Stahlrohrindustrie Deutschlands stellt sich neuen Herausforderungen
von Alfons Woelfing
Europaweit war das positive Ergebnis auf Produktionssteigerungen bei geschweißten Stahlrohren bis 16“ Außendurchmesser und Großrohren zurückzuführen, wohingegen die Produktion nahtloser Stahlrohre vor allem wegen der anhaltenden Investitionszurückhaltung der Energieindustrie rückläufig war. Das an sich erfreuliche Ergebnis für die deutsche Stahlrohrindustrie relativiert sich allerdings, wenn man weiß, dass vor der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 hierzulande schon einmal fast vier Mio. Tonnen Stahlrohre hergestellt wurden. Nach dem Einbruch in 2009 mit deutlich unter drei Millionen Tonnen gab es in den Jahren 2010 bis 2012 eine Erholungsphase, in der wieder weit mehr Stahlrohre produziert wurden. Nach einem erneuten Einbruch im Jahr 2013 pendelte sich die Produktion in Deutschland dann auf einen Wert um die 2,5 Millionen Tonnen ein (Bild: Deutscher Stahlrohrmarkt 2007-2016). Neben der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung ist vor allem die Dominanz des Öl- und Gassektors auf Abnehmerseite für die starken Schwankungen der Produktionszahlen verantwortlich.
Beispielhaft dafür ist die Preisentwicklung bei Öl und Gas in den letzten Jahren. Die infolge des Überangebotes auf den Weltmärkten einbrechenden Rohölpreise in 2014/2015 sorgten dafür, dass die Energieindustrie ihre Investitionstätigkeit weitgehend einstellte. Zudem gingen auch die Notierungen für Erdgas weiter zurück. Von dieser Entwicklung wurde die Zulieferindustrie hart getroffen - die Umsätze sanken teilweise um über die Hälfte. Die bis dahin boomende Fracking-Industrie in Nordamerika wurde von dieser Entwicklung besonders stark betroffen.
Deutsche Produktion für den Export
Das wirkte sich auch auf deutsche Rohrhersteller aus, die schon traditionell eine extrem hohe Exportquote verzeichnen. So gingen beispielsweise von den 2015 in Deutschland produzierten 2,4 Millionen Tonnen nicht weniger als 2,37 Millionen Tonnen (fast 99 Prozent!) in den Export (Quelle: Jahresbericht 2015 der Wirtschaftsvereinigung Stahlrohre). Dass sich der Handelsüberschuss in diesem Sektor dennoch in Grenzen hielt, dafür sorgten die gut zwei Millionen Tonnen importierten Stahlrohre. Vereinfacht gesagt wird der deutsche Stahlrohrbedarf weit überwiegend aus importierten Produkten gedeckt,
während die einheimischen Hersteller nahezu ausschließlich für die Ausfuhr produzieren.
Zu den größeren deutschen Rohrherstellern zählen unter anderem Salzgitter, Benteler, Vallourec und Maxhütte. Der zur Salzgitter AG gehörende Geschäftsbereich Mannesmann, der die Konzernaktivitäten im Rohrbereich umfasst, verbuchte 2016 eine Versandmenge von 543.000 Tonnen (nach 526.000 Tonnen im Vorjahr). Doch trotz eines verbesserten Resultats der Salzgitter Mannesmann Großrohr GmbH und des gesteigerten, positiven Ergebnisbeitrags der anteilsmäßig einbezogenen Europipe-Gruppe gab der Außenumsatz im Rohrsegment insgesamt erlös- und strukturbedingt nach (Quelle: Geschäftsbericht 2016).
Die Mannesmann-Sparte der Salzgitter AG ist schwerpunktmäßig auf internationale Projektgeschäfte in den Sektoren Energieversorgung und Infrastruktur ausgerichtet und deckt ein breites Durchmesserspektrum bei den Leitungsrohren ab. Ein nach eigenen Angaben in Europa dominierender Anbieter für Präzisionsstahlrohre im Automobilbau sowie ein weltweit führender Hersteller nahtloser Edelstahl- und Nickelbasisrohre ergänzen das Portfolio.
Nach Ansicht des Unternehmens könnte das vergangene Jahr im Rückblick markante Phasen, wenn nicht gar Wendepunkte beinhalten. Dazu zählt der Vorstand der Salzgitter AG, dass die EU-Kommission „erstmals wirksame Handelsschutzinstrumente gegen eine Flut von Dumping-Importen anwendete“. Dies sei bitter nötig gewesen, war doch zwischenzeitlich das mittel- bis langfristige Überleben der europäischen Stahlindustrie mit ihren rund 330.000 Arbeitsplätzen gefährdet. Die Einführung der Anti-Dumping-Maßnahmen ab Februar 2016 war demnach ein wesentlicher Faktor für das vorläufige Ende der seit mehreren Jahren andauernden, im Ausmaß desolaten Stahlpreiserosion in Europa.
Speziell im Rohrsektor sieht das Unternehmen jedoch auch künftig große Herausforderungen. So wird die Verfassung großer Teile des Leitungsrohrmarktes sowie des Grobblechsektors als weiterhin prekär bezeichnet. Inwieweit die politischen Umbrüche in Europa und Amerika die im Grunde günstigen Konjunkturaussichten beeinflussen werden, sei nicht absehbar. Deshalb sei „es fahrlässig, sich in diesen unsicheren Zeiten allein auf bessere Rahmenbedingungen zu verlassen“. Der Auftragseingang des Geschäftsbereiches Mannesmann blieb 2016 unter dem Wert des Vorjahres. Dies war zum einen - im Edelstahlrohrbereich - auf die niedrigeren Ordereingänge des europäischen lagerhaltenden Handels sowie die sehr wenigen Projekte im Öl- und Gasbereich verzeichnete. Zum anderen konnte man auch bei den Großrohren erwartungsgemäß den überdurchschnittlich hohen Vorjahreswert nicht wieder erreichen. Auch auf den Orderbestand des Geschäftsbereiches wirkte sich die Entwicklung im Edelstahlrohrsegment negativ aus. Außerhalb des Konsolidierungskreises legte der Orderzulauf der Europipe-Gruppe vor allem dank der Buchung der Projekte Nord Stream 2, TAP On-/Offshore und Zohr deutlich zu, sodass auch der Auftragsbestand über dem des Jahres 2015 rangierte.
Insgesamt verbuchte der Geschäftsbereich Mannesmann nach einem kleinen Plus im Vorjahr in 2016 einen Verlust vor Steuern. Darin enthalten sind aber u. a. Aufwendungen für Strukturmaßnahmen hauptsächlich bei der Salzgitter Mannesmann Line Pipe GmbH (MLP), die dem schwachen internationalen Öl- und Gasgeschäft und intensiven Preiswettbewerb mit einem Restrukturierungsprogramm zur Kapazitätsanpassung und weiteren Kostensenkung begegnet.
Ausblick 2017: Leicht verbesserte Perspektiven
Für das Geschäftsjahr 2017 erwartet der Salzgitter-Konzern bei den Gesellschaften des Geschäftsbereiches Mannesmann wieder eine heterogene Entwicklung. Während die deutschen Großrohrwerke auch wegen der Buchungen im letzten Jahr eine gute Auslastung aufweisen, hat sich die Auftragslage auf dem nordamerikanischen Markt eingetrübt. Die Segmente der mittleren Leitungsrohre, Präzis- und Edelstahlrohre sollten eine zumindest zögerliche Erholung verzeichnen. Insgesamt sollten steigende Versandmengen bei einem höheren Erlösniveau zu einer moderaten Umsatzausweitung führen. Voraussetzung dafür ist, dass es in Europa nicht zu einer rezessiven Entwicklung kommen wird. Vielmehr erwartet man für die anhaltend umkämpften Hauptmärkte eine Fortsetzung der konjunkturellen Erholung.
Insgesamt sieht man – anders als bei der im Vorjahr sehr zurückhaltenden Einschätzung - leicht verbesserte Perspektiven für die Stahlrohrindustrie. Nach ersten Aufwärtsimpulsen aufgrund gestiegener Rohstoff- und Stahlpreise sollte auch das Stahlrohrgeschäft Unterstützung erhalten. Positive Effekte erhofft man sich zudem von der expansiven Wirtschaftspolitik und wieder stärker auf fossile Energieträger ausgerichteten Energiepolitik in Nordamerika. Besonders das Nahtlosrohrgeschäft könnte sich weiter erholen, auch wenn gerade in diesem Marktsegment weltweit immer noch erhebliche Überkapazitäten bestehen. Der Großrohrmarkt bleibt vom Projektgeschäft geprägt und nach wie vor hart umkämpft. Letzteres gilt besonders auch für das Line-Pipe-Geschäft mit Rohren bis 16" Durchmesser. Die Präzisrohrindustrie sollte sich vor dem Hintergrund einer robusten Konjunktur stabil entwickeln.
Auch bei der Benteler-Gruppe, organisiert in den drei Divisionen Automotive, Steel/Tube und Distribution und gesteuert von der Benteler International AG in Salzburg, Österreich, war das Jahr 2016 von intensivem Wettbewerb, wechselhaften Märkten und politischen Herausforderungen geprägt. Während die Division Automotive Umsatz und Ergebnis im Vergleich zum Vorjahr verbessern konnte, haben sich Umsatz und Ergebnis der Division Steel/Tube verringert. Ausschlaggebend dafür war die reduzierte Nachfrage in einem von Überkapazitäten geprägten Marktumfeld, die das Preisniveau in den USA und in Europa stark unter Druck setzte (Quelle: Geschäftsbericht 2016). Wichtig für Deutschland: Ende 2016 wurde gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern eine Vereinbarung zur Sicherung des deutschen Werksverbundes geschlossen, die fünf Jahre lang gültig sein wird. Dazu heißt es: „Mit dem Konzept „Standortsicherung“ wurde die Grundlage geschaffen, die Division zukunftsfähig aufzustellen, um in einem sich schnell verändernden Marktumfeld erfolgreich zu sein“. Bezüglich der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens ist man bei Benteler verhalten optimistisch. So geht man bei der Division Steel/Tube von einer verbesserten Marktsituation aus. Allerdings wird das Ergebnis der Division von den Hochlaufkosten des neuen Warmrohrwerks in Shreveport/USA deutlich beeinträchtigt. Bei insgesamt besserer operativer Leistung werden die anlaufbedingten Mehrkosten zu einem niedrigeren Ergebnis der Gruppe im Vergleich zum Vorjahr führen. Verhalten optimistisch fällt auch der Blick auf das wirtschaftliche Umfeld aus, denn es zeichnen sich erste positive Signale im Stahlrohrmarkt ab.
Stahl- und Rohrmarkt in einem herausforderndem Umfeld
Auch Benteler betont, dass der Stahlrohrmarkt im Jahr 2016 durch die Entwicklung des Ölpreises bestimmt war. Am Anfang des Jahres notierte die Referenzsorte WTI ihren Tiefpunkt, konnte sich aber im Laufe des Jahres erholen. Insbesondere die von OCTG-Produkten (Oil Country Tubular Goods) geprägten Regionen Nordamerika und der Mittlere Osten konnten sich zum Ende des Jahres stabilisieren und zeigen Anzeichen einer Markterholung. Viele Länder Asiens zeigen weiterhin ein positives, wenn auch geringes Wachstum, während China durch den Ölpreisrückgang weiterhin eine Reduzierung der Nachfrage verzeichnete. Der Stahlrohrmarkt in der EU befindet sich in einer von Überkapazitäten und Preisdruck geprägten Situation. Infolge der weiter rückläufigen Produktion von nahtlosen Stahlrohren in der EU reagierten die europäischen Hersteller mit Kostenreduzierungsprogrammen und Portfoliooptimierungen.
Als positive Signale wertet man bei Benteler, dass sich die Rohrlagerbestände für Öl- und Gasapplikationen im US-amerikanischen Markt gegen Jahresende 2016 weiter reduziert haben. Auch der US-Rig Count (Anzahl der Bohrlöcher) stieg im Laufe des Jahres auf über 650 Bohrtürme, was einer Steigerung um 48 Prozent im Vergleich zum ersten Quartal 2016 entspricht. Zudem unterstützt die Einigung der OPEC zur Produktionskürzung der Ölfördermengen die Ölpreisentwicklung und die daraus resultierende Erholung des Stahlrohrmarktes.
Hersteller wie Verband sind sich darin einig, dass sich gegenüber dem Vorjahr die Perspektiven für die Stahlrohrindustrie verbessert haben. Laut Wirtschaftsvereinigung Stahlrohre beginnt sich die nach dem Einbruch der Rohölpreise praktisch zum Erliegen gekommene Investitionstätigkeit der Energieindustrie zu normalisieren. Von dem entsprechenden Nachholbedarf dürfte die Stahlrohrindustrie insbesonderer Weise profitieren. Weitere positive Effekte für das Stahlrohrgeschäft erwartet man von zyklisch steigenden Rohstoff- und Stahlpreisen sowie von einer weiterhin robusten Konjunktur in den Industrieländern, angetrieben von nach wie vor relativ günstigen Energiepreisen, einer expansiven Fiskalpolitik und einer günstigen Euro-Dollar-Relation.
Wie die Stahlrohrkonjunktur 2018 ausfällt, kann heute noch niemand sagen. Eines steht aber fest: Stahlrohre jeder Art und Größe werden neben Anlagen und Maschinen zur Herstellung und Bearbeitung von Rohren ein zentrales Thema der Tube 2018 sein. Die Branche trifft sich für die nächste Ausgabe der führenden Internationalen Rohrfachmesse, die wie immer gemeinsam mit der weltgrößten Draht- und Kabelmesse wire veranstaltet wird, vom 16. bis 20. April 2018 wieder auf dem Düsseldorfer Messegelände.
Quelle: Messe Düsseldorf GmbH / Grafik: Wirtschaftsvereinigung Stahlrohre