Automobiles Ökosystem braucht vollständigen Kreislaufprozess

von Hubert Hunscheidt

Die Automobilbranche produziert jährlich mehr Treibhausgas-Emissionen als die gesamte Europäische Union. Auch der Fortschritt in der Elektromobilität wird nicht genügen, um die Energiebilanz zu neutralisieren. Stattdessen braucht es im automobilen Ökosystem einen vollständigen Kreislaufprozess der Materialien und Komponenten. Das soll die CO2-Emissionen bis 2030 um bis zu 75 Prozent senken und OEMs gleichzeitig unabhängig von Konkurrenzstreitigkeiten um Rohstoffe machen.

Im Oktober lag der Anteil an den Pkw-Neuzulassungen mit Elektro-Antrieb in Deutschland schon bei 17 Prozent. Für das Jahr 2030 kalkuliert Volkswagen mit etwa 80 Prozent. Auf dem Weg zur Klimaneutralität muss aber mehr passieren.

„Aus Kostengründen, aber auch aus einer klassischen Denkhaltung heraus ist die Bereitschaft von Unternehmenskunden, einen Mehrpreis für Nachhaltigkeit beim Lieferanten zu bezahlen, eher gering“, sagt der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Matthias Fifka, Mitverantwortlicher für die Nachhaltigkeitsstrategie der NürnbergMesse und einer entsprechenden Studie, deren Ergebnisse auf der kommenden EUROGUSS vom 8. bis 10. Juni 2022 kommuniziert werden sollen. „Da spielen Einkaufsabteilungen eine große Rolle, die traditionell preisorientiert handeln. Der Schwarze Peter bleibt somit beim Lieferanten hängen: Unternehmenskunden sind nicht dazu bereit, wesentlich mehr für das Gussteil auszugeben, fordern aber trotzdem Nachhaltigkeitsstandards ein. Diese umzusetzen, kostet Geld, und diese Kosten muss der Lieferant tragen."

Die Unternehmensberatung Deloitte veröffentlichte dazu ihre Untersuchung „Nachhaltigkeit in der deutschen Automobilindustrie. Wie reagieren OEMs und Zulieferer 2021 auf den Megatrend Sustainability?" Dort heißt es: „Lediglich 51 Prozent der Befragten nehmen bei ihren Sustainability-Initiativen neben dem eigenen Unternehmen auch Lieferanten in den Blick. Und nur 40 Prozent können einen umfassenden End-to-End-Ansatz vorweisen, der neben der vorgelagerten auch die nachgelagerte Lieferkette einschließt, also zum Beispiel den Aspekt Recycling.”

Dabei ist das Modell der Kreislaufwirtschaft ein fast obligatorisches für einen Sektor, der für etwa ein Fünftel der gesamten globalen CO2-Emissionen verantwortlich ist – etwa 20 Prozent davon sind allein der Produktionsphase zuzuschreiben – und der enorme Ressourcen verbraucht, darunter ein Viertel des gesamten Aluminiums und etwa 15 Prozent des globalen Stahlmarktes.

Franz-Josef Wöstmann, Leiter der Abteilung Gießereitechnologie und Leichtbau am Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM, plädiert für einen Nachhaltigkeitsindex. Der werde umso besser, je effizienter ein Auto aus einem vorangegangenen Fahrzeug aufgesetzt werden kann und gehe in seiner Bewertung weit über den bisherigen CO2-Index hinaus. „In einem Nachhaltigkeitsindex müssen auch weitere Punkte wie Reduktion des Rohmaterialienverbrauchs, die Reduktion von Energieeinsatz, die Reduktion von Arbeitsleistung und die Reduktion von Infrastrukturverbrauch angegeben werden. Dabei wird nicht nur das Material betrachtet, sondern auch das zukünftige Komponentendesign hinsichtlich Demontage und inwiefern die einzelnen Komponenten wiederverwendet werden können.”

Auf dem Weltwirtschaftsforum (WEF) im vergangenen Jahr führte der Bedarf an nachhaltigeren Lösungen zur Gründung der Circular Cars Initiative. Die Initiative, an der Materiallieferanten, Flottenbetreiber, Hersteller, Recycler und Datenplattformen beteiligt sind, konzentriert sich auf drei Hauptbereiche: Materialien, betreut von McKinsey; Geschäftsmodelle, geleitet von Accenture Strategy; und Politik, gemeinsam verwaltet von WEF und SYSTEMIQ.

Zu den ersten Ergebnissen der Initiative gehört der im Januar veröffentlichte Bericht „Raising Ambitions: A new roadmap for the automotive circular economy" von Accenture, dem WEF und dem World Business Council for Sustainable Development. Laut diesem hat die Einführung von Kreislaufpraktiken in Kombination mit dem Wandel zur Elektromobilität in der Automobilindustrie das Potenzial, die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 um bis zu 75 Prozent zu senken.

Eine Kreislaufwirtschaft im automobilen Ökosystem, so der Bericht, kann durch vier Schlüsselwege erreicht werden: Erreichen von Nullemissionen über den gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs; Rückgewinnung von Ressourcen und abgeschlossene Materialkreisläufe; Verlängerung der Lebensdauer von Fahrzeugen und ihren Komponenten; und die effiziente Nutzung des Fahrzeugs.

Wöstmann denkt weiter: „Ich kann mir vorstellen, dass in einigen Jahren Rohstoffe und die notwendige Energie, um diese zu erschließen und zu verarbeiten, knapp oder zu einer strategischen Ressource werden. Dann werden Rohstoffe restringiert. Ein Fahrzeughersteller darf in diesem Szenario nur noch so viele Fahrzeuge produzieren, wie er auch wieder zurückgenommen hat. Damit hätten wir einen erzwungenen Kreislaufprozess. Als sinnvoller erachte ich hier, rechtzeitig in die Thematik einzusteigen und sie frühzeitig zum Geschäftsmodell zu entwickeln.”

BMW zeigt Kreislauf-Stromer

BMW zeigte zuletzt auf der Automesse IAA Mobility mit der Konzeptstudie BMW i Vision Circular, wie ein aus 100 Prozent recycelten und nachwachsenden Materialien hergestelltes Auto im Jahr 2040 aussehen könnte. Der Stromer soll die ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft verkörpern, die den ökologischen Footprint möglichst klein halten und so für eine positive CO2-Bilanz sorgen soll.

Aktuell werden Fahrzeuge bei BMW im Durchschnitt zu knapp 30 Prozent aus recycelten und wiederverwendeten Materialien gefertigt. Mit dem Ansatz „Secondary First“ soll dieser Wert sukzessiv auf 50 Prozent ausgebaut werden, so der Hersteller. Man wolle sich insbesondere auf die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft und den Einsatz von Sekundärmaterialien konzentrieren. Das soll die CO2-Bilanz der Fahrzeuge speziell in der Lieferkette deutlich verbessern.

Deutschland soll Vorreiter für digitalen Produktpass werden

„Das funktioniert aber nur, wenn die großen Hersteller mit den Lieferanten und untereinander zusammenarbeiten”, bedenkt Wöstmann. „Der Kreislaufprozess impliziert zwangsläufig, dass die im Umlauf vorhandenen Materialien bekannt sind. Hier kommt die Digitalisierung ins Spiel. Durch entsprechende Bauteilkennzeichnung und Nachverfolgung weiß der Fahrzeughersteller zu jeder Zeit, welches und wie viel Material er im Umlauf hat, um dieses Material anschließend auch wieder in seinen Produktionsprozess einfließen zu lassen. Damit wird das eigene Produkt zur Rohstoffquelle und ermöglicht eine größere Unabhängigkeit von Primärrohstoffen und Preisschwankungen.”

Zuletzt forderte die wirtschaftsnahe Stiftung KlimaWirtschaft dafür ein einheitliches System in Form eines digitalen Produktpasses für Autos und andere Fahrzeuge. Grund seien die zunehmenden Regularien zum Produkt- und Lieferkettenmanagement. Der Pass soll national und auf EU-Ebene funktionieren und es Recyclern ermöglichen, die darin verbauten Materialien bei der Demontage sortenrein zu trennen, aufzuarbeiten und den Herstellern wieder für neue Produkte zur Verfügung zu stellen. „Die neue Bundesregierung sollte sich zum Ziel setzen, Deutschland zum Vorreiter bei der Entwicklung eines digitalen Produktpasses zu machen. Dafür muss endlich eine verantwortliche Stelle geschaffen werden,“ so Sabine Nallinger, Vorständin der Stiftung.

Wirtschaftskrieg um Rohstoffe kann abgewendet werden

Auch was die Verwaltung des Rohmaterials angeht, birgt die Kreislaufwirtschaft eine große Chance. „Diplomatisch ausgedrückt haben wir Konkurrenzstreitigkeiten – realistisch betrachtet einen Wirtschaftskrieg – um Rohstoffe”, sagt Wöstmann. Ein vollständiger Kreislaufprozess mache OEMs von diesem Wettbewerb unabhängig. Sie können souverän bleiben, weil sie ihre eigene Fahrzeugflotte, ihre produzierten Materialien, nicht mehr verkaufen, sondern im eigenen Kreislauf behalten und nur noch die Nutzung, die eigentliche Funktion des Produkts, veräußern.”

„Ein effizientes Recycling kann die internationale Abhängigkeit reduzieren”, so Dr. Sarah Fluchs, Umweltökonomin am Institut der deutschen Wirtschaft (IW), in einer neuen Studie. Zwar reichen die globalen Rohstoffvorkommen für Lithium, Kobalt und Nickel momentan aus, um den Bedarf zu decken, jedoch befinden sie sich in vielen Fällen konzentriert in risikoreichen Ländern. Bei hohen Rücklauf- und Sammelquoten könnte die Branche im Jahr 2040 beispielsweise bei Kobalt und Nickel, so die Studie, schon etwa ein Viertel des Eigenbedarfs über das Recycling decken.

Quelle und Foto: NürnbergMesse GmbH

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