Blick in die Zukunft von Stahl

Düsseldorf - Vom 20.-21.3.2019 fand in Düsseldorf die Handelsblatt-Jahrestagung `Zukunft Stahl´ statt. Das Motto `Zukunft Stahl´ ist Appell und Darstellung der aktuellen Situation. Die Herausforderungen sind vielfältig, die Innovationen ebenso. Rund 150 Teilnehmer vermeldete das Tagungsbüro. Moderiert wurde die Veranstaltung von Martin Wocher und Kevin Knitterscheidt vom Handelsblatt.

Die Tagung bot ein breites Spektrum und vielfältige und tiefe Blicke in das Universum STAHL.

Es ging um:

  • Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung auf unterschiedlichsten Ebenen und in verschiedenen Firmengrößen
  • Unsicherheiten durch nationale und internationale Politik
  • Brexit und amerikanische Zölle
  • Produktion, Lieferketten und Handel von Stahl und Energie
  • Umwelt, Kohleausstieg und Decarbonisierung
  • e-Mobilität und Wasserstofftechnologie
  • Data-Mining und Künstliche Intelligenz
  • Gesellschaftliche Konsequenzen
  • Wünschenswerte politische Rahmenbedingungen.

Status Quo und Überblick


Den Anfang machte Hans-Jürgen Kerkhoff von der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Er sprach über die Herausforderungen der internationalen Politik, über Energie- und über technologische Herausforderungen. Seiner Ansicht nach stellen die Entscheidungen und Zollbeschlüsse der USA einen Angriff auf den freien Welthandel und die Regelungen der WTO dar. Die Stahlbranche ist davon durch direkte und indirekte Stahlexporte betroffen. Weitere Punkte seiner Rede waren die weltweite Überproduktion im Bereich Stahl und die Rolle, die China dabei spielt, die deutschen und europäischen Bestimmungen zum Klimaschutz – von CO2-Einsparung, Kohleausstieg bis hin zum Ausstieg aus der Kernenergie.

Als weitere Herausforderungen benannte er die Digitalisierung, den Einzug von Robotertechnik und künstlicher Intelligenz. Thema war natürlich auch der Brexit, vor allem vor dem Hintergrund, dass Großbritannien ein wichtiger Partner und Abnehmer im Bereich Stahl ist. Kerkhoff forderte dazu auf, Energiepolitik und Stahlpolitik europäisch zu diskutieren.

Über globale Energiemärkte und vor allem über Erdgas sprach Alexander Lücke von VNG Handel und Vertrieb GmbH. Er wies u.a. darauf hin, dass Verfügbarkeit und Preise auch wetterabhängig sind. Auch CO2-Zertifikate wirken sich auf den Gaspreis aus. Laut Lücke nimmt die Bedeutung von Erdgas im Energie- und Strommix zu, ebenso wie die Korrelation von Strom und Erdgas.

Politische und wirtschaftliche Herausforderungen


Einen wirtschaftswissenschaftlichen Blick auf Stahl und den Welthandel warf Prof. Gabriel J. Felbermayr vom ifo-Zentrum für Außenwirtschaft. Wer ist Opfer, wer ist Täter, welche Rolle spielen Protektionismus und staatliche Subventionen? Seiner Ansicht nach können wir die US-Amerikaner bzw. deren Politik nicht einschätzen und nicht vorhersagen. Er wünscht sich mehr Kooperationsgeist in Europa und er erinnerte daran, dass die EU ursprünglich als Montan-Union gegründet wurde.

Prof. Dr. Theocharis Grigoriadis vom Osteuropa-Institut der FU Berlin sprach über die russische Stahlindustrie und deren Handelsbeziehungen zu China, USA und Kanada und Europa.

Frank Kaiser von der deutsch-türkischen Handelskammer informierte über Baustahl-Produktion in der Türkei, über typische Firmenstrukturen türkischer Stahlproduzenten, über die türkische Bauindustrie und über türkischen Stahlexport. Auch die Türkei ist stark von den amerikanischen Zöllen betroffen, da die USA hinter der EU der drittwichtigste Handelspartner der Türkei bei Stahl ist.

Über vielfältige digitale Aktivitäten bei Tata Steel sprach Dr. Henrik Adam, Chief Commercial Officer bei Tata Steel. Der Reigen ging von Bestandsaufnahmen durch Drohnen, über Algorithmisierung, Robotik, über digitale Methoden bei Kundenprognosen und Kundenbedarfen, über die Herausforderungen und Lernprozesse in Kooperationen mit Start-Ups und über die komplexen Besonderheiten eines multinationalen Unternehmens – auch vor dem Hintergrund internationaler politischer Verwerfungen und dem Austritt Großbritanniens aus der EU.

Die digitale Transformation im Stahlhandel war das Thema von Gisbert Rühl, Vorstandsvorsitzender von Klöckner. Er sprach über Digitalisierung auf verschiedenen Ebenen, über die Lernprozesse und Fortschritte, die damit möglich sind. Zudem stellte er unter der Überschrift „Von linearen Strukturen zu Plattformen“ das Plattform-Projekt XOM vor, das von einem multinationalen Team entwickelt und gemanagt wird.

Prof. Dr.-Ing. Katja Windt von der SMS-Group-Geschäftsführung stellte das digitale Eco-System des SMS-Anlagenbaus vor. Sie referierte über Künstliche Intelligenz, digitale Produktionen und Prozessketten, über digitale Technologien und Effizienzoptimierungen entlang der gesamten Lieferkette.

Gehirn schlägt Geldbeutel


Frank Koch, Vorsitzender der Geschäftsführung von Georgsmarienhütte GMH präsentierte digitale Technologien und Prozesse seines Unternehmens. „Innovation schafft Zukunft – Was der Mittelstand dafür leisten kann“, lautete sein Thema. Nun zählt die GMH-Gruppe sicherlich zu den größeren Mittelständlern. GMH fertigt ein breites Spektrum hochwertiger Stahlprodukte – von Rohstahl über Stabstahl bis hin zum Blankstahl. Das Credo von Frank Koch ist „Gehirn schlägt Geldbeutel“, denn Innovationen entstehen laut Koch durch die Menschen.

Thema war auch die Handlungsfähigkeit von GMH in einem volatilen Umfeld. Kohle ist für GMH kein Thema, denn GMH ist komplett elektrifiziert, und verarbeitet vor allem Stahlschrott. GMH setzt laut Koch Digitalisierung Schritt für Schritt in langen Prozessketten und Wertschöpfungsketten um.

Lena Johanna Schmitt und ihr Team vom Beratungsunternehmen RCKT arbeitet mit den Menschen, die vor digitalen Umbrüchen stehen. Der Ansatz und die Vorgehensweise ist sehr spezifisch, da die Fragestellungen immer vom Unternehmen und ihren Herausforderungen abhängig sind. „Was ist da? Wo wollen Sie hin?“, fragt sie ihre Kunden. Sie orientiert sich an den Werten und der Kultur der jeweiligen Unternehmensmitarbeiter.

„Bullshit in – bullshit out!“


Kerniger Satz von Tim Eschert von Fero Labs war: „Bullshit in – bullshit out!“ Beim ihm und seinem Unternehmen geht es um Daten, komplexe Algorithmen und um Machine Learning und deren Wirkung auf die Qualität der Produkte. Fragen wie: Wie geht man mit großen Datenmengen um, wie analysiert man komplexe Daten, welche Tools sind hilfreich, welche enormen Möglichkeiten ergeben sich dadurch? Seine Einstellung ist die eines Start-Ups: Dort beginnen, wo der Schmerz sitzt, klein anfangen, schnell Fehler machen, schnell daraus lernen, dann skalieren. Fero Labs arbeitet für große Unternehmen in den Bereichen Stahl, Chemie, Energie und Zulieferindustrie.

Stahl stärken und Zukunft sichern


Der zweite Tag begann mit der Diskussion zwischen der saarländischen Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger und Andreas J. Goss, Vorstandsvorsitzender von thyssenkrupp Steel Europe. Wer hier große Differenzen erwartet hat, wurde überrascht: Die beiden waren sich in vielen Punkten einig. Stahl stärken und Zukunft sichern wollen beide.

Es ging u. a. um politische Rahmenbedingungen, um Klimaschutz, um Handelspolitik, um Erhalt gesellschaftlicher Standards. Das Saarland ist bereits 2012 aus dem Kohlebergbau ausgestiegen und Frau Rehlinger weiß um die wirtschaftliche Bedeutung der Guss- und Stahl-Branche im Saarland. Andreas Goss verwies auch auf die bedeutende Rolle der EU, wenn es um den Erhalt von gesellschaftlichen Kernwerten geht. Er stellte klar: Stahl aus dem Ausland kann gesellschaftliche Standards erodieren und unser Sozialmodell gefährden. Er ist sich sicher: „Die Industrie schafft es schon, die Herausforderungen und die Umweltanforderungen zu stemmen, wenn die Politik die Rahmenbedingungen schafft.“
Wichtig war beiden Gesprächspartnern auch, dass das alte Bild des Stahlkochers und des Hochofens heute so nicht mehr stimme, vielmehr sei die Industrie auf dem Weg, eine grüne Industrie zu werden.

Stahl ist Ausgangspunkt einer großen Wertschöpfungskette


Einige Überraschungen bot der Doppelvortrag von Wolfgang Mitterdorfer, Vorstandsmitglied von voestalpine Steel Division und Dr. Jan Kleinbrink vom Handelsblatt Research Institute, der eine interessante Studie zum Thema Elektromobilität und ihrer Auswirkungen auf die Stahlindustrie vorstellte. Mitterdorfer machte klar: Es geht um viel mehr als „nur“ Stahl. Stahl ist der Ausgangspunkt einer großen Wertschöpfungskette, sowohl im Automobilbereich wie auch in anderen Transportbereichen wie z.B. der Bahn. Vier Punkte aus der Studie und der Diskussion seien hier erwähnt:

  1. Während man noch vor einiger Zeit dachte, Carbonfasern könnten Stahl ersetzen, um Gewicht zu reduzieren, hat die Erfahrung gezeigt: Carbontechnologie ist sehr energieintensiv, teuer und das Material kann nicht recycelt werden. Unter den Aspekten Gewicht, Kosten, Sicherheit und Nachhaltigkeit schneidet Stahl bei Karosserie, Motor und Batterie deutlich günstiger ab.

  2. Es gibt inzwischen hierzulande rund 100 elektrische Automodelle, deren Reichweite im Laufe der letzten Jahre deutlich gestiegen ist. Viel intensiver wird die Forschung und Entwicklung in diesem Bereich jedoch in China betrieben, hier entsteht laut Mitterdorfer ein großer Markt, der deutlich auf den Export abziele.  

  3. In der Abkehr vom Verbrennungsmotor ist auch die Brennstoffzelle noch in der Diskussion, spielt im Moment jedoch im Automobilbereich keine große Rolle. In dem Maße, in dem die Batterien besser und preisgünstiger werden, dürfte es für die Brennstoffzelle schwierig werden.

  4. E-Mobilität macht Spaß: voestalpine ist Sponsor der Formel E. Die Faszination von Technik, Geschwindigkeit und Performance ist hier genauso hoch wie bei anderen Autorennen. Dies machte das Video am Ende des Vortrages deutlich.

Megatrend e-Mobilität


Um den Megatrend e-Mobilität ging es auch in dem Vortrag von Paul Brettnacher von ArcelorMittal Automotive. Der Klimawandel erfordert eine Abkehr vom Verbrennungsmotor. Dies und die Fortschritte beim Leichtbau mit Stahl fördern die Entwicklung von elektrisch betriebenen Autos.

Decarbonisierung: Wie kann man den CO2-Ausstoß minimieren?


Dr. Arnd Köfler von thyssenkrupp Steel Europe sprach über Transformationspfade zum CO2-armen Stahlwerk. Er stellte unter anderem das Carbon2Chem-Projekt vor, das thyssenkrupp Steel seit 2015 in Duisburg betreibt. Dabei geht es vor allem um den direkten Einsatz von Wasserstoff und um die Wasserstoff-Elektrolyse. Er legte Wert auf die Feststellng: Stahl ist nicht das Problem, sondern vielmehr Teil der Lösung.


Über Ökostrom bei Salzgitter referierte Dr.-Ing. Volker Hille, Leiter Corporate Technology bei Salzgitter. Die herkömmlichen Prozesse seien schon sehr optimiert, dennoch entstehen pro Jahr viele Millionen Tonnen CO2. In den neuen Projekten des Konzerns geht es um Wasserstoff aus Ökostrom. Im Visier ist vor allem Windenergie. Mit ökologisch erzeugtem Strom soll per Elektrolyse Wasserstoff produziert werden.

Das Projekt nennt sich SALCOS (Salzgitter Low Carbon Steel Making). In einem ersten Schritt soll der ökologisch erzeugte Wasserstoff für Veredelungsprozesse verwendet werden. Das Ziel ist jedoch eine schrittweise, flexible Elektrifizierung der Primärstahlerzeugung, um mit regenerativ erzeugtem Wasserstoff Kohle komplett zu ersetzen. Positiv ist, dass sich Wasserstoff gut speichern lässt, die große Herausforderung ist jedoch der enorme Strombedarf. Da derzeit Erdgas noch sehr günstig ist, wird auch darüber nachgedacht, aus Erdgas Wasserstoff zu gewinnen. Möglicherweise wird ja auch das Großprojekt DESERTEC – Solarstromerzeugung in der algerischen Wüste – neu belebt.

Von der Energie-Effizienz zur CO2-Effizienz


Unter einem etwas anderen Aspekt betrachtete Barbara Minderjahn, Hauptgeschäftsführerin des VIK (Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft e.V.) das CO2-Thema: Industrie im Wandel – von der Energieeffizienz zur CO2-Effizienz. Sie fragte u. a.: Wo stecken die Erfolgsfaktoren deutscher Industriekultur? Welche Akzeptanz gibt es für eine Transformation? Stahl, so Minderjahn, ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Das Thema habe Auswirkungen auf Industrie, Politik und Gesellschaft. Bei Themen wie Energieeinsparung tauchen Ängste und Fragen auf wie z.B.: Geht es um Verzicht – oder wie können wir Wohlstand und Energieversorgung sicherstellen? Das Thema sei nicht so sehr Energieeinsparung, sondern CO2-Einsparung und CO2-Effizienz. Bei der Frage, wie CO2 als Rohstoff eingesetzt werden könne, verwies sie auf das Projekt Carbon2Chem.

Flexibel reagieren dank Data, Software und KI


Schließlich wurden in verschiedenen Round-Table-Runden noch weitere Aspekte rund um Stahl vorgestellt, darunter Energiebeschaffung (Robert Schreiber, VNG Handel und Vertrieb GmbH), Agilität im Stahleinkauf durch Einsatz von Analytik- und Software-Plattformen (Samir Kharkan, SCALUE GmbH und Stefan Grüll, König Stahl Holding), Verwendung von Stahlschrott zur Stahlerzeugung (Ralph Wager, Kaatsch-Gruppe).


Über Machine-Learning, Big Data und Künstliche Intelligenz, deren Zusammenspiel und den erfolgreichen Einsatz dieser Methoden sprach Dr. Gunar Ernis, Data Scientist vom Fraunhofer-Institut für Intelligente analyse- und Informationssysteme (IAIS).


Den Schlussakkord setzte Prof. Dr. Bastian Halecker von NESTIM GmbH mit der Frage nach neuen Märkten: Category Creation: Wie man neue Märkte erschließt, die nicht existieren. Er sprach über Markt-Kategorien, die es bis vor einigen Jahren noch nicht gab und gab Tipps zur Vorgehensweise bei der Category Creation.


Quelle und Bildmaterial: marketSTEEL

Videohinweis: Ein Kurzvideo von der Stahltagung 2019 - zwei Tage komprimiert auf 50 Sekunden – finden Sie H I E R

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