Was bleibt vom Stahljahr 2024?
von Andreas Schneider
Das Stahljahr 2024 war aus Sicht von Herstellern und Verbrauchern ein Jahr zum Vergessen. Vor allem im zweiten Halbjahr untertraf die Marktentwicklung bei weitem die Erwartungen. Eine Besserung ist kurzfristig nicht in Sicht. Über den Tag hinaus brachte das Jahr wenigstens vier Erkenntnisse. Diese sind teilweise für Stahleinkäufer direkt operativ nutzbar, betreffen aber auch strategische Erkenntnisse für stahlverarbeitende Unternehmen. Auch wenn zum Jahreswechsel traditionell positive Botschaften gefragt sind, lässt mancher Trend nichts Gutes ahnen.
Es ist die Nachfrage, Dummkopf!
In Anlehnung an einen Wahlkampf-Slogan des früheren US-Präsidenten Bill Clinton kann man es nicht oft genug wiederholen und in diesem Jahr ist es brutal bestätigt worden: Ohne wettbewerbsfähige Stahlverbraucher mit einem ordentlichen Produktionsniveau steht die hiesige Stahlerzeugung im Regen. Während lagergetriebene Sondereinflüsse in den Jahren 2021 und 2022 zu Versorgungsengpässen und Rekordgewinnen der Stahlerzeuger geführt haben, wurde die Stahlnachfrage in diesem Jahr weitgehend vom realen Bedarf bestimmt. Dieser ist in allen wichtigen Abnehmerbranchen geschrumpft, der mittelfristige Trend der vergangenen Jahre weist am EU-Markt und noch prägnanter in Deutschland klar nach unten. Bestandseinflüsse spielten kaum eine Rolle, der Stahlexport konnte den schwachen Inlandsmarkt nur in begrenztem Maße kompensieren. Die Erträge der Stahlhersteller sind unter erheblichen Druck geraten.
Kapazitätsanpassungen, wie sie zum Beispiel von ThyssenKruppSteel angekündigt wurden, sind eine Folge der im Trend fallenden Nachfrage der hiesigen Verarbeiter. Nicht die Politik, sondern die Kunden bestimmen darüber, wieviel Stahl in Deutschland gebraucht wird. Die aktuellen und künftigen Probleme der Stahlverarbeiter sind immens. Kluge Stahlpolitik sollte im Sinne klassischer Standortbedingungen auch die Stärkung der Nachfrageseite im Auge behalten. Denn die Standortfrage ist längst auch in mittelständischen Unternehmen der Stahlverarbeitung angekommen. In der Realität konzentriert sich die Politik leider zu stark auf die Unterstützung der Stahlhersteller und blendet negative Folgen für ihre Kunden aus. Gerade vor dem Hintergrund der ab 2026 in schnellen Schritten steigenden CO2-Kosten trübt dies die Perspektiven der gesamten Wertschöpfungskette Stahl stark ein.
Kosten bestimmen die Preise
In Zeiten schwacher Nachfrage sind die Herstellkosten der wichtigste preisbestimmende Faktor für Stahl. Entsprechend sind bei Flachprodukten aus der Hochofenroute die Spotmarktpreise im Jahresverlauf klar gefallen, während sich bei Langprodukten aus dem Elektroofen keine größeren Veränderungen gezeigt haben. Auf absehbare Zeit gilt für beide Herstellrouten, dass ohne die Unterstützung durch deutlich höhere Herstellkosten keine stärkeren Preisanhebungen umgesetzt werden können. Die Herstellkosten werden wiederum von den Rohstoffkosten getrieben, die im Falle der Hochofenroute am Weltmarkt und dort vor allem in China gemacht werden. Hier ist im kommenden Jahr ein weiterer Rückgang gut möglich, auch wenn im Winterhalbjahr durchaus noch Preissteigerungen möglich sind. Für die Elektrostahlwerke sind Schrott und Strom die maßgeblichen Faktoren.
Stahleinkäufer sollten daher auch im neuen Jahr die Rohstoffpreise der jeweiligen Route als wichtigsten Frühindikator für die Stahlpreise eng beobachten.
Die De-Karbonisierung mit Wasserstoff trifft auf die Realität
Die Politik und alle hochofenbasierten Stahlhersteller in Deutschland haben sich für die wasserstoffbasierte Direktreduktion als Königsweg zur De-Karbonisierung entschieden. Bei der Umsetzung der Pläne stockt es aber unverkennbar. Der Grund: es ist weiterhin nicht klar, wann, in welchen Mengen und zu welchen Kosten grüner Wasserstoff zur Verfügung stehen wird. Weder Investitionsentscheidungen für die erforderlichen heimischen Elektrolyseure noch die Wasserstoff-Import-Strategie der Politik kommen im nötigen Tempo voran. In den einschlägigen Unternehmenspräsentationen und Pressemeldungen wird eher im Kleingedruckten darauf hingewiesen, dass die neuen Direktreduktionsanlagen zunächst ganz überwiegend mit Erdgas betrieben und dann, je nach Verfügbarkeit und Kosten, auf grünen Wasserstoff umgestellt werden.
Auch die geplante Inbetriebnahme der neuen Direktreduktionsanlagen scheint sich zu verzögern, wenn man die ursprünglichen Ankündigungen mit den aktuellen Verlautbarungen vergleicht. Die Saarhütten sprechen nun von einer Inbetriebnahme 2028/2029 statt 2027, bei der Salzgitter AG „könnte“ die erste Anlage 2026 statt 2025 in Betrieb gehen, bei ThyssenKruppSteel scheint die ursprünglich für 2025 angestrebte Fertigstellung nun selbst für 2026 nicht sicher zu sein, ArcelorMittal hat Investitionsentscheidungen für die deutschen (wie auch für andere) Standorte zuletzt auf Eis gelegt.
Blickt man über den nationalen Tellerrand hinaus auf internationale Studien oder auf Statements führender Anlagenbauer wird schnell klar: Die Ausgangsbedingungen für eine international wettbewerbsfähige Erzeugung von grünem Stahl auf Wasserstoffbasis sind in Deutschland nicht gut. Die Absicht der Politik, trotzdem alle bisherigen Hochofenstandorte mit massiver finanzieller öffentlicher Förderung und weitreichenden Markteingriffen in das neue grüne Zeitalter zu retten, erscheint immer fragwürdiger. Ebenso diskussionswürdig ist die Frage, ob und wenn ja zu welchem Preis die weltweit einmalig ambitionierten Klimaziele der Stahlindustrie erreicht werden können.
Für Stahlverarbeiter lässt sich daraus ableiten, eigene Ziele und Zusagen gegenüber Kunden zur Reduzierung der CO2-Emissionen kritisch zu hinterfragen. Dies betrifft sowohl die Zeitachse als auch die jeweiligen Reduzierungsstufen.
Politik-Einfluss wird immer stärker
Stahlgipfel, Demonstrationen, politische Erklärungen und erste Rufe nach staatlichen Beteiligungen an Stahlherstellern zeigen: Stahl ist heute zu großen Teilen Politik. Historisch betrachtet ist die Phase beendet, in der die Stahlerzeugung mit dem Auslaufen des EGKS-Vertrages im Jahre 2002 zu einer „normalen“ Branche unter marktwirtschaftlichen Bedingungen wurde. In der EU wird kaum eine größere Investition ohne Staatshilfe getätigt, keine größere Unternehmensentscheidung bleibt ohne politischen Kommentar. Die faktischen Gegebenheiten der grünen Transformation der EU im internationalen Alleingang und die hohe Symbolkraft der Stahl-Standorte führen zu einer Spirale staatlicher Eingriffe, die augenscheinlich noch nicht beendet ist.
Wahrscheinlich werden Maßnahmen zur weiteren Marktabschottung gegen Importe zunehmen. Ebenso ist damit zu rechnen, dass unter dem Schlagwort der grünen Leitmärkte Verwendungsquoten für CO2-reduzierte Stähle eingeführt werden, die im schlechtesten Fall nur mit grünen EU-Labels erfüllt werden können. Ein direkter Staatseinstieg in einzelne Unternehmen war nie so hoch wie jetzt.
Auch auf internationaler Ebene ist klar ein Trend zu immer mehr Protektionismus erkennbar. Der neue Präsident der USA wird dies voraussichtlich nochmals verstärken. Auch viele asiatische Länder, die in dieser Hinsicht bisher eher zurückhaltend waren, schotten ihren Stahlmarkt nun stärker ab. Es zeichnet sich eine Regionalisierung des Stahlhandels ab.
Was diese Trends perspektivisch für die internationale Wettbewerbsfähigkeit und die Zukunftsaussichten bedeuten, muss jedes stahlverarbeitende Unternehmen für sich selbst bewerten. Es wäre aber fahrlässig, vor den kommenden Herausforderungen die Augen zu verschließen.
Informationen zum Beratungsangebot von StahlmarktConsult Andreas Schneider finden Sie unter www.stahlmarktconsult.de.
Der Beitrag stammt vom Leverkusener Stahlmarkt-Berater Andreas Schneider, StahlmarktConsult.
Foto: StahlmarktConsult, Fotolia
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