Industrie 4.0: Mehr Offenheit ist nötig
von Alexander Kirschbaum
Trotz phantastischer digitaler Chancen steht für Prof. Dr.-Ing. Frank Barthelmä, Geschäftsführer und Institutsleiter der GFE – Gesellschaft für Fertigungstechnik und Entwicklung Schmalkalden e.V. – eines fest: Ohne mehr Offenheit in der Werkzeugindustrie und in den Anwenderbranchen geht die digitale Industrie 4.0-Rechnung vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) nicht auf.
Herr Professor Barthelmä, wie beeinflusst der Trend zu Industrie 4.0 die Zerspanung?
Frank Barthelmä: Industrie 4.0 übt in zweifacher Hinsicht Einfluss auf die Prozesskette aus: zum einen technisch-technologisch und zum anderen auf den sich daran entlang ziehenden Datenfluss. Wenn beides perfekt zusammenwirkt, erhalten wir ein Musterbeispiel für Industrie 4.0. Das gilt in Bezug auf Qualität und Störgrößen, aber auch zunehmend für vorhersagbare Parameter wie zum Beispiel Standwege und Standzeiten der Werkzeuge, erreichbare Oberflächengüten sowie für Wartungsintervalle von Maschinen und Anlagen. Im Idealfall erhält der Anwender alle wichtigen Informationen über sämtliche prozessbegleitende Faktoren. Hinzu kommt, dass alle erhältlichen Daten nun in Echtzeit aufgenommen, ausgewertet und Regelkreise aufgebaut werden können, um so dank einer transparenten Zerspanung die Effizienz der Prozesse und die Qualität der Produkte zu steigern.
Inwieweit sind bereits intelligente Werkzeuge Stand der Technik?
Frank Barthelmä: Wenn wir uns erinnern: Vor etwas mehr als zehn Jahren war die Diskussion darüber im Gange, ob oder wann ein Werkzeug intelligent sein kann. Heute spricht man im Sinne von Industrie 4.0 von intelligenten Gesamtlösungen, bei denen sensorische und aktorische Werkzeuge natürlich eine wichtige Rolle spielen. Also trifft das hinsichtlich des Standes der Technik eindeutig zu. Doch das nicht nur im Sinne des Einsatzes einer immer weiter miniaturisierten und energieeffizienter arbeitenden Sensorik oder Aktorik im Werkzeug selbst, sondern auch mit Blick auf ihre Nutzung im Gesamtsystem von Werkzeug, der Maschine bzw. Steuerung und dem Einsatzfall.
Doch wie lässt sich die nun erfasste Vielzahl an Daten am besten auswerten?
Frank Barthelmä: Die Antwort darauf steckt bei vielen unserer typischen Kunden, den kleinen und mittleren Unternehmen, noch in den Kinderschuhen. Viele potenzielle Anwender solcher intelligenten Lösungen - vor allem in den KMU - können mitunter nicht einschätzen, welche Daten sie tatsächlich brauchen, um ihre Technologie/IT zu qualifizieren und um daraus eventuell neue Fertigungslinien zu generieren. Das reicht bis zu neuen Geschäftsmodellen, die dazu notwendig sein können. Hochschulen und Konzerne sind da schon recht gut unterwegs, die KMU hingegen sind vielfach noch in der Findungsphase. Zur Analyse bedarf es außerdem einer umfassenden Datenhistorie, um sie mit neuen Kennwerten zu korrelieren: Doch was wissen wir schon über die technischen Weisheiten unserer Vorgänger? Da ist also noch mehr Zusammenarbeit von Hochschulen und Unternehmen bei der Generierung neuer Ideen, Modelle und vor allem neuer Lösungen gefragt. Ich wünsche mir hier etwa noch mehr Verbundprojekte mit Wissenschafts- und Industriepartnern der verschiedensten Wissensdisziplinen, die diese Fragestellungen zum Beispiel auch mit Hilfe von Live-Demonstratoren aufgreifen.
Heißt das nicht auch, dass sich neue Netzwerk-Allianzen über Branchen- und Wissensgrenzen hinweg bilden müssen – also eine Zusammenarbeit von Software-Analysten, die nichts von der Zerspanung verstehen, mit Zerspanern, die sich in der Regel nicht bei der Big-Data-Analyse auskennen?
Frank Barthelmä: Ja, das führt aber nur dann zum Ziel, wenn dabei KMU rechtzeitig mit einbezogen werden. Es haben sich hier u.a. die vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Netzwerke bewährt. So ist die GFE aktuell Partner im Kompetenzzentrum Mittelstand 4.0 der TU Ilmenau und bearbeitet in einer Modellfabrik Problemstellungen der Datengenerierung und des Datentransfers im Zusammenhang mit der Zerspanung – zum Transfer speziell in KMU. Es geht dabei um die Frage: Wie kann ich einen Regelkreis in der Maschine so nutzen, dass Qualität, Effizienz und Produktivität als regelnde Zielgrößen dienen können?
Wie erleichtert das Analysieren der Zerspanungs-Parameter die Bearbeitung – etwa mit Blick auf neue Werkstoffe?
Frank Barthelmä: Vor allem bei neuen Werkstoffen wird es immer wichtiger, die Schleife im Regelkreis mit Hilfe der Analytik zu schließen. Da gibt es noch einige Baustellen auf dem Weg zur zielgerichteten Auswertung. Hier fehlt es auch noch an der Transparenz der Ergebnisse. Ich schlage dazu eine vorwettbewerbliche Plattform vor, auf die Hersteller und Anwender zugreifen können. Da wäre es schön, wenn es einen Datenpool gäbe, damit nicht jeder das Rad immer wieder neu erfinden muss. Als Vorbild sehe ich einen namhaften Werkzeughersteller, der auf der „Schmalkalder Werkzeugtagung“ im November vergangenen Jahres versprach, in Sachen Offenlegung von Daten künftig noch mehr als bisher aktiv zu werden. Dafür spricht auch, dass es sich für einen Hersteller lohnt, wenn Anwender erfahren, mit welchen seiner Werkzeuge sich neue Werkstoffe effizient bearbeiten lassen. Auch dazu leistet die GFE ihren Beitrag mit dem Kompetenzzentrum Mittelstand 4.0.
Quelle: VDW Artikelfoto: Prof. Dr.-Ing. Frank Barthelmä (GFE)