Eisenerz auf Achterbahnfahrt

von Angelika Albrecht

Die Situation in drei Sätzen zusammengefasst: In China und auch weltweit gibt es derzeit eine rekordhohe Stahlproduktion, weswegen viel Eisenerz benötigt wird. Allerdings könnte zukünftig möglicherweise die Eisenerznachfrage in China aus Umweltgründen fallen. Langfristig steigen die Eisenerzexporte, meint die Commerzbank, geht jedoch davon aus, dass die Eisenerzpreise in den nächsten Jahren fallen.

Achterbahnfahrt der Eisenerzpreise

Nachdem die Eisenerzpreise Mitte Mai Rekordhochs erreicht hatten, setzte aus verschiedenen Gründen eine scharfe Korrektur ein. Perspektivisch dürfte die Nachfrage nach Eisenerz fallen, meint die Commerzbank, da in China aus Umweltgründen die Stahlproduktion womöglich gedrosselt wird. Gleichzeitig steht aber mehr Eisenerzangebot zur Verfügung, so dass der seewärtige Markt immer besser versorgt sein sollte. Die Commerzbank-Rohstoffspezialisten bestätigen deshalb ihre bisherige Preisprognose und erwarten einen weiteren Preisrückgang.

Im Zuge der Rally an den Industriemetallmärkten hatten auch die Eisenerzpreise neue Höchststände erreicht: An der SGX in Singapur hatte Eisenerz Mitte Mai mit über 230 USD je Tonne den höchsten Stand seit Beginn des Futures-Handels im Jahr 2013 erklommen. Anschließend setzte eine scharfe Korrektur ein, im Zuge dessen der Preis innerhalb von zwei Wochen um 27% auf 170 USD einbrach. Dadurch wurde ein Teil der Gewinne seit Jahresbeginn aufgezehrt, aktuell steht noch ein Plus von 23% zu Buche. Im letzten Jahr war Eisenerz um 73% gestiegen.

An der DCE im chinesischen Dalian ist das Bild ähnlich: Ebenfalls Mitte Mai hatte der Preis dort mit fast 1.360 CNY je Tonne (umgerechnet rund 210 USD je Tonne) sein bisheriges Rekordhoch markiert – und ist im Anschluss ebenfalls eingebrochen.

Sowohl an der SGX als auch an der DCE war Eisenerz zu diesem Zeitpunkt aus technischer Sicht stark überkauft, was am Relative-Stärke-Index von deutlich über 80 abzulesen war. Der Preisanstieg insbesondere in Dalian war laut Aussagen chinesischer Behörden auch stark spekulativ getrieben.

Rekordhohe Stahlproduktion in China und weltweit

Was hatte neben dem spekulativen Element die Eisenerzpreise noch nach oben getrieben, fragt die Commerzbank. Hier sei zuallererst die chinesische Stahlproduktion zu nennen, die im April gemäß Daten des Nationalen Statistikbüros mit 97,85 Mio. Tonnen (3,26 Mio. Tonnen pro Tag) ein Rekordhoch erreicht habe. Seit dem Corona-bedingten Einbruch im ersten Quartal des letzten Jahres steigt sie ununterbrochen (im Jahresvergleich). In den ersten vier Monaten dieses Jahres wurden in China bereits rund 375 Mio. Tonnen Stahl produziert. Damit ist das Land auf dem Weg, die Rekordmarke von 1,05 Mrd. Tonnen aus dem letzten Jahr deutlich zu übertreffen.

Eigentlich hatten die chinesischen Behörden die 1 Mrd. Tonnen-Marke als Höchstmarke für die Stahlindustrie ausgegeben, nicht zuletzt um die CO2-Emissionen zu deckeln bzw. zu reduzieren. Die sehr hohen Stahlpreise haben den Herstellern aber Anreiz gegeben, ihre Produktion auszuweiten. Aus Umweltgründen waren zwar in manchen Regionen Chinas Produktionskürzungen angeordnet worden, diese wurden zuletzt jedoch durch Produktionserhöhungen in anderen Regionen mehr als ausgeglichen.

Der Preis für Betonstahl an der SHFE in Shanghai war Mitte Mai auf ein Rekordhoch von 6.200 CNY je Tonne (umgerechnet rund 965 USD je Tonne) gestiegen. Im Einklang mit den Eisenerzpreisen war er anschließend abgesackt. Dank der rekordhohen chinesischen Stahlproduktion wurde auch auf globaler Ebene in den ersten vier Monaten des Jahres eine rekordhohe Menge Stahl hergestellt (knapp 652 Mio. Tonnen gemäß Daten des Weltstahlverbands).

China ist weltgrößter Stahlproduzent und benötigt viel Eisenerz

Durch den ebenfalls starken Anstieg der Rohmaterialpreise, insbesondere Eisenerz, wurden allerdings die Gewinnmargen der Stahlproduzenten geschmälert, so dass in China nach dem Ende der Bausaison im Sommer nach Ansicht der Commerzbank weniger Stahl produziert werden dürfte. Hinzu kommen steuerliche Änderungen bei der Ausfuhr von Stahlprodukten, die den Export unattraktiver machen. Ebenso sollten die Pläne zur Reduzierung von CO2-Emissionen zu einer Drosselung der Stahlproduktion führen, sofern die Behörden diese auch tatsächlich wie angekündigt umsetzen.

Zur Herstellung von Stahl wird viel Eisenerz benötigt – sowohl im Hochofenverfahren als auch im Elektroofenverfahren. Gemäß Angaben des Weltstahlverbands hat das Hochofenverfahren global betrachtet einen Marktanteil von 72% (und das Elektroofenverfahren einen von 28%). Demnach werden zur Produktion von einer Tonne Rohstahl im Hochofenverfahren 1,37 Tonnen Eisenerz benötigt. Im Elektroofenverfahren sind es „nur“ 0,586 Tonnen Eisenerz, da hier viel Stahlschrott verwendet wird.

China als weltgrößter Stahlproduzent braucht also entsprechend viel Eisenerz. China selbst hat zwar große Eisenerzvorkommen und produziert auch viel Eisenerz – aber lange nicht genug, um sich selbst zu versorgen. Zudem war das in China geförderte Eisenerz lange Zeit von geringer Qualität (niedriger Eisenanteil im Erz). Die US-Geologiebehörde (USGS) hat China jedoch für 2020 eine überraschend hohe Qualität des geförderten Eisenerzes bescheinigt (knapp 62% Eisengehalt im Erz).

Die Qualität der chinesischen Reserven ist nach Angaben der Commerzbank jedoch relativ gering (unter 35%). Um die Nachfrage zu befriedigen, hat China bislang große Mengen Eisenerz importiert. Mit gut 382 Mio. Tonnen waren die Einfuhren in den ersten vier Monaten des Jahres fast 7% höher als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Hauptlieferant war bis zuletzt Australien mit einem Importanteil von 60%. Auf Platz zwei folgt mit weitem Abstand Brasilien (20%). Das Eisenerz beider Länder zeichnet sich traditionell durch eine hohe Qualität aus (62% bzw. 63% gemäß USGS). Das heißt, es muss für die Stahlproduktion weniger angereichert werden, so dass auch der Energiebedarf geringer ist, was besser für die Umwelt ist. Auf den weiteren Plätzen der chinesischen Importquellen befinden sich Indien und Südafrika.

Eisenerznachfrage in China könnte zurückgehen

Sollte die chinesische Stahlproduktion zukünftig gedrosselt werden, hätte dies wohl negative Auswirkungen auf die Eisenerznachfrage am seewärtigen Markt, da China für 68% der weltweiten Eisenerzimporte steht. Hinzu kommt, dass sich der politische Disput zwischen China und Australien immer höher schaukelt. Wegen der politischen Spannungen zwischen Peking und Canberra hat China bereits Importe ausgewählter Rohstoffe wie Kupfer aus Australien untersagt, es wurden Strafzölle verhängt und Investitionen auf Eis gelegt. Eisenerz wurde in diesem Disput bis jetzt ausgeklammert. Nach Angaben der Commerzbank hat der Disput seinen Ursprung angeblich in australischen Schuldzuweisungen an China über die Herkunft des Corona-Virus.

In ihrem monatlichen Briefing hat die NDRC aber jüngst chinesische Firmen aufgefordert, den Abbau inländischer Eisenerzvorkommen voranzutreiben, weitere Quellen für Importe aufzutun und ausländische Vorkommen zu erschließen (z.B. in Afrika). Die Commerzbank geht zwar nicht davon aus, dass China ein Importverbot für australisches Eisenerz verhängt, da die Abhängigkeit zu groß ist (s.o.) und sich China damit selbst schaden würde. Aber die Bank teilt die Einschätzung des Analysehauses Wood Mackenzie, dass es Restriktionen, Verzögerungen und einen höheren bürokratischen Aufwand für Eisenerzimporte aus Australien geben könnte.

Eisenerzexporte steigen langfristig

In seinem letzten Quartalsbericht zu den für Australien wichtigsten Rohstoffen von Ende März hatte das australische Ministerium für Industrie, Wissenschaft, Energie und Bergbau den „Drohungen“ aus China noch keine große Beachtung geschenkt. Es ging damals davon aus, dass die chinesischen Eisenerzimporte in diesem Jahr um 8,4% auf 1,27 Mrd. Tonnen steigen werden und sich danach bei rund 1,3 Mrd. Tonnen pro Jahr einpendeln. Optimistisch äußerte sich das Ministerium auch in Bezug auf die Eisenerznachfrage in anderen Ländern: Demnach sollen in den nächsten Jahren unter anderem Japan, Südkorea und Indien – neben China große Stahlproduzenten – mehr Eisenerz nachfragen und entsprechend mehr importieren. Japan und Südkorea machen 13% der weltweiten Eisenerzimporte aus. Indien soll sich von einem Netto-Exporteur zu einem Netto-Importeur von Eisenerz wandeln.

Die hohe Nachfrage am seewärtigen Markt wird dabei laut Ansicht des Ministeriums in erster Linie durch Australien und Brasilien, den beiden größten Exporteuren, befriedigt. Die australischen Eisenerzexporte sollen in diesem Jahr um 3,3% auf 897 Mio. Tonnen ausgeweitet werden, ein Rekordhoch. Über Port Hedland im Nordwesten des Landes, den weltgrößten Eisenerzverladehafen, wurden in den ersten vier Monaten des Jahres gemäß Daten der Hafenbehörde 171,5 Mio. Tonnen Eisenerz verschifft, fast exakt die gleiche Menge wie im Vorjahr. Dort besteht also noch Luft nach oben.

Bis zum Jahr 2026 wird Australien jedes Jahr weitere Rekorde bei den Eisenerzexporten aufstellen. 2025 soll erstmals die Schallmauer von 1 Mrd. Tonnen durchbrochen werden. Die brasilianischen Eisenerzausfuhren sollen nach Einschätzung des Ministeriums sogar um satte 16% auf 396 Mio. Tonnen steigen. Damit wäre die Delle nach dem Dammbruch Anfang 2019 und der Corona-Pandemie endgültig ausgebügelt. Daten des brasilianischen Industrie- und Außenhandelsministeriums zufolge hat Brasilien von Januar bis April 107 Mio. Tonnen Eisenerz ausgeführt, gut 14% mehr als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Die brasilianischen Exporte sind also auf Kurs. In den nächsten Jahren sollen sie weiter gesteigert werden und 2024 bei rund 460 Mio. Tonnen ein Plateau erreichen. Sowohl in Australien als auch in Brasilien werden neue Eisenerzminen in Betrieb genommen und bestehende erweitert, was die Steigerung der Exporte ermöglicht.

Fallende Eisenerzpreise in den nächsten Jahren

Sollte die chinesische Stahlproduktion (aus Umweltgründen) tatsächlich gedrosselt werden, wird dies mit einer geringeren Nachfrage nach Eisenerz einhergehen. Gleichzeitig wird das Angebot ausgeweitet, vor allem in Australien und Brasilien, so dass der seewärtige Eisenerzmarkt nach Ansicht der Commerzbank immer besser versorgt sein dürfte. Diese Ansicht vertreten offenbar auch die meisten Marktteilnehmer, denn die Terminkurve von Eisenerz ist stark in Backwardation, deutet also auf eine merkliche Entspannung der Marktlage in den nächsten Monaten und Jahren hin. Gemäß der Terminkurve werden die Eisenerzpreise in den nächsten drei Jahren deutlich fallen. Sie zeigt einen Preis von rund 150 USD je Tonne zum Jahresende 2021 und einen Preis von etwa 115 USD zum Jahresende 2022 an. Ein paar Kontrakte mit Laufzeit 2023 notieren unter 100 USD.

Die Commerzbank hält die starke Preiskorrektur der letzten Wochen für noch nicht abgeschlossen. Die Bank bestätigt ihre bisherige Preisprognose von 150 USD je Tonne zum Jahresende. Die Commerzbank schließt nicht aus, dass der Preis zwischenzeitlich auch darunter rutscht, denn so wie der starke Anstieg in den letzten Monaten könnte auch die Korrektur übertrieben ausfallen. Nach Meinung der Commerzbank könnte das aktuelle Geschehen am Eisenerz- und Stahlmarkt durchaus ein Vorbote für die Metallmärkte sein. Denn viele Metallpreise sind nach Meinung der Bank ebenfalls zu hoch und eine Korrektur sei dringend notwendig.


Quelle: Commerzbank AG / Vorschaubild: fotolia

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