Impulsgeber für die Industrie 4.0 im Werkzeugbau
von Hubert Hunscheidt
Die Coronapandemie hat im internationalen Werkzeugbau tiefe Spuren hinterlassen. Doch inzwischen laufen vielerorts die Fertigungsanlagen wieder an. Unternehmen, die in früheren Jahren nicht nur finanzielle Erfolge betrachtet, sondern auch ihre organisatorische und technologische Exzellenz ausgebaut haben, haben jetzt die Nase vorn: Der Werkzeugbau der ZF Friedrichshafen AG in Schweinfurt setzt seit vielen Jahren auf wissenschaftlich fundierte Kennzahlen und hebt sich damit von Mitbewerbern ab. Eine besondere Auszeichnung erhielt ZF Friedrichshafen nun am 3. November 2021 in Form des Gesamtsiegs beim Branchenwettbewerb »Excellence in Production« durch den Titel »Werkzeugbau des Jahres 2021«.
Seit 18 Jahren präsentieren das Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen und das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT mit dem Branchenwettbewerb »Excellence in Production« die besten Werkzeug- und Formenbaubetriebe im deutschsprachigen Raum. Auch in diesem Jahr beteiligten sich trotz anhaltend schwieriger Situation in der Branche 265 Unternehmen am Wettbewerb. Unter den elf Finalisten setzte sich schließlich die ZF Friedrichshafen AG durch, die bereits im Jahr 2012 einmal als Gesamtsieger und 2019 als Kategoriesieger auf dem Siegertreppchen sowie 2015 und 2016 im Finale stand.
Nach einem Jahr Pause konnten Finalisten, Jury, Laudatoren und weitere ausgewählte Gäste nun endlich wieder persönlich im Krönungssaal des Aachener Rathauses zusammentreffen. Hatte doch die Coronapandemie die Veranstalter im vergangenen Jahr noch gezwungen, die feierliche Preisübergabe im virtuellen Raum im Rahmen eines Livestreams durchzuführen. Die Laudatio auf den Gesamtsieger hielt in diesem Jahr traditionsgemäß der Vorjahressieger Dr. Volker Franke der HARTING Applied Technologies GmbH aus dem westfälischen Espelkamp.
ZF Friedrichshafen AG: Vorreiter bei Automatisierung und Anlagenverkettung
Der Werkzeugbau der ZF Friedrichshafen AG am Standort Schweinfurt überzeugte die Jury durch die konsequente Umsetzung und Weiterentwicklung von Industrie-4.0-Lösungen, wie die automatisierte Erstellung von Arbeitsplänen auf Basis einer algorithmisch gestützten Analyse von CAD-Daten oder den Ansatz zur ganzheitlichen Umsetzung einer getakteten Einzelteilfertigung. Darüber hinaus überzeugten der sehr hohe Automatisierungsgrad und die technologieübergreifende Verkettung der Fertigungsmaschinen die Jury von der Leistungsfähigkeit des Werkzeugbaus. Die hohe Innovationskraft der Mitarbeitenden spiegelt sich in den zahlreichen Eigenentwicklungen wider. Auf diese Weise hat das Unternehmen bereits eine Vielzahl an Lösungen der Industrie 4.0 konkret umgesetzt, um die interne Wertschöpfung weiter zu verbessern. Dem Werkzeugbau sei es damit auf hervorragende Weise gelungen, sich als konzernweites Technologiecenter für die Entwicklung und Anwendung von Industrie-4.0-Lösungen zu positionieren, so das Urteil der Jury.
Die ZF Friedrichshafen AG ist ein weltweit führender Technologiekonzern in der Antriebs- und Fahrwerktechnik sowie der aktiven und passiven Sicherheitstechnik und zählt zu den größten Automobilzulieferern weltweit. Das TechCenter Werkzeuge, Messmittel und Automation am Standort Schweinfurt ist dabei ein strategisches Kompetenzzentrum für Schneid- und Umformwerkzeuge sowie Messanlagen. Das Werkzeugportfolio umfasst komplexe Stufen-, Folge- und Einzel-Werkzeuge, sowohl für die Kaltmassivumformung als auch für die Umformung von Dick- und Dünnblech sowie Werkzeuge für Faserverbundkunststoffe und zunehmend Anwendungen für Komponenten für die Elektromobilität. Hinzu kommt ein breites Spektrum an hochpräzisen Prüf- und Messmaschinen und Klein-Automationen.
Auch bester interner Werkzeugbau mit mehr als 50 Mitarbeitenden
Neben dem Gesamtsieg gewann ZF Friedrichshafen auch die Auszeichnung in der Kategorie »Interner Werkzeugbau ab 50 Mitarbeitende«. Als weitere Finalisten dieser Kategorie zeichnete die Jury außerdem die Robert Bosch, spol. s r.o. in Tschechien und die Otto Dunkel GmbH aus Mühldorf am Inn mit einer Urkunde aus.
Sieger in der Kategorie »Interner Werkzeugbau unter 50 Mitarbeitende« ist die Schürholz GmbH & Co. KG Stanztechnik
Der Sieg in der Kategorie »Interner Werkzeugbau unter 50 Mitarbeitende« geht in diesem Jahr an die Schürholz GmbH & Co. KG Stanztechnik aus Plettenberg im Sauerland.
Zu den besonderen Stärken des internen Werkzeugbaus der Schürholz GmbH & Co. KG Stanztechnik zählte die Jury die Entwicklung neuer Werkzeugtechnologien mit Partnern aus dem Maschinen- und Anlagenbau. Hervorzuheben sind auch die transparente Grob- und Feinplanung sowie die kontinuierliche Auftragsverfolgung anhand von Soll- und Ist-Kosten.
Schürholz hat sich seit vielen Jahren vom Produzenten gestanzter Unterlegscheiben zu einem Anbieter anspruchsvoller Präzisionsteile, Baugruppen und Komponenten entwickelt. Zum internationalen Kundenkreis des Unternehmens zählen Hersteller aus der Automobil-, Zuliefer- und Elektroindustrie sowie weiteren Industriezweigen. Stanz- und Stanzbiegetechnik, Laser- und CNC-Abkanttechnik sowie Schweiß- und Fügetechnik runden die technologische Palette rund um die Metallumformung ab. Insgesamt erwirtschaftete die Schürholz-Gruppe mit mehr als 158 Millionen produzierten Teilen im Jahr 2020 einen Jahresumsatz von über 97 Millionen Euro und beschäftigt 406 Mitarbeitende an vier Standorten. Der zentrale Neuwerkzeugbau des Unternehmens am Hauptstandort Plettenberg im Sauerland versorgt die internationalen Standorte mit Folgeverbund- und Bihlerwerkzeugen.
Als weitere Teilnehmer standen in diesem Jahr die Schunk Sintermetalltechnik GmbH aus Heuchelheim und die Boida Kunststofftechnik GmbH aus Langgöns mit im Finale.
Gewinner der Kategorie »Externer Werkzeugbau unter 50 Mitarbeitende« ist der W. Fassnacht Werkzeug- und Formenbau
Bester »Externer Werkzeugbau unter 50 Mitarbeitende« wurde der W. Fassnacht Werkzeug- und Formenbau aus Bobingen bei Augsburg.
Die Jury lobte beim W. Fassnacht Werkzeug- und Formenbau besonders die familiäre Arbeitsatmosphäre bei gleichzeitig hoher Effizienz. Auch in Zeiten der Krise habe das Unternehmen eine sehr gute Wirtschaftlichkeit bewiesen, stellte die Jury in ihrer Bewertung fest.
Der W. Fassnacht Werkzeug-Formenbau hat 1990 als »Garagen-Betrieb« mit drei Mitarbeitern angefangen. Seither hat das inhabergeführte Unternehmen ein stetiges und gesundes Wachstum vollzogen und beschäftigt heute 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Fassnacht versteht sich als kleine, aber hochleistungsfähige Werkzeugmanufaktur im Bereich anspruchsvoller Spritzgießwerkzeuge und beliefert branchenübergreifend Kunden aus der ganzen Welt mit verlässlichen Lösungen für komplexe Anforderungen.
Weitere Finalisten in dieser Kategorie waren die BBG GmbH & Co. KG aus Mindelheim im Unterallgäu und die Primaform AG aus Thun in der Schweiz.
Bester »Externer Werkzeugbau ab 50 Mitarbeitende« ist die Color Metal GmbH
Gewinner in der Kategorie »Externer Werkzeugbau ab 50 Mitarbeitende« ist die Color Metal GmbH aus Heitersheim im Breisgau.
Die Jury beeindruckte bei Color Metal besonders die sehr hohe Prozesskompetenz beim Fräsen und die konsequente Vermessung aller Bauteile auf der Werkzeugmaschine. Ein hoher Automatisierungsgrad in den Technologien und breite Diversifikation des Werkzeugspektrums stellten sicher, dass das Unternehmen auch 2020 Krisenfestigkeit beweisen konnte.
Die Color Metal GmbH fertigt Komplexe 1K-, 2K- und 3K-Spritzgießwerkzeuge sowie Etagenwerkzeuge bis zu einer Größe von 1000×1400 Millimeter. Die eigene Konstruktionsabteilung entwickelt die Werkzeuge nach Kundenmuster, Fertigteilzeichnung in 2D- oder 3D-Daten oder nach eigenen und fremden Konstruktionsunterlagen und -standards. Die Kunden sind Hersteller technischer Präzisionsteile der Auto-, Uhren-, Sanitär- und Elektronikindustrie sowie der Medizintechnik und anderer Industriezweige, mit denen Color Metal GmbH gemeinsam Formen bis zur Serienfertigung der Kunststoffteile entwickelt. An 30 CAD-Arbeitsplätzen und 60 Werkzeugmaschinen arbeiten heute fast 100 Mitarbeitende, darunter zehn Auszubildende.
Als weiterer Finalist in der Kategorie »Externer Werkzeugbau ab 50 Mitarbeitende« wurde die EMO – Orodjarna d.o.o aus Celje in Slowenien ausgezeichnet.
Excellence in Production: Auswahl der besten Werkzeugbaubetriebe im deutschsprachigen Raum
Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT und das Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen ermittelten gemeinsam mit einer fachkundigen Jury die besten Werkzeug- und Formenbaubetriebe in vier Kategorien auf der Grundlage eines ausführlichen Vergleichs und besuchten diese während der Sommermonate vor Ort: Die zehn Juroren aus Industrie, Politik, Verbänden und Wissenschaft bestimmten anschließend die elf Finalisten, die Kategoriesieger sowie den Gesamtsieger. Insgesamt hatten sich 265 Werkzeug- und Formenbaubetriebe am Wettbewerb beteiligt, 198 von ihnen hatten den Fragebogen vollständig ausgefüllt, 50 von ihnen kamen in die engere Auswahl.
Der Wettbewerb »Excellence in Production« fand in diesem Jahr bereits zum 18. Mal statt. Am Tag nach der Preisverleihung stellten ausgewählte Finalisten und Partner der Aachener Institute ihre Erfolgsstrategien während des mittlerweile bereits 20. Internationalen Kolloquiums »Werkzeugbau mit Zukunft« vor. Unter dem Motto »Werkzeugbau am Wendepunkt« zeigten die Veranstalter und ausgewählte Referenten strategische und technologische Lösungen für die Wege aus der Krise auf und setzten Impulse für eine langfristig erfolgreiche Ausrichtung der Branche Werkzeugbau.
Neue Chance im nächsten Jahr
Auch im kommenden Jahr werden sich die besten Werkzugbau- und Formenbaubetriebe wieder untereinander messen. Interessenten können sich schon jetzt unter www.excellence-in-production.de detailliert über den Wettbewerb informieren und ab dem 1. Dezember 2021 registrieren. Alle Teilnehmenden des Wettbewerbs erhalten eine individuelle Auswertung über ihre Stärken und Verbesserungspotenziale.
Nach der Anmeldung füllen alle Teilnehmenden zunächst nur den ersten Teil des Fragebogens mit einer geringen Anzahl zentraler Fragen aus und erhalten auf dieser Basis eine erste Kennzahlenauswertung. In der zweiten Wettbewerbsphase sind dann detailliertere Fragen zu beantworten. Unter allen Teilnehmenden der zweiten Phase werden außerdem zwei zusätzliche Vor-Ort-Besuche der Aachener Werkzeugbau-Experten verlost.
Der diesjährige Wettbewerb wird von der Hasco Hasenclever GmbH + Co. KG, dem Kunststoffcluster Österreich und dem Schweizer Werkzeugbau-Verband Swissmem, dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. sowie der WBA Aachener Werkzeugbau Akademie GmbH unterstützt. Die Medienpartner FORM+Werkzeug, VDI nachrichten sowie werkzeug&formenbau fördern den Wettbewerb durch ihre umfassende Berichterstattung über die Sieger und Finalisten. Weiterer Partner des Wettbewerbs ist die Fachmesse »formnext«.
Quelle und Foto: Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT