Chinesische Firmenübernahmen in Deutschland und Europa rückläufig

von Hubert Hunscheidt

Zudem sank auch das Transaktionsvolumen: Der Wert der Beteiligungen und Übernahmen sank von 12,4 auf 4,3 Milliarden US-Dollar – bei der Mehrzahl der Übernahmen liegen allerdings keine Angaben zu Kaufpreisen vor.

Auch in Deutschland traten chinesische Investoren seltener in Erscheinung als im Vorjahr: Die Zahl der Übernahmen und Beteiligungen sank von 35 auf 26, das Investitionsvolumen ging von 2,0 Milliarden US-Dollar auf knapp 290 Millionen US-Dollar zurück. Nicht enthalten sind in dieser Summe Risikokapitalinvestitionen in deutsche Startups in Höhe von 160 Millionen US-Dollar im Jahr 2022, bei denen chinesische Unternehmen als Teil internationaler Investorengruppen aktiv waren.

Als Investoren spielen chinesische Unternehmen damit in Deutschland derzeit nur eine untergeordnete Rolle: Mit 26 Transaktionen in Deutschland belegte China im vergangenen Jahr Platz 12 im Investorenranking, das von den Vereinigten Staaten und Großbritannien mit 242 bzw. 128 Transaktionen angeführt wird. Zum Vergleich: Im Jahr 2016 war China noch der viertwichtigste Investor in Deutschland gewesen.

Das sind Ergebnisse einer Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY, die Investitionen chinesischer Unternehmen in Deutschland und Europa untersucht.

„Die Zahl chinesischer Unternehmensübernahmen in Europa hat sich in den vergangenen Jahren auf einem relativ niedrigen Niveau eingependelt“, beobachtet Yi Sun, Partnerin und Leiterin der China Business Services in der Region Europe West bei EY. „Die aktuelle Zurückhaltung chinesischer Unternehmen hat mehrere Gründe: Zum einen haben die Pandemie und die langanhaltenden und massiven Eindämmungsmaßnahmen in China, die erst Ende letzten Jahr beendet wurden, zu Reisebeschränkungen und strengen Quarantäne-Regeln geführt. Das hat die Einleitung und erfolgreiche Umsetzung von Transaktionen erschwert. Zum anderen hatten Expansionsmaßnahmen für viele chinesische Unternehmen nicht mehr den hohen Stellenwert wie in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts.“

Obendrein sähen sich chinesische Unternehmen in vielen europäischen Ländern in einigen Sektoren – wie etwa Infrastruktur – teils erheblichem politischen Widerstand ausgesetzt, so Sun: „Daher lassen die chinesischen Investoren inzwischen sorgfältig prüfen, ob Übernahmekandidaten solche heiklen Diskussionen bei Regierungen und in der Öffentlichkeit auslösen könnten.“

Hinzu kämen nach Suns Einschätzung die inzwischen hohen Hürden für ausländische Beteiligungen gerade in bestimmten kritischen Branchen sowie die zunehmende Konkurrenz durch kapitalstarke Finanzinvestoren.

Auch das belastete politische Verhältnis zwischen den USA und China hemme die Transaktionsaktivitäten, so Sun: „Wenn Übernahmekandidaten Produktionsstätten oder R&D-Zentren in den USA haben, werden potenzielle chinesische Bieter oftmals gar nicht erst eingeladen, da eine Ablehnung durch die zuständige US-Behörde befürchtet wird.“

Chinesen kaufen weniger Industrie-, aber mehr High Tech-Unternehmen
Im vergangenen Jahr gab es europaweit erstmals mehr Unternehmensübernahmen und -beteiligungen im High Tech-Segment, wozu in erster Linie Software- und Halbleiter-Unternehmen zählen, als in klassischen Industriebranchen: Die Zahl der Übernahmen von High Tech-Unternehmen stieg gegen den Trend von 27 auf 32, gleichzeitig sank die Zahl der Industrieunternehmen von 30 auf 25. Im Industriesektor wurden mit neun Transaktionen die meisten Deals in Deutschland gezählt, bei Transaktionen im High Tech-Bereich liegt Großbritannien mit sechs Deals an der Spitze – vor Frankreich (fünf) und Deutschland (vier).

In Deutschland wurden zudem besonders viele Transaktionen im Gesundheitsbereich gezählt, wozu neben Biotech-Unternehmen auch die Branchen Pharma und Medizintechnik zählen. Europaweit gab es in diesem Segment 17 Transaktionen, von denen neun auf Deutschland entfielen.

Großbritannien vor Deutschland Top-Ziel in Europa
Die meisten Transaktionen wurden im vergangenen Jahr wie schon 2021 in Großbritannien verzeichnet. Mit 27 Übernahmen und Beteiligungen liegt Großbritannien knapp vor Deutschland (26 Transaktionen) und deutlich vor Frankreich (17). In Deutschland und Großbritannien wurden jeweils neun Transaktionen weniger gezählt als im Vorjahr, in Frankreich ging die Zahl hingegen um fünf nach oben.

Trotz der aktuell verhaltenen Transaktionstätigkeit in Deutschland ist Sun überzeugt, dass das Interesse chinesischer Unternehmen an Deutschland weiter hoch ist: „Die meisten Transaktionen, die in den vergangenen Jahren stattgefunden haben, waren erfolgreich. Vor diesem Hintergrund gibt es inzwischen auf vielen Ebenen enge und belastbare Verbindungen zwischen China und Deutschland. Es wird in diesem Jahr weitere chinesische Transaktionen in Deutschland gaben – auch weil Reisebeschränkungen inzwischen entfallen. Seit Januar sind viele chinesische Delegationen von Unternehmer hier in Europa unterwegs, um neue potenzielle Zielunternehmen zu identifizieren. Auch viele chinesische Private Equity-Investoren bauen ihre Präsenz in Europa weiter auf. Allerdings wird die Zahl der Deals nicht zuletzt aufgrund der politischen Rahmenbedingungen weiterhin deutlich niedriger liegen als in den Boom-Jahren“, erwartet Sun.

Die europaweit größte Investition war im vergangenen Jahr der Verkauf des niederländischen Halbleiterherstellers Ampleon, bislang im Besitz eines chinesischen Private Equity Investors, an Wuxi Xichan Microchip Semiconductor für knapp 2 Milliarden US-Dollar.

Die zweitgrößte Transaktion war der Einstieg des chinesischen Internet-Unternehmens Tencent bei der Ubisoft-Familienholding Guillemot Brothers Limited für knapp 300 Millionen US-Dollar, gefolgt vom Erwerb des Französischen Arzneimittelproduzenten Cenexi durch den chinesischen Pharmakonzern Fosun für 218 Millionen US-Dollar.

Größere Transaktionen in Deutschland waren der Einstieg der Huadong Medicine Investment Holding bei der Heidelberg Pharma AG sowie der Verkauf des ams OSRAM-Geschäftsbereichs Digital Systems in Europa und Asien an Inventronics.

Quelle: Ernst & Young GmbH, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft / Foto: Fotolia

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