Was ist los am Weltmarkt?
von Dagmar Dieterle
An vielen Stellen des Weltmarktes sind die Preise für Stahlerzeugnisse in den vergangenen Wochen ins Bröckeln geraten. Damit haben auch die im Hochsommer von hiesigen Herstellern noch selbstbewusst kommunizierten Pläne für weitere Preiserhöhungen einen kräftigen Dämpfer erhalten. Die Stimmung hat sich spürbar eingetrübt. Die vor kurzem vorgelegte neue Nachfrageprognose des Weltstahlverbandes Worldsteel hilft dabei, die aktuellen Entwicklungen zu verstehen. Es gilt, zwei Länder besonders im Auge zu halten. Zum neuen „hotspot“ des Weltstahlmarktes könnte sich die Türkei entwickeln. Die für China vorgelegten Zahlen sehen auf den ersten Blick positiv aus, speisen sich aber mehr aus der Vergangenheit als aus der Zukunft. Trotz aller Unsicherheiten sieht die Stahlwelt aus Sicht des Einkaufs derzeit besser aus als noch vor wenigen Wochen. Lesen Sie in diesem Beitrag, wie die aktuelle Weltmarktlage einzuschätzen ist.
Anders als noch vor einigen Wochen zeigen die Preise für Stahlerzeugnisse an vielen Stellen nach unten. So haben die Exportpreise osteuropäischer Anbieter für Warmbreitband seit Anfang August um ca. 50,- $/t nachgegeben. Auch bei Halbzeugen ist ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Die chinesischen Warmband-Preise haben am Inlandsmarkt seit Ende August ca. 20,- $/t verloren, die Exportpreise ca. 25,- $/t. Für den EU-Markt besonders wichtig sind die Preisrücknahmen türkischer Exporteure, die sich bei Warmband seit Anfang September auf ca. 40,- $/t summieren. Bei Betonstahl ist die Abwärtsbewegung schon länger im Gange – gegenüber dem im März erreichten Höchststand sind die türkischen Exportnotierungen um ca. 80,- bis 90,- $/t gefallen.
Die vor kurzem vorgelegte neue Nachfrageprognose des Weltstahlverbandes Worldsteel hilft dabei, die aktuellen Entwicklungen zu verstehen. Vor allem der Vergleich mit der vorigen Prognose vom April ist aufschlussreich. Am wichtigsten sind die Entwicklungen in der Türkei und in China.
Ins Auge fällt dabei eine drastische Korrektur der Erwartungen für die Türkei. Diese steht nicht nur bei Rohstahlerzeugung, Importen und Exporten unter den Top 10 der Welt. Türkische Anbieter sind auch bei Warmbreitband, Walzdraht, Betonstahl und Trägern zum wichtigsten Drittlandanbieter in der EU aufgestiegen. Zudem ist die Türkei der weltgrößte Schrottimporteur und hat damit am Schrottmarkt eine zentrale Stellung inne. Nach den Worldsteel-Zahlen wird der Stahlverbrauch in der Türkei in diesem Jahr nicht, wie noch im April prognostiziert, um 5% steigen. Erwartet wird nun ein Rückgang um 2,3%. Für 2019 wurde die Erwartung von +5,0% auf +1,5% zurückgeschraubt. Diees drastische Umkehr zeigt Wirkung weit über den Inlandsmarkt hinaus.
Die türkische Stahlindustrie ist durch hohe Inflationsraten und drastisch gesenkte Wachstumsziele der Regierung gebeutelt. Die inländische Nachfrage nach Langprodukten ist eingebrochen, die Kapazitätsauslastung der Stahlwerke auf nur noch ca. 72% gesunken. Im September lag die Rohstahlerzeugung knapp 6% niedriger als im Vorjahr. Die Verdopplung der US-Importzölle im August hat die Negativdynamik spürbar verstärkt. Die zwischenzeitlich erholten türkischen Lieferungen in den wichtigen Absatzmarkt USA sind praktisch zum Erliegen gekommen. Mit Unterstützung durch die drastische Lira-Abwertung konnten dagegen die Exporte in die EU und nach Südost-Asien gesteigert werden.
Die Exporterfolge werden vor allem mit Preiszugeständnissen erreicht. Die sinkenden Preise sind seit September nicht nur am EU-Markt deutlich zu spüren. Auch Stahlhersteller in Russland und der Ukraine, für die die Türkei eine wichtige Exportdestination, aber auch ein Konkurrent auf zahlreichen Absatzmärkten ist, sind betroffen. Die Wirkung ist umso stärker, als auch die Nachfragerwartungen an den dortigen Märkten nicht erfüllt werden. So hat Worldsteel die Prognose bei den GUS-Staaten für 2018 von +2,3% auf 1,4% und für 2019 von 1,8% auf 0,9% gesenkt. Auch am südostasiatischen Markt trägt die erhöhte türkische Präsenz zu einem deutlich intensivierten Preiswettbewerb teil.
Die Worldsteel-Zahlen für China sehen auf den ersten Blick positiv aus. Zum wiederholten Male erweist sich die Prognose vom Frühjahr im Nachhinein als zu pessimistisch. Statt einer Stagnation (die nun für 2019 angesetzt wurde) wird nun für 2018 ein Wachstum von 6,0% erwartet. Damit wird besser als bisher verständlich, warum die Stahlpreise im Reich der Mitte trotz einer erheblich ausgeweiteten Produktion über weite Strecken des Jahres sehr robust blieben. Die Erläuterungen von Worldsteel zeigen aber, dass sich die guten Zahlen mehr aus der Vergangenheit als aus der Zukunft speisen.
Die Organisation begründet die Aufwärtsrevision zum einen methodisch. Die Schließung von Induktionsöfen im Vorjahr und die damit verbundene Verlagerung der Stahlnachfrage vom inoffiziellen in den offiziellen Teil der Statistik sei für 2/3 des Nachfragezuwachses verantwortlich, heißt es erläuternd. Der „echte“ Zuwachs der Nachfrage liege in diesem Jahr bei 2,1% und sei vor allem auf ein starkes erstes Halbjahr zurückzuführen. Die starke Weltwirtschaft und staatliche Impulse für den Bausektor hätten dabei eine Rolle gespielt. Zum Jahresende 2018 und in 2019 sei aber eine Abschwächung zu erwarten. Die Organisation räumt ein, die Prognose für China enthalte Risiken, die sowohl nach oben als auch nach unten wirken könnten.
Interessant ist auch der Hinweis, dass der Automobilmarkt in den entwickelten Volkswirtschaften, der in den vergangenen Jahren eine Stütze der Stahlnachfrage war, nun Schwäche zeige. Gründ dafür sei ein niedrigeres Nachfragewachstum, steigende Kraftstoffpreise und höhere Zinsen.
Fazit:
Auf den ersten Blick positive Zahlen des Weltstahlverbandes überdecken die Schwäche wichtiger Exportländer. Im Fokus steht dabei die Türkei, wo eine schnelle Änderung der Lage nicht zu erwarten ist. Dadurch dürfte der Preiswettbewerb am Weltmarkt in den kommenden Monaten intensiver werden als er es über weite Strecken des laufenden Jahres war. Aus EU-Sicht wird die anstehende endgültige Schutzmaßnahmenentscheidung der EU maßgeblich dafür sein, ob dieser Wettbewerb auch hierzulande ankommt. Auch in China sieht es (wieder mal) nach einer Abschwächung aus – ob sich die Erwartung dieses Mal bewahrheitet, muss aber erst einmal abgewartet werden. Trotz aller Unsicherheiten sieht die Stahlwelt aus Sicht des Einkaufs derzeit besser aus als noch vor wenigen Wochen.
Der Beitrag stammt vom Leverkusener Stahlmarkt-Berater Andreas Schneider, StahlmarktConsult. Foto: StahlmarktConsult
Der Gastkommentar spiegelt die Meinung des Autors wider, nicht notwendigerweise die der Redaktion von marketSTEEL.