Hohe Inflation verzögert Erholung der deutschen Konjunktur

von Hubert Hunscheidt

Die Arbeitslosenquote dürfte dieses Jahr 5 Prozent und im kommenden Jahr 4,9 Prozent betragen. Die Inflation dürfte in diesem Jahr bei 6,9 Prozent liegen, im kommenden Jahr bei 2,6 Prozent. Die Defizite der öffentlichen Haushalte dürften in diesem Jahr und 2023 voraussichtlich 53 bzw. 36 Milliarden Euro betragen.

Das Wichtigste in Kürze:

Das RWI senkt seine Prognose des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) für dieses Jahr gegenüber März dieses Jahres von 2,5 auf 1,9 Prozent. Für 2023 erwartet es nun 2,7 statt 3,6 Prozent. Die wirtschaftliche Erholung wird insbesondere durch die stark gestiegene Inflation und die wieder zunehmenden Lieferengpässe gebremst.

Der private Konsum dürfte zu einer Belebung der Binnennachfrage beitragen. Der starke Anstieg der Preise hat die Stimmung der privaten Haushalte zwar deutlich verschlechtert. Die Rücknahme staatlicher Infektionsschutzmaßnahmen dürfte jedoch insbesondere die konsumnahmen Dienstleistungen beleben. Dies zeigt sich bereits deutlich im Tourismus und im Gastgewerbe.

Die kräftige Erholung am Arbeitsmarkt setzt sich fort. Dabei kommt fast der gesamte Anstieg aus der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Über das gesamte Jahr ist mit stark steigenden Beschäftigtenzahlen zu rechnen, auch durch die Integration hochqualifizierter geflüchteter Menschen aus der Ukraine. Gleichzeitig weist unter anderem die Rekordzahl der gemeldeten offenen Arbeitsstellen darauf hin, dass sich der Fachkräftemangel in Deutschland verschärft. Die Arbeitslosenquote dürfte in diesem Jahr bei 5 Prozent, im nächsten Jahr bei 4,9 Prozent liegen.

Die kommende Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro wird voraussichtlich insgesamt nur geringe Beschäftigungsauswirkungen haben. Allerdings sorgt sie für strukturelle Veränderungen der Beschäftigungsformen, weil für Unternehmen das Einstellen von Minijobbern gegenüber sozialversicherungspflichtig Beschäftigten etwas unattraktiver wird, wenngleich die mit der Reform verbundene Anhebung der Minijobgrenze diesem Effekt leicht entgegenwirkt.

Zwar sind die Löhne zuletzt stärker gestiegen als im Durchschnitt der vergangenen Jahre. Gleichzeitig zog die Inflation jedoch kräftig an und die Lebenshaltungskosten erhöhten sich dementsprechend deutlich. Daher mussten deutschlandweit Arbeitnehmer fallende Reallöhne hinnehmen. Es ist auch nicht zu erwarten, dass kommende Lohnsteigerungen im Prognosezeitraum mit der Inflationsrate Schritt halten, so dass sich derzeit keine Lohn-Preis-Spirale abzeichnet. Die Tariflöhne dürften nominal im Jahr 2022 um 2,6 Prozent steigen, im Jahr 2023 um 3,6 Prozent.

Der Anstieg der Verbraucherpreise ist in Deutschland nach wie vor hoch. Im Mai stiegen die Preise mit voraussichtlich 7,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr außerordentlich kräftig. Besonders stark haben sich Energie und einige Nahrungsmittel verteuert, wie beispielsweise Speisefette und -öle. Aber auch die Preise vieler anderer Güter und Dienstleistungen steigen stärker als zuvor. Dieser Prozess dürfte sich nur allmählich abschwächen. Auch die schrittweise Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank (EZB) dürfte nach und nach zu einer Abschwächung der Preisanstiege beitragen. Insgesamt werden die Preise im Jahresdurchschnitt dieses Jahres wohl um 6,9 Prozent steigen. Im kommenden Jahr geht die Teuerung im Jahresdurchschnitt auf 2,6 Prozent zurück.

Das Defizit der öffentlichen Haushalte dürfte 2022 gut 53 Milliarden Euro betragen, nachdem es sich 2021 noch auf 131 Milliarden Euro belaufen hatte. Die Staatseinnahmen dürften sich prozentual nur leicht stärker als das Bruttoinlandsprodukt erhöhen. Einem noch stärkeren Anstieg wirken unter anderem Maßnahmen anlässlich der gestiegenen Energiepreise entgegen – etwa die temporär gesenkte Energiesteuer und der höhere Grundfreibetrag der Einkommensteuer. Die absoluten Staatsausgaben stagnieren hingegen in etwa. Sie werden zwar unter anderem durch Transfers an Erwerbstätige und Leistungsempfänger, nämlich die Energiepreispauschale und den Heizkostenzuschuss, sowie die Subvention des öffentlichen Nahverkehrs durch das 9-Euro-Ticket erhöht. Die Ausgaben im Zusammenhang mit der Corona-Krise gehen allerdings zeitgleich stark zurück. Im Jahr 2023 sinkt das Finanzierungsdefizit dann voraussichtlich weiter auf knapp 36 Milliarden Euro.

Der aktuellen RWI-Konjunkturprognose liegt unter anderem die Annahme zugrunde, dass es im Herbst zwar zu einer weiteren Welle der Corona-Pandemie kommt, jedoch keine Einschränkungen der sozialen Kontakte zur Vermeidung einer Überlastung des Gesundheitssystems verhängt werden. Zudem wird angenommen, dass sich die internationalen Lieferketten nach und nach normalisieren und die EZB ihren Leitzins bis Ende des nächsten Jahres schrittweise auf 1,75 Prozent erhöht.

Zur aktuellen Lage der deutschen Wirtschaft sagt RWI-Konjunkturchef Torsten Schmidt: „Die weitere Erholung der deutschen Konjunktur hängt stark von der Inflationsentwicklung ab. Weitere Risiken sind die internationalen Lieferengpässe sowie der weitere Verlauf des Ukraine-Kriegs. In unserer Prognose gehen wir davon aus, dass die Belastungen der deutschen Konjunktur bis zum Ende dieses Jahres nachlassen.“

Quelle: RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung e.V. / Foto: Fotolia

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