Der Fall VW und seine Folgen

von Hans Diederichs

Was Anfang der Woche als eine Meldung über getürkte Abgaswerte in den USA begann und sich zum Skandal für VW-Chef Martin Winterkorn ausweitete, hat mittlerweile das Zeug zu einer handfesten Tragödie. Wer die teils hämischen Kommentare in den Auslandsmedien verfolgt, dem wird klar, dass mittlerweile das gesamte Modell Deutschland am Pranger steht. Es ist, als habe man den Klassenprimus beim Abschreiben erwischt. Die Folgen sind noch nicht absehbar.

Stühlerücken an der VW-Spitze

Die Konzernaufseher von VW schienen in den schweren Stunden dieser Woche vor allem um Schadensbegrenzung bemüht. Keine 24 Stunden, nachdem der kommissarische VW-Aufsichtsratschef Berthold Huber den Rücktritt von Martin Winterkorn verkündet hatte, war ein Nachfolger gefunden: Der 62jährige Porsche-Chef Matthias Müller soll es werden. Am Freitagmittag tagte der Aufsichtsrat, um Müller offiziell zum neuen VW-Chef zu küren.

Doch kehrt damit Ruhe ein? Wohl kaum. Müller hat die schwierige Aufgabe, die Ursachen für den Skandal zu finden. Denn wenn so etwas passiert, haben meist Kontrollmechanismen versagt. Auch ist das Stühlerücken im Konzern mit dem Austausch des VW-Chefs nicht beendet. Nach übereinstimmenden Berichten mehrerer Zeitungen sollen angeblich auch Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz und Audi-Entwicklungschef Ulrich Hackenberg gehen, in deren frühere Verantwortungsbereiche die Zuständigkeit für die US-Abgaswerte fiel. Bestätigt hat VW die weiteren Rücktritte bisher nicht, weitere Einzelheiten werden nach der Aufsichtsratssitzung am Freitag erwartet.

Erschwerend kommt hinzu, dass Winterkorn nach einem Bericht von Spiegel Online seinen Posten als Porsche-Holding-Chef bisher nicht räumen will, den er in Personalunion mit dem VW-Vorsitz bekleidete. Damit bliebe er effektiv gegenüber den Personen weisungsbefugt, die den Skandal jetzt aufarbeiten sollen. Transparenz sieht anders aus.

Politiker und Wirtschaftsforscher warnen

Es wäre aber naiv zu glauben, dass der VW-Skandal auf das Unternehmen beschränkt bliebe. "Das kann auf die Marke 'Made in Germany' wirken, auf die Branche insgesamt", sagte Michael Hüther, Direktor des IW Köln, gegenüber dem Nachrichtensender N24. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka-Bank, wies am Donnerstag auf einer Veranstaltung in Frankfurt darauf hin, dass alleine der Autoabsatz in den USA für rund 4% des deutschen BIP verantwortlich ist. Zwar sei es übertrieben, aus der VW-Affäre einen konjunkturellen Einbruch zu konstruieren, aber "man kann ein Konjunkturthema daraus machen", so Kater. Immerhin sei es ein symbolischer Punkt, um über die Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft nachzudenken, sagte der Deka-Chefvolkswirt.

Auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Verkehrsminister Alexander Dobrindt gaben ihrer Besorgnis Ausdruck. Um Vetrauen wieder aufzubauen, hilft es auch wenig, dass laut Dobrindt in Europa ebenfalls Abgaswerte manipuliert sein könnten und weitere Autobauer es VW womöglich gleich getan haben. Der Verkehrsminister kündigte dazu weitere Untersuchungen an. Laut ADAC und der Prüfgesellschaft ICCT, die den VW-Fall ins Rollen gebracht hatte, hätten auch Autos von Volvo, Renault und Hyundai auffällige Abgaswerte gezeigt.

Der Musterschüler ist entzaubert

Das alles bringt aber den Geist nicht in die Flasche zurück. "In weniger als einer Woche hat der Skandal eine Reputation zerstört, die die deutsche Autobranche über Jahrzehnte sorgsam gehütet hatte", schrieb die Washington Post. Die New York Times wiederum setzt den VW-Skandal in Bezug zum erweiterten Selbstmord eines German-Wing-Piloten im Frühjahr und dem Umgang mit der aktuellen Flüchtlingskrise in Eruopa: Auch in diesen Fällen hätten die hochgelobten deutschen Kontrollmechanismen versagt. Und Deutschland könne sich schlecht zum Musterschüler in Sachen Klimaschutz aufschwingen, wenn sein größter Autobauer systematisch Abgaswerte manipuliere, so die Zeitung.

Die VW-Affäre wird den Blick des Auslands auf die deutsche Wirtschaft verändern. Wir alle müssen Vertrauen wieder aufbauen. Auch wenn wir, wie Martin Winterkorn selbst, uns keiner Schuld bewusst sind.

Quelle: marketSTEEL; Foto: marketSTEEL

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