Hohe Zinsen legen deutsche Wachstumsdefizite offen

von Angelika Albrecht

Moritz Schularick, Präsident des IfW Kiel, kommentiert die Entscheidung der EZB, die Leitzinsen um weitere 25 Basispunkte anzuheben:

„Die Europäische Zentralbank (EZB) schreibt weiter Wirtschaftsgeschichte. Nach der historisch außergewöhnlich langen Nullzinsphase von über 6 Jahren ist die drastische Geschwindigkeit der Leitzinserhöhung binnen nur eines Jahres auf nun 4,25 Prozent historisch ebenfalls außergewöhnlich.

Die EZB hat im Kampf gegen die Inflation wirkungsvoll Zähne gezeigt, die Inflationsrate hat sich gegenüber ihrem Höchststand etwa halbiert. Aus Risikomanagementperspektive spricht nach so starken Zinsanhebungen vieles dafür, jetzt zunächst die realwirtschaftlichen Effekte abzuwarten und eine Pause einzulegen, um die Auswirkungen der Zinserhöhungen valide bewerten zu können.

Die Effekte der Zinserhöhungen sind inzwischen deutlich sichtbar: Der Immobilienmarkt ist eingebrochen und die Firmenkreditvergabe ist deutlich gefallen. Die Wolken am Konjunkturhimmel verdunkeln sich, insbesondere die Wachstumsschwäche in Deutschland tritt durch die hohen Zinsen nun deutlich zu Tage.

Die Ursachen dieser Wachstumsschwäche alleine der EZB zuzuschreiben greift aber zu kurz, dies zeigt auch der Blick auf unsere europäischen Nachbarn, die allesamt eine höhere konjunkturelle Dynamik zeigen. Wenn Deutschland nicht noch einmal zum „kranken Mann Europas“ werden will, muss es sich jetzt mutig den Wachstumsbranchen von morgen zuwenden, anstatt ängstlich mit Milliarden energieintensive Industrien von gestern zu konservieren.

Dazu gehört auch, die Defizite und verpassten Chancen des vergangenen Jahrzehnts jetzt schnell zu beseitigen: die mitunter bizarre Rückständigkeit in allen digitalen Bereichen, der starke Rückgang der staatlichen Kapazitäten und der öffentlichen Infrastruktur sowie das Fehlen einer sinnvollen Strategie zur Verbesserung des Wohnungsmangels und zur Steigerung der Zuwanderung, um den Auswirkungen der alternden Erwerbsbevölkerung zu begegnen.“

Über Moritz Schularick

Moritz Schularick ist seit Juni 2023 Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. In seiner Forschung beschäftigt er sich unter anderem mit Finanzmärkten und Vermögenspreisen, Fragen der monetären Makroökonomie und den Ursachen von Finanzkrisen und ökonomischer Ungleichheit.

Vor seinem Ruf nach Kiel war Moritz Schularick Professor für Makroökonomie an der Universität Bonn, Direktor des dortigen MacroFinance Labs und Professor an Sciences Po (Paris). Darüber hinaus ist er Mitglied des Exzellenz-Clusters ECONtribute sowie ordentliches Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und Academia Europea. Im Laufe seiner akademischen Karriere forschte er unter anderem an der New York University, der University of Cambridge, der Freien Universität Berlin und in der Forschungsabteilung der Federal Reserve Bank of New York.

Über das IfW

Das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) ist eine unabhängige Stiftung des öffentlichen Rechts des Landes Schleswig-Holstein. Seine Grundfinanzierung erhält das Institut durch die Förderung des Bundes und des Landes Schleswig-Holstein.

Der Stiftungsrat berät und entscheidet in grundlegenden das Institut betreffenden sowie finanziellen Fragen. Vorsitzender des Stiftungsrats ist der amtierende Staatssekretär im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Schleswig-Holstein. Außerdem berät und unterstützt der Wissenschaftliche Beirat das Institut und besonders das Präsidium.

Das Institut ist Mitglied der Leibniz Gemeinschaft.

Quelle und Vorschaubild: Kiel Institut für Weltwirtschaft

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