 57 Prozent der Firmen. Zwar hat sich die Lage aufgrund weiterhin bestehender Versorgungslücken bei Elektronikkomponenten noch längst nicht normalisiert. Die meisten Unternehmen erwarten jedoch weitere Entspannung in den nächsten Monaten.
"Wir bestätigen daher unsere Prognose für 2023 und erwarten weiterhin ein reales Produktionsminus von 2 Prozent", sagte Haeusgen. Das aktuell leicht verbesserte konjunkturelle Umfeld wird sich erst zeitverzögert in Auftragseingang und Umsatz der Branche niederschlagen.
Maschinen- und Anlagenbau bleibt größter industrieller Arbeitgeber
Auch in unruhigen Zeiten hält der Maschinen- und Anlagenbau an seinen Beschäftigten fest. Zum Ende des vergangenen Jahres waren 1,018 Millionen Menschen in Maschinenbaubetrieben beschäftigt - ein Plus von 1,1 Prozent zum Vorjahr. "Wir sind unverändert größter industrieller Arbeitgeber im Land. Viele Unternehmen hätten gern noch mehr Personal eingestellt, werden aber durch die Engpässe auf dem Arbeitsmarkt gebremst", sagte der VDMA-Präsident. Laut aktueller Umfrage ist der Arbeitskräftemangel die größte Herausforderung der Branche:
- 97 Prozent der Firmen spüren derzeit Engpässe bei Fachkräften, 85 Prozent bei Ingenieurinnen und Ingenieuren; durchschnittlich 5 Prozent der Stellen für Fachkräfte können nicht besetzt werden.
- Die Fachkräfte-Engpässe haben sich seit 2021 kontinuierlich verschärft; jede/r zweite Betrieb geht von weiterer Verschärfung aus, nur 5 Prozent rechnen mit einer Entspannung.
83 Prozent der Unternehmen gehen von wachsendem Personalstand bis Jahresende aus; 82 Prozent wollen zusätzliche Fachkräfte einstellen, 63 Prozent zusätzliche Ingenieurinnen und Ingenieure. - Das Stellenangebot für Nachwuchskräfte wächst weiter, insbesondere das Angebot für gewerblich-technische Ausbildungsplätze.
"Die Situation auf dem Arbeitsmarkt kann uns nicht zufriedenstellen, auch hier findet ein intensiver Standortwettbewerb zwischen vielen Ländern statt", warnte der VDMA-Präsident. Es müsse jetzt gelingen, mehr junge Menschen zum Schulabschluss zu führen und in die duale Ausbildung zu bringen. "Wir müssen die technische Bildung in der Schule verbessern und das Fach Technik einführen. Wir müssen mehr Mädchen für technische Berufe begeistern. Und wir müssen mehr Frauen in Vollzeitarbeit bringen, indem die Zahl der Kita-Plätze und Ganztagsschulen ausgebaut wird. Die Unternehmen wiederum haben die Pflicht, ihre Belegschaften weiterzubilden und ein modernes Arbeitsumfeld anzubieten", sagte Haeusgen.
Standortkriterien für Deutschland und Europa
Um den Industriestandort Deutschland und Europa attraktiv zu halten, müssen jetzt nach Ansicht des VDMA zudem noch andere Stellschrauben gedreht werden. Dazu zählen:
Bürokratie und öffentliche Verwaltung: Es fehlt eine Erfolgskontrolle für die bisher getroffenen Maßnahmen. Benötigt wird darüber hinaus eine weitere deutliche und nachhaltige Beschleunigung von Genehmigungsverfahren. Es braucht einfachere administrative Prozesse und weniger Bürokratie, insbesondere für den Mittelstand, vor allem mit Blick auf die laufende und kommende EU-Regulierung.
Unternehmensbesteuerung: Die Ertragssteuerbelastung für Kapitalgesellschaften liegt im Durchschnitt der OECD-Länder bei 23,5 Prozent, in Deutschland sind es 29,9 Prozent. Es braucht ein international wettbewerbsfähiges, innovations- und investitionsfreundliches Steuersystem.
Arbeitskosten: Deutschland ist mit Arbeitskosten von knapp 47 Euro je Stunde einer der teuersten EU-Maschinenbaustandorte. Ein solches Hochlohnland braucht zwingend mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt. Dazu führt an der Verlängerung von Wochen- und Lebensarbeitszeit kein Weg vorbei. Außerdem muss die Fachkräfteeinwanderung weiter entbürokratisiert werden, indem die Zeitarbeit eingebunden wird.
Digitale Infrastruktur: Deutschland muss den Ausbau der digitalen Infrastruktur enorm beschleunigen, gerade im ländlichen Raum, in dem viele mittelständischen Maschinenbaufirmen ihren Sitz haben.
Freihandel: Zu guten Standortbedingungen gehört auch, Exportmärkte von Drittländern offenzuhalten und bestehende Handelshemmnisse in Märkten abzubauen. Dafür braucht es Freihandelsabkommen mit den wichtigsten Handelspartnern.
"Deutschland und Europa habe sich gerade in den vergangenen 30 Jahren seit der Gründung des EU-Binnenmarkts eine starke Stellung in der Welt als führender Wirtschaftsraum gesichert. Jetzt gilt es, den großen Binnenmarkt so zu reformieren, dass er auch künftig als Vorbild für viele Regionen dient, mit denen verlässlich Handel getrieben werden kann", erläuterte Haeusgen.
Wie sehr die Entwicklung des EU-Binnenmarkts auch den Maschinen- und Anlagenbau geprägt hat, zeigt die neue Online-Publikation des VDMA, "Maschinenbau in Zahl und Bild". Sie versammelt nicht nur eine große Anzahl von Statistiken und interaktiven Schaubildern aus der Branche, sondern widmet sich auch in mehreren Beiträgen der Erfolgsgeschichte von 30 Jahre EU-Binnenmarkt - unter anderem in einem Interview mit Professor Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, sowie einer neuen Folge des Industrie Podcast des VDMA.
Manufacturing-X geht an den Start
Der Maschinen- und Anlagenbau steht mit seinen Produkten im Zentrum industrieller Produktionsprozesse. Die Branche sorgt mit ihren Lösungen dafür, dass die globale Kundschaft aus der produzierenden Industrie die nötige Resilienz entwickeln kann. Zugleich steht der Maschinen- und Anlagenbau im Zentrum neuer, datenbasierter Wertschöpfung rund um die industrielle Produktion. Beispiele hierfür sind die vom VDMA mitentwickelte Weltsprache der Produktion, OPC UA, oder die Industrial Digital Twin Association.
Auf der Hannover Messe 2023 steht nun als nächster Schritt der Aufbau eines föderativen Datenökosystems Manufacturing-X im Fokus. Es geht dabei um die Erschaffung eines offenen und souveränen Datenraums für die Industrie im B2B-Geschäft.
Die Vorteile eines solchen föderativen Datenraums sind:
- Unternehmen können Daten teilen, ohne sie zu verlieren,
- Daten müssen nicht mehr zentral eingespeist werden,
eine Alternative zu zentralen Plattformen, die bis dato im B2B-Geschäft nicht funktioniert haben, wird entwickelt, - Informationen können geteilt werden, ohne Kontrolle und Souveränität über die eigenen Daten zu verlieren,
Die Voraussetzungen für die Entfaltung digitaler Mehrwertdienste sind damit gegeben, die Basis für individuelle Mehrwertdienste der Unternehmen kann gelegt werden.
Der VDMA wird sich mit seiner internationalen Vernetzung in den Aufbau einer entsprechenden multinationalen Manufacturing-X Community einbringen - dies in enger Abstimmung mit dem Partnerverband ZVEI und der Politik.
Quelle: VDMA / Foto: marketSTEEL