Kerkhoff erwartet Schicksalsjahr für die Stahlindustrie

von Alexander Kirschbaum

Auf der heutigen Handelsblatt-Tagung „Stahlmarkt“ in Düsseldorf sparte Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, nicht mit mahnenden Worten. „2016 ist ein Schicksalsjahr für die Stahlindustrie: Politische Weichenstellungen in der Handels- und Klimapolitik sind für die Zukunft des Stahls in Deutschland und Europa entscheidend“, teilte Kerkhoff den anwesenden Journalisten mit. Um im aktuellen globalen Umfeld die Herausforderungen meistern zu können, brauche es eine wirksame europäische Außenhandelspolitik und in der Klimapolitik eine Ausgestaltung des Emissionsrechtehandels ohne Bedrohung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit. Den dramatischen Entwicklungen auf den Stahlmärkten könne sich auch die wettbewerbsfähige Stahlindustrie in Deutschland nicht entziehen.

EU-Stahlmarkt bedroht

Das internationale Wettbewerbsumfeld sei in einem Umfang verzerrt, wie es die Stahlindustrie bislang noch nicht erlebt habe. So sind die globalen Stahlexporte im vergangenen Jahr auf ein Rekordlevel von 355 Millionen Tonnen gestiegen, davon entfällt nahezu jede dritte Tonne auf China. Die chinesische Stahlindustrie hat in den letzten drei Jahren ihre Stahlexporte auf 111 Millionen Tonnen verdoppelt, die Anbieter in der restlichen Welt haben sie dagegen um 20 Millionen Tonnen reduziert. Ein großer Teil des chinesischen Materials werde zu Dumpingpreisen auf den Märkten angeboten, so der Verbandspräsident auf der heutigen Pressekonferenz beim Handelsblatt Euroforum "Stahlmarkt".

In seiner Rede wies Kerkhoff darauf hin, dass der offene EU-Stahlmarkt besonders besonders sei. Dies zeige sich an den gestiegenen Importen 2015, aber auch an den deutlich zurückgegangenen Exporten in Folge von Verdrängungseffekten auf den internationalen Märkten. Nehme man beides zusammen, ergebe sich ein alarmierender Befund: Keine andere Region musste im vergangenen Jahr in derartigen Umfang eine Verschlechterung im Stahl-Außenhandelssaldo hinnehmen wie die EU, nämlich um minus 9 Millionen Tonnen, während China ein Plus von 20 Millionen Tonnen verbuchen konnte.

Europa als bevorzugter Absatzmarkt

Vor allem chinesische Anbieter orientieren sich Kerkhoff zufolge sich mehr und mehr in Richtung des offenen EU-Marktes. Im vergangenen Jahr haben sie ihre Exporte in die EU um mehr als 50 Prozent gesteigert. In den inzwischen durch Handelsschutzmaßnahmen gut abgesicherten nordamerikanischen Markt gingen sie dagegen 2015 um mehr als ein Viertel zurück. Dementsprechend hat sich die Auftragslage in der deutschen Stahlindustrie im vierten Quartal deutlich verschlechtert. Die Bestellungen sanken um 6 Prozent gegenüber dem Vorjahres-Quartal, der Auftragsbestand sogar um 13 Prozent auf 7,2 Millionen Tonnen.

Für Deutschland erwartet die Wirtschaftsvereinigung Stahl einen Rückgang der Rohstahlproduktion um 3 Prozent auf 41,5 Millionen Tonnen. Zwar befinde sich die Kapazitätsauslastung in der Branche mit 86 Prozent noch auf einem relativ hohen Niveau. „Dies darf jedoch nicht den Blick auf eine zunehmend als bedrohlich eingestufte wirtschaftliche Lage verstellen“, warnte der Verbandspräsident.

"Spielräume voll ausschöpfen"

„Das Handelsschutzinstrumentarium der EU muss zeitnah und konsequent angewendet werden, um Schaden von der heimischen Industrie abzuwehren“, forderte Kerkhoff auf der Handelsblatt-Tagung. Es sei ein erster Schritt, dass Freitag vorläufige Zölle gegen unfaire Kaltfeinblech-Importe aus China und Russland verhängt wurden. Die Höhe sei jedoch bei weitem nicht ausreichend. Obwohl Dumpingspannen für chinesische Importe von fast 60 Prozent nachgewiesen werden konnten, wurden nur Zölle zwischen 14 und 16 Prozent festgelegt.

Ursache sei unter anderem die „Regel des geringsten Zolls“ (lesser duty rule), die häufig dazu führe, dass Schutzzölle in der EU niedriger seien als in anderen Ländern und das eigentlich festgestellte Dumping nicht ausgleichen. Eine solche Regel zum Nachteil der heimischen Industrie werde weder von der WTO vorgeschrieben, noch von einer anderen Industrienation angewendet. „Die bestehenden Spielräume müssen voll ausgeschöpft werden“, so Kerkhoff. Außerdem müssten Verfahrenszeiten auf ähnliche Zeiträume verkürzt werden, wie sie etwa in den Vereinigten Staaten üblich seien.

"China keine Marktwirtschaft"

Am gestrigen Montag demonstrierten Tausende europäische Stahlarbeiter gegen die drohende Verleihung des Marktwirtschaftsstatus an China. Hans Jürgen Kerkhoff, der ebenfalls an der Demonstration in Brüssel teilnahm, wendete sich heute noch einmal scharf gegen eine Anerkennung Chinas als Marktwirtschaft im Dezember. Dass China seine Strukturprobleme exportiere, sei ein Beleg für die mangelnde Bereitschaft der chinesischen Regierung Anpassungsmaßnahmen zu ergreifen. „Abgesehen davon, dass dieses planwirtschaftlich geführte Land keine Marktwirtschaft ist, würde es unsere Abwehrmöglichkeiten gegen China praktisch von einem auf den anderen Tag zerstören“, so der Verbandspräsident.

Darüber hinaus erweisen die massiven Importe der Klimapolitik laut Kerkhoff einen Bärendienst. So werde eine Tonne Stahl in China durchschnittlich mit rund 40 Prozent mehr CO²-Emissionen produziert, als wenn sie in Europa erzeugt würde.

Quelle: Wirtschaftsvereinigung Stahl, Pressekonferenz beim Handelsblatt Euroforum "Stahlmarkt". Vorschau-Bild: Hans Jürgen Kerkhoff auf der 20. Handelsblatt Jahrestagung Stahlmarkt 2016 (Foto: EUROFORUM live)

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