DIW-Konjunkturprognose: Industrie stottert weltweit – Deutsche Wirtschaft stagniert
von Hubert Hunscheidt
Weltwirtschaft: Weitere Erholung erwartet, nur die Wirtschaft in den USA kühlt ab
Das Wachstum der Weltwirtschaft hat sich im zweiten Quartal 2024 abgeschwächt; sie legte um 0,7 Prozent zu, nach 1,0 Prozent im vorherigen Quartal. Insbesondere in den Schwellenländern geriet das Wachstum ins Stocken. Grund war die Entwicklung in China, wo die Binnennachfrage weiterhin gedämpft ist. Etwas mehr Schwung kam hingegen aus den fortgeschrittenen Volkswirtschaften, insbesondere aus den USA und dem Euroraum. Dort gingen die Inflationsraten weiter zurück, was im Euroraum im Juni zu einer ersten Zinssenkung führte.
Getragen von Konsum und Exporten wuchs die Wirtschaft in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften im zweiten Quartal um 0,6 Prozent. Im Euroraum setzte die Wirtschaft ihre Erholung fort und legte erneut um 0,3 Prozent zu. Vor allem der Außenhandel leistete dank steigender Exporte einen positiven Beitrag. Mit einem Wachstum von 0,8 beziehungsweise 1,0 Prozent stützten Spanien und die Niederlande die wirtschaftliche Belebung im Euroraum besonders stark. Auch Frankreich und Italien legten jeweils ein positives Quartalswachstum von 0,2 Prozent vor. Lediglich Deutschland trug unter den großen Euroländern mit –0,1 Prozent negativ zum Wachstum des Euroraums bei. Im Vereinigten Königreich stieg die Wirtschaftsleistung weiterhin deutlich um 0,6 Prozent, was vor allem durch einen starken Lageraufbau gestützt wurde.
Auch in den USA legte die Wirtschaft im zweiten Quartal mit 0,7 Prozent kräftig zu, weiterhin getrieben von robusten Konsumausgaben und Unternehmensinvestitionen. In Japan verzeichnete das Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit einem Anstieg um 0,8 Prozent eine deutliche Gegenbewegung zum negativen Jahresauftakt. Steuererleichterungen und Reallohnzuwächse dank großer Lohnerhöhungen kurbelten den privaten Konsum an.
Unter den Schwellenländern, die insgesamt um 0,8 Prozent zulegten, enttäuschte lediglich China im zweiten Quartal. Die Wirtschaft dort wuchs nur um 0,7 Prozent, nach 1,5 Prozent im Vorquartal. Negative Faktoren wie der weiterhin angeschlagene Immobilienmarkt, die verhaltene Binnennachfrage und schwere Unwetter und Überschwemmungen dämpften das Wachstum, während die fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen den Problemen im Immobiliensektor nur begrenzt entgegenwirkten. Positiv trugen hingegen die gute Auslandsnachfrage und die staatlichen Investitionen in den High-Tech-Sektor zum Wachstum bei. Die indische Wirtschaft setzte ihr Expansionstempo dank einer starken Binnenkonjunktur fort. In Mexiko und Brasilien wuchs die Wirtschaft weiter, die Dynamik ließ jedoch etwas nach. Hier zeigte die restriktive Geldpolitik Wirkung, und der Exportsektor spürte die schwächere Weltwirtschaft. In den mittel- und südosteuropäischen EU-Ländern stach vor allem Polen mit einer Quartalszuwachsrate von 1,5 Prozent hervor; hier trugen insbesondere der private und öffentliche Konsum sowie Investitionen zum Wachstum bei.
Im laufenden dritten Quartal dürften die fortgeschrittenen Volkswirtschaften etwas weniger zum Weltwirtschaftswachstum beisteuern als noch im Vorquartal. Dies ist vor allem auf die Abkühlung der US-Wirtschaft angesichts eines weniger dynamischen Konsums und einer sich eintrübenden Lage auf dem Arbeitsmarkt zurückzuführen. Die Wirtschaft im Euroraum ohne Deutschland dürfte ihre Erholung fortsetzen. Dabei werden wohl die stetigen Reallohnzuwächse die Binnennachfrage stärken. Von der Industrie hingegen sind im Euroraum keine Impulse zu erwarten: Während die Einkaufsmanagerindizes des Verarbeitenden Gewerbes der einzelnen Euroländer im ersten Halbjahr 2024 noch Zeichen der Erholung zeigten, sind sie seit Juni wieder rückläufig. Die Unternehmen sind unter anderem pessimistisch, was die politische Unsicherheit (Frankreich), den Rückgang von Aufträgen und die steigenden Preise für Vorleistungsgüter und Arbeitskosten (Spanien, Niederlande, Italien) betrifft. Im Dienstleistungssektor verschlechtern sich die Aussichten in den meisten Mitgliedsländern ebenfalls, die Indizes bleiben aber über der Expansionsschwelle. In Frankreich hat sich die Stimmung dank der Olympischen Spiele im Sommer aufgehellt. Im Vereinigten Königreich sind die Aussichten für das dritte Quartal gut. Sowohl die aufwärtsgerichteten Einkaufsmanagerindizes in allen Wirtschaftsbereichen als auch das gestiegene Konsumentenvertrauen deuten auf eine weitere Erholung hin. Auch die Reallohnzuwächse dürften den Konsum weiter ankurbeln. In Japan setzt die sich erholende Binnennachfrage leichte Wachstumsimpulse für das dritte Quartal. Gleichzeitig sind auch dort die Signale für eine Belebung im Verarbeitenden Gewerbe sehr schwach; der Einkaufsmanagerindex verharrt seit zwei Monaten wieder unter der Expansionsschwelle von 50.
In den Schwellenländern wird im dritten Quartal ein stärkeres Wachstum als im zweiten Quartal erwartet. Die indische Wirtschaft dürfte weiterhin dynamisch zulegen. Die chinesische Wirtschaft wird wohl von zunehmenden Exporten und Investitionen in den High-Tech Sektor profitieren. Die Binnennachfrage hingegen dürfte aller stimulierenden geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen zum Trotz weiterhin unter den Problemen im Immobiliensektor leiden, was das jährliche Wachstumsziel der chinesischen Regierung von fünf Prozent für dieses Jahr fraglich erscheinen lässt.
Trotz bereits eingeleiteter oder noch anstehender Zinswenden dürfte die Geldpolitik in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften weiterhin restriktiv wirken. Bis Ende des kommenden Jahres wird wohl vielerorts der neutrale Zins erreicht sein. Die Europäische Zentralbank läutete im Juni die Zinswende ein (Kasten 1), die Bank of England folgte im August. In den USA bahnt sich angesichts der stetig sinkenden Inflation eine Zinswende für Mitte September an. Im Gegensatz dazu beschloss die japanische Notenbank im Juli wegen der höheren Inflationsraten und des schwachen Yen eine weitere Zinserhöhung. Dies ist ein Anzeichen dafür, dass die jahrelange sehr expansive Geldpolitik zu einem Ende kommt, was aber kurzfristig zu weltweiten Börsenturbulenzen führte.
Deutsche Wirtschaft: Konjunkturtief hält an
Die Schwächephase der deutschen Wirtschaft hält weiter an. Nach einem leichten Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu Jahresbeginn um 0,2 Prozent hat sich die positive Entwicklung nicht weiter fortgesetzt; die Wirtschaftsleistung ging im zweiten Quartal wieder etwas zurück (um 0,1 Prozent, Abbildung 3). Die ersehnte Erholung blieb aus, da zum einen der Konsum der privaten Haushalte deutlich geringer ausfiel, als es die positive Entwicklung der verfügbaren Einkommen seit der Energiekrise erwarten ließ. Zum anderen brachen die Investitionen in Ausrüstungen und Bauten ein und die Exporte waren ebenfalls rückläufig, was wohl vor allem auf eine nach wie vor geringe Nachfrage nach Industriegütern aus dem In- und Ausland zurückzuführen ist.
Quelle und Grafik: DIW