Engpässe bei der Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit der EU-Industrie

von Hubert Hunscheidt

Im Draghi-Bericht werden die Engpässe sowohl bei der Dekarbonisierung als auch bei der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Industrie ausführlich aufgezeigt. Die vorgeschlagenen Empfehlungen für energieintensive Industriezweige, unter anderem in den Bereichen Energie, Handel, Verlagerung von CO2-Emissionen, Finanzierung und Leitmärkte, sollten in den bevorstehenden Clean Industrial Deal aufgenommen und dringend mit konkreten Maßnahmen umgesetzt werden. Die Abstimmung zwischen den verschiedenen Politikbereichen ist von entscheidender Bedeutung und sollte von sektorspezifischen Initiativen begleitet werden, um den Übergang jeder Branche, einschließlich der Stahlindustrie, zu ermöglichen, fordert der Europäische Stahlverband.

"Wir teilen voll und ganz die Diagnose von Herrn Draghi über die Ursachen und allgemeinen Heilmittel für den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit Europas. Es gilt keine Zeit zu verlieren, die Widerstandsfähigkeit und der Wohlstand Europas stehen auf dem Spiel. Das Fehlen eines Business Case in Europa für die Stahlindustrie und ihre Wertschöpfungsketten im verarbeitenden Gewerbe – die nicht nur für Innovation, Dekarbonisierung und hochwertige Arbeitsplätze, sondern für die gesamte EU-Wirtschaft von entscheidender Bedeutung sind – muss unverzüglich mit konkreten Maßnahmen angegangen werden", sagte Axel Eggert, Generaldirektor des Europäischen Stahlverbands (EUROFER). "Die neue Industriestrategie der EU erfordert eine starke Portion Pragmatismus und sollte sich an den Empfehlungen von Herrn Draghi orientieren. Jede energieintensive Branche benötigt einen granularen Ansatz, um die Dekarbonisierung zu ermöglichen und gleichzeitig gleiche Wettbewerbsbedingungen gegenüber internationalen Wettbewerbern zu schaffen. Es ist an der Zeit, dass ein Paket stahlspezifischer Maßnahmen - ein Europäischer Stahlpakt - Teil des umfassenderen Clean Industrial Deal wird, den Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigt hat", betonte Eggert.

Der Draghi-Bericht erkennt eine Reihe von Themen an, die auch die europäische Stahlindustrie wiederholt angesprochen hat:

  • -Klimapolitik: Der Ausstieg aus den kostenlosen Zertifikaten und die Ablösung des derzeitigen Emissionshandelssystems (ETS) durch den Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) sind mit hohen Standortverlagerungsrisiken verbunden. Es sind zusätzliche Korrekturen erforderlich, um das CBAM vor seinem Start wirksam zu machen, verbunden mit einer genauen Überwachung, um Umgehungen und Ressourcenverschiebungen zu vermeiden, einer Lösung für EU-Ausfuhren und der Ausweitung des CBAM auf nachgelagerte Sektoren.
  • Energiepolitik: Trotz des wachsenden Anteils erneuerbarer Energien im Netz profitieren Haushalte und Unternehmen noch nicht von den niedrigen Energiepreisen, was zu einem Wettbewerbsnachteil für die EU-Industrie gegenüber den USA und China führt. Während eine Reihe von Vorschlägen empfohlen werden, um dieses Problem und die Senkung der Energiepreise anzugehen, erwartet die europäische Stahlindustrie dringende Maßnahmen, die kurzfristig zu diesem Ziel führen.
  • Investitionen und Finanzierungen sowie Leitmärkte für saubere Technologien: Es gibt keine ausreichenden finanziellen Anreize und Ressourcen für den industriellen Wandel, da der EU-Innovationsfonds allein nicht ausreicht, während derzeit nur ein Bruchteil der EHS-Einnahmen in die Dekarbonisierung energieintensiver Sektoren wie Stahl investiert wird. Sowohl die Investitionsausgaben (CAPEX) als auch die Betriebskosten (OPEX) sollten durch die Zweckbindung von EHS-Zertifikaten unterstützt werden. Die Hydrogen Bank und die Carbon Contracts for Difference sollten ebenfalls genutzt werden, um den Übergang zu unterstützen, da sie einen fairen Wettbewerb im Binnenmarkt gewährleisten. Darüber hinaus ist die EU trotz ihres Bestrebens, die Produktionskapazitäten für saubere Technologien aufrechtzuerhalten, zunehmend auf Importe angewiesen, um ihre steigende Nachfrage zu befriedigen. Die Einführung einer Mindestquote bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und bei Auktionen anderer Arten von Prämien für lokal hergestellte Cleantech-Produkte und -Komponenten wird nachdrücklich unterstützt. Sauberer Stahl aus der EU ist ein Kernmaterial für die Widerstandsfähigkeit von Cleantech-Wertschöpfungsketten.
  • Handelspolitik: Ungleiche Wettbewerbsbedingungen in energieintensiven Industriezweigen wie der Stahlindustrie können Auswirkungen auf viele nachgelagerte Industriezweige haben, die für die offene strategische Autonomie der EU von entscheidender Bedeutung sind. Angesichts des starken Anstiegs der Einfuhren, der anhaltenden Zunahme der weltweiten Stahlüberkapazitäten und der restriktiven Handelspolitik in Drittländern sollte die EU weiterhin in der Lage sein, schnell auf Marktverzerrungen zu reagieren und gleichzeitig an strukturellen Lösungen zu arbeiten.

"Der europäische Stahlsektor ist ein Lackmustest für die Gesundheit der gesamten EU-Industrie. Vor einigen Jahren haben wir die Alarmglocke geläutet. Nun haben sich die Symptome der Deindustrialisierung auf die Wertschöpfungskette ausgeweitet. Die Dekarbonisierungsziele sollten ohne Werksschließungen erreicht werden, aber wie Mario Draghi sagte, brauchen wir eine radikale Änderung der EU-Politik, um unsere Wettbewerbsfähigkeit wieder in Gang zu bringen. Dies ist der letzte Zug für Europas Dekarbonisierung und Wohlstand", so Eggert abschließend.

Quelle: Eurofer / Foto: Euroäische Union

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