Deutsche Wirtschaft zurück auf moderatem Wachstumspfad

von Hubert Hunscheidt

Das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) hat nach Veröffentlichung neuer statistischer Daten seine Prognose der Wirtschaftsentwicklung in Deutschland für 2019/2020 überprüft. Wie erwartet ist die Konjunktur in den ersten Monaten dieses Jahres auf einen moderaten Wachstumspfad zurückgekehrt. Eine erneute Verlangsamung der Konjunkturdynamik in den nächsten Monaten sollte angesichts guter binnenwirtschaftlicher Rahmenbedingungen und bei Nachlassen außenwirtschaftlicher Störeinflüsse vorübergehend sein. Für 2019 erwartet das HWWI daher unverändert ein Wachstum von 0,9 % und für 2020 – auch dank von mehr Arbeitstagen – von 1,7 %. Die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt wird sich damit, wenn auch verlangsamt, fortsetzen. Der Anstieg der Verbraucherpreise wird sich, abhängig von spezifischen Schwankungen, wie am Ölmarkt, bei knapp unter der 2-Prozent-Marke halten.
 
Im Detail
 
Die Konjunktur in Deutschland, die in der zweiten Jahreshälfte 2018 ins Stocken geraten war, ist in den ersten Monaten dieses Jahres wieder auf einen moderaten Wachstumspfad zurückgekehrt; mit auf Jahresbasis hochgerechnet 1,7 % lag die Zunahme des realen Bruttoinlandsprodukts im ersten Quartal sogar etwas über Potenzialpfad. Dabei spielten zwar auch das Nachlassen der negativen Sondereffekte von Ende vergangenen Jahres (durch Änderungen der Abgas-Prüfstandards in der Autoindustrie verursachte Produktionskürzungen und Zulassungsstaus) und relativ mildes Winterwetter eine Rolle, Hauptgrund war aber eine starke private Binnennachfrage. Privater Konsum, Unternehmensinvestitionen und Bautätigkeit nahmen zu Beginn dieses Jahres kräftig zu. Überdies gab es etwas überraschend mal wieder einen Wachstumsbeitrag seitens des Außenhandels. Der leichte Rückgang der staatlichen Konsumausgaben ist vor dem Hintergrund des starken Anstiegs Ende 2018 zu sehen. Der Arbeitsmarkt hat sich unter diesen Bedingungen weiter gut entwickelt; die Arbeitslosenquote liegt nun saisonbereinigt knapp unter 5 %. Die Inflationsrate, die zu Beginn dieses Jahres mit wieder gesunkenen Ölpreisen deutlich unter die 2-Prozent-Marke gefallen war, zog mit dem Schwenk bei den Ölpreisen wieder auf 2 % an. Ohne Berücksichtigung der Energiepreise hätte die Anstiegsrate der Verbraucherpreise im April 1,7 % betragen.
 
Die Konjunkturperspektiven für die nächsten Monate sind durch verschiedene Faktoren etwas eingetrübt. Die Industrie schwächelt im Moment; Produktion und Auftragslage dort sind gedrückt. Überdies halten eine Reihe politischer Unsicherheiten an. Belastend für die deutsche Wirtschaft wirken vor allem verschiedene Einflüsse von außen. Die Brexit-Frage ist nach wie vor ungeklärt. Ebenso droht weiterhin die Möglichkeit von US-Strafzöllen, die insbesondere die deutsche Autoindustrie treffen würden. Die jüngste Iran-Krise verunsichert zudem die Ölmärkte, trifft überdies auch die deutschen Exporteure. Das alles hat Auswirkungen auf das Businessklima. Die binnenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen bleiben für sich gesehen jedoch weiterhin relativ günstig. Bei weiter zunehmender Beschäftigung und realen Lohnzuwächsen sowie deutlichen Rentenerhöhungen steigt so die Kaufkraft und damit auch die Konsumnachfrage. Überdies scheint sich die Lage in der Autoindustrie zu stabilisieren, die mit für die Schwäche in der zweiten Jahreshälfte vergangenen Jahres ausschlaggebend war.
 
Unter der Bedingung, dass die außenwirtschaftspolitischen Unsicherheiten begrenzt werden können, werden weiterhin die insgesamt günstigen binnenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen die weitere Wirtschaftsentwicklung dominieren. Der zu Jahresbeginn wieder aufgenommene moderate Wachstumspfad könnte sich dann tendenziell fortsetzen, auch wenn die Dynamik zunächst noch mal etwas nachlassen könnte, da das erste Quartal durch das milde Winterwetter wohl etwas überzeichnet war. Zum Jahresende hin dürfte sich die Konjunkturdynamik aber wieder leicht verstärken, insbesondere wenn von außenwirtschaftlicher Seite wieder mehr Impulse kommen. Ein Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts im Laufe dieses Jahres nur wenig unterhalb des Potenzialpfades von 1 ½ Prozent wäre dann möglich. Im Jahresdurchschnitt würde die deutsche Wirtschaft 2019 dann um knapp 1 % wachsen. Dieses auf den ersten Blick relativ schwache Wachstum resultiert vor allem aus der ungünstigen Ausgangsposition infolge der Wirtschaftsschwäche im zweiten Halbjahr 2018 (sog. Überhang). Die Lage am Arbeitsmarkt würde sich weiter verbessern, die Arbeitslosenquote deutlich unter 5 % sinken. Die Inflationsrate der Verbraucherpreise wird bei Beruhigung der Ölpreisentwicklung im Durchschnitt des Jahres etwa 1 3/4 % betragen.
 
Ohne neue Belastungen könnte sich der moderate Konjunkturanstieg im Jahr 2020 fortsetzen und Richtung Potenzialpfad zurückkehren. Hauptantriebskraft bliebe die Binnenwirtschaft, die Außenwirtschaft würde aber wieder mit zum Wachstum beitragen. Da das Kalenderjahr 2020 fast vier Arbeitstage mehr hat als 2019, würde die deutsche Wirtschaft unbereinigt um diesen Effekt (der rechnerisch knapp 0,4 % Wirtschaftsleistung ausmacht) sogar um 1,7 % wachsen. Die Arbeitsmarktsituation würde sich weiter verbessern. Der Preisauftrieb dürfte sich aufgrund der erhöhten Lohnstückkosten etwas verstärken; die Anstiegsrate der Verbraucherpreise dürfte im Jahresdurchschnitt bei 2 % liegen.
 
In dieser Prognose wurde davon ausgegangen, dass die aktuellen außenwirtschaftspolitischen Risiken, speziell Brexit und US-Strafzölle, begrenzt bleiben. Würden diese virulent, würde sich das nicht nur auf die Exportwirtschaft auswirken, sondern auch die Stimmung in der Binnenwirtschaft belasten. Eine Beeinträchtigung der Exporte würde zu zurückhaltenderen Dispositionen bei Unternehmensinvestitionen und Beschäftigung und damit auch zu einem geringeren Anstieg der Einkommen und des privaten Konsums und anderer Ausgaben führen. Wie stark die Dämpfung der Konjunktur ausfiele, hinge von der jeweiligen Konstellation der Ereignisse ab. Im ungünstigsten Fall wäre eine rezessive Entwicklung nicht auszuschließen; die Wahrscheinlichkeit dafür ist im Moment aber gering.
 

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