EUROFER fordert radikale Veränderungen des "Clean Industrial Deal"

von Hubert Hunscheidt

Der heute von der Europäischen Kommission vorgestellte Clean Industrial Deal bestätigt die strategische Rolle der europäischen Stahlindustrie und die existenziellen Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert ist. Dennoch bleiben konkrete Lösungen entweder zukünftigen Entscheidungen vorbehalten – etwa in Bezug auf die weltweite Überkapazität in der Stahlproduktion und Schlupflöcher im Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) – oder sie werden nur unzureichend behandelt, wie im Fall der Energiepreise. Ohne strukturelle Lösungen in diesen Bereichen drohen lobenswerte Initiativen zu Leitmärkten, lokalem Inhalt und Kreislaufwirtschaft wirkungslos zu bleiben, so die Europäische Stahlvereinigung (EUROFER).

„Entscheidende Maßnahmen in den Bereichen Handel, CBAM und Energiepreise sind kurzfristig erforderlich, um die europäische Stahlproduktion zu sichern. Die Kommission hat die richtigen Herausforderungen erkannt, bleibt aber konkrete politische Antworten schuldig, um das Blatt zu wenden“, erklärte Axel Eggert, Generaldirektor von EUROFER.

„Wir freuen uns auf das erste Treffen des Strategischen Dialogs zur Stahlindustrie, das von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für den 4. März einberufen wurde. Aufbauend auf den politischen Leitlinien des Clean Industrial Deal wird dieser Dialog entscheidend sein, um konkrete und zeitnahe Maßnahmen für den angekündigten Aktionsplan für Stahl und Metalle zu identifizieren. Kurzfristig wirksame Maßnahmen zur Erholung des Stahlsektors müssen rasch umgesetzt werden“, so Eggert weiter.

„Europa steht an einem geopolitischen und wirtschaftlichen Scheideweg. In einer Zeit, in der sich internationale Allianzen neu formieren und die Sicherheit der EU bedroht ist, ist europäischer Stahl nicht nur ein Symbol, sondern ein entscheidender Faktor für die europäische Souveränität. Wie Mario Draghi betonte, ist unsere Branche strategisch wichtiger denn je. Die EU muss dringend radikale Veränderungen vornehmen, um Wettbewerbsfähigkeit, Dekarbonisierung, wirtschaftliche Stabilität und letztlich Wohlstand und Autonomie zu sichern“, schloss Eggert.

Analyse der zentralen politischen Handlungsfelder

Die europäische Stahlindustrie hat vier vorrangige Bereiche identifiziert, die sofortige Aufmerksamkeit der europäischen Entscheidungsträger erfordern. Obwohl der Clean Industrial Deal diese Herausforderungen anerkennt, fehlen dringend notwendige und wirksame Lösungen:

Globale Überkapazitäten eindämmen und gleiche Wettbewerbsbedingungen für europäischen Stahl schaffen

Die weltweite Überkapazität in der Stahlproduktion hat mittlerweile 550 Millionen Tonnen überschritten, und bis nächstes Jahr werden weitere 150 Millionen Tonnen erwartet – das entspricht mehr als dem Vierfachen der EU-Stahlproduktion. Die jüngsten US-Zölle verstärken zudem den Druck, Handelsströme umzuleiten. Daher ist es entscheidend, dass die EU die Schutzmaßnahmen in der aktuellen Überprüfung anpasst, um sie an die heutige Marktrealität anzupassen, und ein wirksames, umfassendes Handelsregime für die Zeit nach diesen Schutzmaßnahmen entwickelt. Gleichzeitig müssen handelspolitische Schutzinstrumente konsequent, effizient und entschlossen angewendet werden.

Die „externe Dimension“ des Clean Industrial Deal konzentriert sich derzeit stärker auf allgemeine Themen wie den Zugang zu Rohstoffen und den Aufbau internationaler Partnerschaften. EUROFER erwartet jedoch, dass sektorspezifische Maßnahmen zum Handel ein zentraler Bestandteil des Aktionsplans für Stahl und Metalle sein werden.

CBAM überarbeiten, um Schlupflöcher zu schließen und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden

Der Clean Industrial Deal wird von einem Omnibus-Paket begleitet, das unter anderem schnelle Gesetzesänderungen zur Vereinfachung des CBAM vorsieht – beispielsweise eine neue Bagatellgrenze, um kleine Importeure auszunehmen, sowie die Verschiebung der finanziellen Verpflichtung von 2026 auf 2027. Doch entscheidende Aspekte, die für die Wirksamkeit des CBAM notwendig sind (Exporte, Umgehungsmöglichkeiten, Ressourcenumlenkung, nachgelagerte Sektoren usw.), bleiben auf eine viel zu lange Überprüfungsfrist verschoben – ohne rechtliche Sicherheit für künftige Lösungen. Eine Überarbeitung ist dringend erforderlich, um Schlupflöcher noch vor 2026 zu schließen:

  • Aktuell können nicht-europäische Stahlhersteller ihre weniger CO₂-intensiven Produkte in Europa zu günstigeren Preisen verkaufen, während sie ihre CO₂-intensive Produktion für andere Märkte beibehalten – ohne zusätzliche Kosten oder Emissionsreduktionen.
  • Solange CBAM keine Lösung für Exporte vorsieht, müssen europäische Stahlproduzenten weiterhin die CO₂-Kosten für ihre Exporte tragen. Dadurch verlieren sie massiv an Wettbewerbsfähigkeit, und rund 19 Millionen Tonnen Stahlproduktion sind gefährdet.
  • Zudem gilt CBAM derzeit nicht für stahlintensive Endprodukte wie Automobilkomponenten oder erneuerbare Infrastrukturen. Dies fördert die Verlagerung ganzer europäischer Wertschöpfungsketten in Drittländer.

Energie bezahlbar machen

Die Großhandelspreise für Energie in der EU liegen weiterhin über den historischen Durchschnittswerten und sind zwei- bis viermal höher als in den USA oder China. Da Energie ein zentraler Kostenfaktor für die Stahlproduktion ist, ist ihre Bezahlbarkeit entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit der Branche und ihre Dekarbonisierung.

Der Clean Industrial Deal sowie der Aktionsplan für bezahlbare Energie erkennen zwar die Bedeutung niedrigerer Energiepreise für die europäische Industrie an, doch die vorgeschlagenen Maßnahmen bieten keine Sicherheit für eine sofortige Entlastung.

Ohne eine grundlegende Reform des EU-Strommarktdesigns, um die Strompreise effektiv von den fossilen Brennstoffpreisen zu entkoppeln, stützt sich der Plan stark auf Maßnahmen wie langfristige Stromabnahmeverträge (PPAs), die bisher kaum spürbare Vorteile für die Energieverbraucher gebracht haben. Stattdessen sollte die Kommission klare Leitlinien zur Gestaltung und Umsetzung vorübergehender Energiepreis-Entlastungsmaßnahmen auf international wettbewerbsfähigem Niveau sowie zur Befreiung von regulatorischen Kosten in den Stromrechnungen energieintensiver Industrien vorlegen.

Die lobenswerten Initiativen zur Beschleunigung von Kapazitäts- und Netzinvestitionen in emissionsarme Stromquellen werden erst mittel- bis langfristig Wirkung zeigen.

Strategische Ressourcen wie Stahlschrott im Binnenmarkt halten und verstärkt recyceln

Stahlschrott ist ein zentraler sekundärer Rohstoff und essenziell sowohl für die europäische Stahlindustrie als auch für die gesamte EU-Wirtschaft. Das Recycling von Stahlschrott trägt maßgeblich zur CO₂-Reduktion, zur Senkung des Energieverbrauchs und zur Verringerung der Abhängigkeit von Primärrohstoffen bei. In der globalen Konkurrenz um kritische Rohstoffe für die grüne Transformation wächst ihre strategische Bedeutung.

Die Aufnahme des Kreislaufwirtschaftsgesetzes in den Clean Industrial Deal als Mechanismus zur Förderung hochwertiger Sekundärrohstoffe ist ein Schritt in die richtige Richtung. Doch die EU bleibt der weltweit größte Exporteur von Stahlschrott – oft in Länder mit niedrigeren Umwelt-, Klima- und Sozialstandards. Diese nicht nachhaltige Exportpraxis verschafft nicht-europäischen Industrien Wettbewerbsvorteile, während europäische Stahlhersteller beim Zugang zu Schrott benachteiligt werden.

Um greifbare Ergebnisse zu erzielen, sollte das Kreislaufwirtschaftsgesetz Stahlschrott offiziell als strategischen Sekundärrohstoff anerkennen. Zielgerichtete Maßnahmen sind notwendig, um diesen wichtigen Rohstoff innerhalb der EU zu halten und sowohl die Dekarbonisierung als auch die industrielle Wettbewerbsfähigkeit Europas zu sichern.

Quelle: Eurofer / Foto: Fotolia

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