Chinesische Übernahmen deutscher Unternehmen gehen zurück
von Hubert Hunscheidt
2020 kam es bei 11 Unternehmen zu einer Übernahme durch Geldgeber aus Chin. Das ist der niedrigste Wert seit zehn Jahren und nicht einmal ein Viertel der 48 mehrheitlichen oder vollständigen Übernahmen im Jahr 2016, zeigt eine neue Studie des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung.* Die Corona-Krise hat nach der I.M.U.-Untersuchung aber nicht nur die chinesischen M&A-Aktivitäten weiter gebremst, sie hat laut neuster Rückmeldungen aus einigen betroffenen deutschen Tochterunternehmen auch dazu geführt, dass die chinesischen Mutterkonzerne verstärkt finanziellen Druck auf die hiesigen Standorte ausüben. „In einzelnen Fällen gehören Lohnverzicht und Stellenabbau zu den aktuellen Anforderungen der chinesischen Gesellschafter“, heißt es in der Untersuchung von Shuwen Bian. Außerdem schätzt die Wissenschaftlerin, dass noch mehr Unternehmen davon betroffen sein könnten.
Zwischen 2011 und 2020 haben insgesamt 193 Investoren aus der Volksrepublik in 243 Fällen deutsche Unternehmen zu mindestens 50 Prozent (31 Fälle), mehr als 75 Prozent (39) oder komplett übernommen (173). Die 243 Übernahmefälle betrafen 238 deutsche Unternehmen, denn fünf dieser Unternehmen wurden in der untersuchten Dekade zunächst von einem chinesischen Investor gekauft, dann an einen zweiten weiterverkauft, was Forscherin Bian als zwei Transaktionen zählt.
Offensichtlich bevorzugen chinesische Firmenkäufer, „als alleinige Gesellschafter die Unternehmensleitung in der eigenen Hand zu halten“, konstatiert I.M.U.-Experte Dr. Oliver Emons. Nicht selten vollzieht sich die Übernahme in mehreren Schritten. 178 der chinesischen Investoren des vergangenen Jahrzehnts sind Industrieunternehmen, bei den restlichen 15 handelt es sich um Investmentgesellschaften, die auf Unternehmensbeteiligungen spezialisiert sind. 151 Investoren firmieren als Privatunternehmen. 42 werden vom Staat kontrolliert, je 21 von der Zentralregierung in Peking und von Provinzregierungen.
Deutlich an Dynamik gewonnen hat das Engagement aus China nach der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise, zeigt die Analyse. Zwischen 2011 und 2016 stieg die Zahl der Übernahmen von 19 auf 48 im Jahr, zugleich nahm das Volumen der Transaktionen zu. 2016 investierten Unternehmen aus der Volksrepublik zum ersten Mal mehr Geld in Deutschland als deutsche Unternehmen in China. Allerdings wuchs Mitte des Jahrzehnts auch die Skepsis gegenüber Aufkäufern aus dem Reich der Mitte, gepaart mit zunehmender Kritik an Reglementierungen und Behinderungen, auf die ausländische Unternehmen in China stießen. Ein Ergebnis der politischen Diskussion ist die so genannte FDI-Screening-Verordnung, die seit Herbst 2020 EU-Staaten einen einheitlichen Rahmen gibt, um ausländische Direktinvestitionen strenger zu prüfen. Seit 2017 sind die Übernahmen in Deutschland rückläufig, seit 2018 liegt die jährliche Zahl unter der in der ersten Hälfte der 2010er Jahre.
Die große Mehrheit der übernommenen deutschen Unternehmen wird aktuell vom ursprünglichen chinesischen Käufer weiter gehalten. Das gilt für 211 der 238 Unternehmen. 10 Unternehmen wurden geschlossen, 10 wurden an nicht-chinesische Investoren weiterverkauft. Sieben Unternehmen werden aktuell von einem zweiten chinesischen Investor gehalten. Neben den fünf oben erwähnten Unternehmen, die zwischen 2011 und 2020 „zweimal“ chinesisch übernommen wurden, gilt das auch für zwei Firmen, die erstmals vor 2011 an einen chinesischen Käufer gingen und dann in der untersuchten Dekade an einen zweiten weitergereicht wurden.
Von den 24 chinesischen Investoren, die deutsche Töchter schlossen oder weiterverkauften, waren 22 Privatunternehmen, nur zwei Staatsfirmen. Insgesamt trennten sich chinesische Investoren nur selten von ihren deutschen Tochterunternehmen, schreibt Bian. Falls doch, sei der Hintergrund fast immer eine starke finanzielle Schieflage bei der Tochter oder der Mutter in China gewesen.
Allerdings war es deutschen Gewerkschaften und Betriebsräten vor allem bei den größeren Übernahmen auch oft gelungen, den Betrieb durch mehrjährige Standortsicherungsvereinbarungen abzusichern. Viele davon dürften mittlerweile ausgelaufen sein. Damit entfällt bei zahlreichen Töchtern chinesischer Investoren beispielsweise der Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen. Und das ausgerechnet in Zeiten der Corona-Krise. Bei einer Umfrage der chinesischen Handelskammer in Berlin gab im Sommer 2020 ungefähr ein Drittel der befragten in Deutschland operierenden chinesischen Unternehmen an, von der Pandemie stark betroffen zu sein und mit einem Liquiditätsengpass innerhalb der folgenden sechs Monate zu rechnen.
„In China, wo sich die Pandemie zuerst ausbreitete, hat im letzten Jahr eine flächendeckende Lohn- und Gehaltssenkung stattgefunden“, berichtet Forscherin Bian. Hinzu komme, so Bian, dass sich viele chinesische Mutterkonzerne selbst in einer Neuausrichtung der Unternehmensstrategie befinden, was die künftige Rolle der deutschen Standorte im Konzern beeinflussen werde. Fazit der Expertin: „Der finanzielle Engpass, die veränderten internationalen Marktbedingungen, pandemiebedingte Störungen in der globalen Lieferkette – aktuell kann noch nicht konstatiert werden, wie die chinesischen Investoren und ihre deutschen Standorte gemeinsam aus der Krise kommen werden. Die Herausforderungen gehen über das Abwenden der unmittelbaren finanziellen Bedrohung hinaus.“
Quelle: Hans-Böckler-Stiftung / Foto: Fotolia