"Digitalisierung ist Impulsgeber für Wachstum"

von Alexander Kirschbaum

Im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung zur Jahrestagung STAHL 2016 hielt Michael Ziesemer, Präsident des Zentralverbandes Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V. (ZVEI), einen Vortrag über die gegenwärtigen Herausforderungen für den Erhalt starker Wertschöpfungsketten in Deutschland und Europa.

Zunächst machte Ziesemer deutlich, dass wir uns mitten im Umbruch befinden und Zeitzeugen gravierender Veränderungen sind. Die digitale Transformation durchdringt mit großer Kraft und Geschwindigkeit alle gesellschaftlichen Sphären, dabei kennt sie keine Branchengrenzen und auch keine Nationalstaatsgrenzen. Die Digitalisierung ist irreversibel und potenziell disruptiv. Die deutsche und europäische Industrie stehen daher vor großen Herausforderungen, so Ziesemer in seinem Vortrag. Auf dem ZVEI Jahreskongress 2016 hat die deutsche Bundeskanzlerin die Digitalisierung als Schicksalsfrage für die Elektroindustrie bezeichnet. Dem Verbandspräsidenten zufolge befindet sich die Elektroindustrie in einer Schlüsselstellung und ist bei der Digitalisierung weiter als andere Branchen sowie wichtiger Impulsgeber für andere Industriezweige.

Gute Ausgangslage in Deutschland

Die Digitalisierung verändert auf radikale Art und Weise etablierte Rollen und Wertschöpfungstrukturen, indem sie althergebrachte und durchaus erfolgreiche Geschäftsmodelle zerlegt und neu zusammensetzt, so Ziesemer. Die Frage ist laut Ziesemer, ob die Anstrengungen in Deutschland und Europa ausreichen, um der schöpferischen Zerstörung der Digitalwirtschaft begegnen zu können. Richtig ist Ziesemer zufolge, dass die amerikanische Internetwirtschaft bei der Entwicklung von datenbasierten Geschäftsmodellen den Ton angibt. US-Unternehmen verstehen es besser aus Daten ein Geschäft zu machen.

Gerade deutsche Unternehmen sind allerdings im Internet der Dinge Spitze, wie Ziesemer in dem Vortrag deutlich machte. "Unsere Ausgangslage ist dort exzellent, wo die Welt der IT mit der realen Welt zusammenkommt. Bei Antrieben, Steuerungen, Sensoren und jeglicher Art von Maschinen", so der Verbandspräsident. In diesen Bereichen sind deutsche Unternehmen Weltmarktführer.

Das eigentliche revolutionäre an Industrie 4.0 ist laut Ziesemer jedoch die Entstehung neuer Geschäftsmodelle. "Hier muss Deutschland zulegen." In Summe betrachtet sieht es für die deutsche Industrie nicht schlecht aus. Der Industrieanteil am Bruttoinlandsprodukt liegt hierzulande bei fast 23 %, in den USA nur bei 13 %. Die gute Ausgangslage hat Deutschland laut Ziesemer gestärkt, weil Unternehmen, Politik, Verbände, Gewerkschaften und auch wissenschaftliche Einrichtungen industriepolitisch gut vorangekommen sind. "Die "Plattform Industrie 4.0" vertritt kompetent die führende Rolle Deutschlands bei industrie 4.0." Die Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Industrial Internet Consortium konnte Ziesemer zufolge während der Hannover Messe begründet werden und trägt inzwischen erste Früchte.

Vorteil deutscher Mittelstand

"Wir haben ein weiteres asset, worum uns die Welt beneidet: den Mittelstand." Bei Industrie 4.0 sind es nicht nur die großen Unternehmen, die die Entwicklung vorantreiben, so Ziesemer. Es gibt zahlreiche Hidden Champions, die außerhalb der Branche wenig bekannt sind. In der Elektroindustrie sind laut Ziesemer 90 % der Unternehmen mittelständisch geprägt, also Unternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten. Durch eine konsequente Ausrichtung auf Innovation haben diese Mittelständler eine starke Marktpositionen erreicht. "Sie sind Rückrat der Industrie und genießen weltweit einen hervorragenden Ruf", so Ziesemer. "Wir brauchen uns daher nicht zu verstecken. Am Ziel sind wir jedoch noch lange nicht. Denn der digitale Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft ist Weg und Ziel zugleich."

Zusammenarbeit ist in Umbruchsituationen wichtig

"Zusammenarbeit ist einer der Schlüssel für Digitalisierung." Ziesemer sieht auch deutliche Anknüpfungspunkte zu der Stahlindustrie. Auch diese stellt sich den Herausforderungen der Digitalisierung und ist beispielgebend wenn es darum geht, Liefer- und Leistungsketten durchgängig zu digitalisieren. "Hier können wir voneinander profitieren." Die Stahlindustrie mit ihren Produktions- und Wertschöpfungsnetzwerken ist ein wichtiger Anwender von Industrie 4.0, wie Ziesemer deutlich machte. "Im Wettbewerb um die produktivsten Standorte ist Digitalisierung von ausschlaggebender Bedeutung. Und Zusammenarbeit ist in Umbruchsituationen sehr wichtig."

Digitaler Binnenmarkt nötig

Der ZVEI und die Unternehmen der Elektroindustrie setzen laut Ziesemer bei der Zusammenarbeit auf Europa. "Politik ist hier ein wichtiger Partner. Sie muss endlich den digitalen Binnenmarkt in Europa durchsetzen." Jeder der Mitgliedsländer hat für sich allein viel zu wenig Gewicht, um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können, wie Ziesemer betonte. "Wir brauchen einen besseren Zugang für Verbraucher und Unternehmen zu digitalen Waren und Dienstleistungen in ganz Europa. Wir müssen gleiche Voraussetzungen für florierende digitale Netze und innovative Dienste schaffen. Und wir müssen das große Wachstumspotenzial der digitalen Wirtschaft bestmöglich ausschöpfen.

Dabei braucht die Wirtschaft in Deutschland die Unterstützung der Politik. "Wer wie Deutschland die Nr.1 bei Industrie 4.0 sein kann, kann nicht Nummer 22 in der Welt sein, was die durchschnittliche Internetgeschwindigkeit angeht. "Es ist der Charakter von Veränderungsprozessen, das wir nie sicher sagen können, wie sie sich entwickeln. Feststeht: Digitalisierung ist nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Chance und ein Impulsgeber für Wachstum. Sie bietet ein enormes Potenzial für die Industrie in Deutschland und Europa. Es gilt jetzt, diese Chance zu nutzen", so das Fazit vom Präsidenten des ZVEI.

Quelle und Fotos: marketSTEEL

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