Fahrzeugbau: Spezialvergütungsstahl auf der Überholspur

von Alexander Kirschbaum

Präzision hat oberste Priorität bei der Konstruktion von Automobilkomponenten. Leichter und kompakter sollen sie sein. Gleichzeitig muss das verarbeitete Material auch bei geringerem Bauteildurchmesser zunehmend starken Lastwechseln standhalten. Um höhere Wirkungsgrade zu erzielen und damit effektiv die Reduzierung der CO²-Emissionen zu erreichen, kommt es auf eine exakte Bauteilauslegung an. Hersteller müssen sich darauf verlassen, dass der eingesetzte Stahl dauerhaft in gleich hoher Qualität verfügbar und absolut prozesssicher ist.

In der Realität liegt die Krux jedoch im Herstellungsverfahren. Vergütungsstahl, häufig eingesetzt für hochbelastete Bauteile der Automobilindustrie, wird oft per Bundvergütung in seinen mechanisch-technologischen Eigenschaften eingestellt. Den Stabstahl en bloc statt einzeln zu vergüten, bringt jedoch einige Nachteile mit sich. Welche Risiken die Bundvergütung birgt und wie diese erfolgreich vermieden werden, weiß Steeltec, ein Unternehmen der SCHMOLZ + BICKENBACH Gruppe.

„Die Differenzen zwischen dem Stabkern und der Staboberfläche sowie zwischen Stabanfang und Stabende sind bei der Bundvergütung hoch – zu hoch, wenn aus dem Stahl sicherheitsrelevante leistungsstarke Bauteile gefertigt werden“, erläutert Thorsten Müller, Leiter der Wärmebehandlung von Steeltec am Standort Düsseldorf. Die Streuung der Stahleigenschaften beträgt bei der Bundvergütung rund 150 MPa in der Festigkeit. Zudem kann das Gefüge ungleichmäßig ausgebildet sein. Federbügel, welche die gesamte Achse eines LKW-Aufliegers halten, müssen beispielsweise bestimmte Dauerlastwerte erfüllen. Sind die geforderten Festigkeits- und Zähigkeitswerte nicht gleichmäßig über die gesamte Dimension der Komponente gegeben, drohen schlimmstenfalls Bauteilversagen sowie folgenschwere Rückrufaktionen.

Jeder Einzelstab hat höchste Priorität

„Die Toleranzen werden von Anwendern des Automobil- und Maschinenbaus immer weiter eingeschränkt“, so Thorsten Müller. „Will man als Spezialstahlhersteller in der Liga der Innovationstreiber spielen, gehört neben Herstellungskompetenz auch moderne Technologie dazu.“ Der Spezialstahlhersteller betreibt am Standort Düsseldorf eine induktive Einzelstabvergütung. Bei diesem Verfahren durchläuft jeder Stab die Wärmebehandlung einzeln. So wird eine gleichmäßige Erwärmung erzielt und das qualitative Niveau der mechanisch-technologischen Stahleigenschaften per kontinuierlich rotierendem Vorschub einheitlich gesteigert. Das kommt auch der Geradheit zugute.

„Die Vorschubgeschwindigkeit messen und überwachen wir per Laser, den wir zusätzlich integriert haben. Dieser signalisiert Abweichungen sofort, beispielsweise wenn ein Stab die Anlage blockiert“, so Thorsten Müller. „So schlagen wir gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: Wir vermeiden effizient technische Defekte und gewährleisten eine konstante Vorschubgeschwindigkeit und damit eine gleichbleibend hohe Stahlqualität.“

In einer Datenbank sind sämtliche relevanten Prozessparameter hinterlegt, wie die optimale Temperatur beim Vergüten, Anlassen und Abkühlen sowie die Vorschubgeschwindigkeit. Wird ein neuer oder modifizierter Stahl auf der Anlage gefahren, ermittelt Steeltec im eigenen Werkstofflabor die technologischen Stellschrauben, um die geforderten Gefüge- und mechanischen Eigenschaften zu erzielen. Die Automatisierung ermöglicht eine hohe Rückverfolgbarkeit: Durchlaufen Stäbe die Anlage, die für dokumentationspflichtige Teile zum Beispiel im Fahrzeugbau vergütet werden, weist der Stahlhersteller die geforderten Stahleigenschaften genau nach.

Höchste Güte auf bis zu 13 Metern Länge

Die Auflagetische, über welche die Stäbe einzeln dem Prozess zugeführt werden, sind 13 Meter lang. Das ermöglicht Steeltec, Stäbe mit Längsabmessungen von 2,80 Metern bis zu 13 Metern auf der Anlage zu fahren. Die Abmessung der Spulen zur induktiven Erwärmung stimmt Steeltec auf den Durchmesser des Stabstahls ab und wählt zwischen drei unterschiedlichen Abmessungsbereichen von 15 bis 80 Millimetern. Der zentrale Vorteil liegt im höchstmöglichen Wirkungsgrad. Denn je näher der Stab der Spule ist, desto effektiver erfolgt die berührungslose Erwärmung des Stahls. 

Technische Feinheiten wie diese ermöglichen, den gesamten Abmessungsbereich der Einzelstabvergütung von Steeltec in gleich hoher Qualität abzubilden, von kleinsten Durchmessern mit 15 Millimetern bis zu den größeren Stababmessungen mit einem Durchmesser von bis zu 80 Millimetern. Auch die gleichmäßige Vergütung von Rohren bietet Steeltec in ihrem Leistungsportfolio an. Zu diesem Zweck sorgen zwei Rohrausheber dafür, dass das Abschreckmedium aus den Rohren gelangt und die Stahlrohre homogen in Gefüge, Eigenschaften und Geradheit ausgebildet werden.

Der Druck in den Ringdüsen, die den Stahl nach dem Vergüten abschrecken, wird anforderungsgerecht über Durchflusswächter reguliert. Nach dem Abschrecken erfolgt das Anlassen, ebenfalls induktiv. Um die Stahleigenschaften darüber hinaus positiv zu beeinflussen, besteht auf der Anlage die Option, den Stabstahl gleichmäßig und gezielt abzuschrecken. Durch die zügige Erwärmung und rasche Abschreckung sowie den hohen Druck der Ringdüsen ist dieses Verfahren entkohlungs- und verzunderungsarm. Härteverzügen wird durch die gleichmäßige Wärmebehandlung wirksam vorgebeugt.

Integrierte Sägen

Eine weitere technische Besonderheit der Einzelstabvergütung im Werk Düsseldorf sind zwei Sägen, die auf dem Kühlbett installiert sind. „Manche Werkstoffe neigen dazu, Materialabplatzer jeweils am Stangenende zu bilden – wir nennen das ‚Kommas‘. In der Weiterverarbeitung führen diese Kommas schlimmstenfalls zur Beschädigung von Werkzeugen oder Prüfsonden“, beschreibt Thorsten Müller die Notwendigkeit der integrierten Sägen. Um dieses Risiko zu vermeiden, schneidet Steeltec optional jeweils Stabanfang und -ende automatisch direkt im Anschluss an die Einzelstabvergütung ab. Zum Schluss werden die Stäbe materialschonend in Bunden gesammelt.

Quelle: Steeltec  Vorschau-Foto: Einzelstabvergüteter Spezialstahl, Artikelfoto: Blick auf die Härtestufe (Fotos: Steeltec)

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