Was bedeuten die aktuellen Energiepreisentwicklungen für die Stahlbranche?
von unsem Gastkommentator
Die aktuelle Marktsituation stellt insbesondere für Unternehmen mit einem hohen Erdgaseinsatz (wie auch beim Strom) eine große Herausforderung dar.
Im Jahr 2020 sprachen wir noch von einer „Gasschwemme“ und mussten zum ersten Mal in der Geschichte der Gaswirtschaft unsere Systeme auf negative Preise vorbereiten, die dann aber glücklicherweise nicht eintraten. Hingegen kletterten jüngst die Kosten für Strom, Gas und Öl in Deutschland in ungeahnte Höhen und die Preisschwankungen zwischen und innerhalb der Handelstage rauben uns den Atem.
Zur Erinnerung: am 6. Oktober 2021 stieg der Day Ahead-Preis für Erdgas zunächst um rund 45 EUR/MWh und fiel dann wieder um 60 EUR/MWh – eine solche Volatilität innerhalb eines Tages hatte der deutsche Gasmarkt noch nicht gesehen. Auch vor den Weihnachtsfeiertagen erklommen Gaspreise an den Großhandelsmärkten und auch Volatilitäten neue Höhen.
Aber diese Turbulenzen sind nicht auf den Gasmarkt beschränkt. Auch der Strommarkt ist betroffen. Die Gründe sind vielfältig und verstärken sich durch hohe, gegenseitige Abhängigkeiten. Ihren Ursprung haben sie häufig sogar am anderen Ende der Welt. Wenn z. B. in Brasilien Wasserkraftwerke wegen großer Trockenheit nicht liefern können, in China der Energieträger Erdgas zur Verbesserung der Luftqualität in völlig neuen Größenordnungen zum Einsatz kommt oder in Frankreich Atomkraftwerke aus technischen Gründen abgeschaltet werden, hat das gravierende Auswirkungen auf den gesamten Energiemarkt und alle Energieträger.
Dem weltweit starken Nachfrageanstieg für Gas nach dem Einbruch im „Corona-Jahr“ 2020 stand jedoch kein adäquater Anstieg des Angebotes gegenüber und in der EU geht das Angebot sogar zurück. Politische Unstimmigkeiten, Wetteraussichten und halbvolle Gasspeicher tragen ihr Übriges bei.
Rückblick auf die jüngsten Preisturbulenzen an den Energiemärkten
Laut Statistischem Bundesamt zahlten Nicht-Haushaltskunden für Erdgas im 1. Halbjahr 2021 durchschnittlich 3,05 Cent je Kilowattstunde ohne Mehrwertsteuer und andere abzugsfähige Steuern. Damit war Erdgas für sie 14,2 % teurer als im 2. Halbjahr 2020. Die Preise stiegen über alle Verbrauchsgruppen hinweg: Für Nicht-Haushaltskunden mit einem Jahresverbrauch von weniger als 1.000 Gigajoule (ca. 0,3 GWh) stiegen die Preise um 6,3 %, für Verbraucher mit einem Jahresverbrauch über 4 Millionen Gigajoule (ca. 1,1 TWh) um 41 %. Dafür gab es je nach Verbrauch unterschiedliche Gründe: Für die Verbrauchsgruppen bis zu 1 Millionen Gigajoule war die Einführung der CO2-Bepreisung der entscheidende Preistreiber, für Verbraucher mit mehr als 1 Millionen Gigajoule Jahresverbrauch die gestiegenen Energiekosten an den Großhandelsmärkten.
Und im zweiten Halbjahr 2021 legte die Rallye an den Energiemärkten erst richtig los. Die Gaspreise, egal ob im Spotmarkt oder für entferntere Lieferzeiträume, erreichten Anfang Oktober zuvor unbekannte Höhen. So handelten der Day Ahead an der niederländischen TTF sowie der Frontmonat erstmals im dreistelligen Bereich, in der Spitze bei rund 160 EUR/MWh.
Ende Oktober und Anfang November kehrte etwas Ruhe am Gasmarkt ein, Day Ahead und Frontmonat pendelten zwischen 65 und 80 EUR/MWh. Spekulative Short-Positionen mussten zu einem Großteil geschlossen werden (sog. „short squeeze“) und man erwartete Anfang November höhere Gasmengen aus Russland, sobald die dortigen Speicher gefüllt sein sollten.
Die Ruhe währte allerdings nur kurz. Ab Mitte November übernahmen wieder die Bullen das Zepter und die Preise kletterten erneut gen 100 EUR/MWh. Die russischen Flüsse am Übergang Mallnow, dem polnisch-deutschen Grenzübergangspunkt für die Jamal-Pipeline, fielen unerwartet, zudem buchte Gazprom keine Kapazität für diesen Übergang für den Dezember. Auch die vorläufige Aussetzung des Verfahrens zur Zertifizierung der Nord Stream 2 wirkte bullish, da sich somit die Inbetriebnahme weiter nach hinten verschiebt.
Im Dezember und gerade in den Vorweihnachtstagen spitzte sich die Lage weiter zu, die Gaspreise erreichten neue Allzeithochs und sorgten bei vielen Marktteilnehmern für Herzrasen und Stirnrunzeln. Neben geringen russischen Flüssen gesellten sich geopolitische Spannungen auf die Seite der Bullen, die angespannte Lage an der Grenze von Ostukraine und Russland führte zur Einpreisung einer Risikoprämie. Da bereits einige Kältewellen für hohe Ausspeisungen sorgten, waren die bereits sehr niedrigen Speicherfüllstände in einigen europäischen Ländern ebenso ein unterstützender Faktor gewesen wie auch die Ausfälle französischer Kernkraftwerke im Stromsektor und damit einhergehend ein höherer Bedarf an fossilen Kraftwerken. In der Spitze handelten die Kontrakte am Spotmarkt am 21. Dezember bei rund 180 EUR/MWh und somit 80 EUR/MWh teurer als nur 10 Tage zuvor. Auch das Frontkalenderjahr kostete in der Spitze am 22. Dezember 140 EUR/MWh und damit doppelt so viel wie noch 12 Tage zuvor. Viele Händler fanden kaum Worte, um diese Lage zu beschreiben und nannten es nur „wahnsinnig“.
Bereits in den zwei Tagen vor der Weihnachtspause korrigierten die Kontrakte nach unten – fundamental entlastete ein milder Wetterausblick nach Weihnachten sowie eine Armada an LNG-Tankern, die sich auf dem Weg nach Europa befand (die europäischen Gaspreise notierten über den asiatischen Preisen, eine Seltenheit, insbesondere im Winter). Zwischen den Feiertagen korrigierten die Gaspreise weiter nach unten. Milde Temperaturen, eine geringere Gasnachfrage und hohe LNG-Ankünfte sorgten wahrscheinlich im Zusammenspiel mit Long-Positionen einiger Markteilnehmer für Abgabedruck. Die Liquidität war jedoch begrenzt. Die Preise am vorderen Ende fielen deutlich unter die Marke von 100 EUR/MWh. Das Kalenderjahr 2022 handelte zuletzt nahe 60 EUR/MWh. Zu Jahresbeginn 2021 lag der Preis noch bei 16 EUR/MWh. Nach den eher normalen Temperaturen zu Weihnachten lagen die Werte zum Jahreswechsel teilweise 7-8 Grad über dem langjährigen Mittel. Die wärmebedingte Gasnachfrage ging entsprechend deutlich zurück. Allein in Nordwesteuropa sank der Gasverbrauch in den lokalen Weiterverteilnetzen gegenüber dem üblichen Verbrauch von 5.000 GWh/d auf 3.000 GWh/d und darunter.
Auf der Angebotsseite blieben die norwegischen Flüsse auf sehr hohem Niveau und die russischen Flüsse am Grenzübergangspunkt Mallnow bei null. Das LNG-Angebot stieg dagegen weiter an. Insbesondere in Frankreich erhöhten sich die Mengen zum Jahresende erkennbar.
In Summe führten die genannten Effekte von Angebot und Nachfrage zu einem geringeren Bedarf an Speicherausspeisungen, welche in Summe auf europäischer Ebene am 30.12.2021 sogar in eine Nettoeinspeisung wechselte. Trotzdem lagen die Füllstände der Speicher zum Jahresende unverändert auf Rekordtiefs. Im Mittel betrugen die Füllstände für Europa laut AGSI 56 %. In Deutschland lagen sie bei 53%, in Österreich bei 34 % und bei 35 % in den Niederlanden. Durch den starken Preisabfall am vorderen Ende lag der Sommer-Winter-Spread SWS 22 zum Jahresende wieder im Plus (Win 22 > Som 22).
Seit dem 4. Januar 2022 sind die meisten Händler zurück an ihren Schirmen. Nach dem Preisabfall vor dem Jahreswechsel gehen die Notierungen wieder nach oben. Der Markt scheint unterstützt. Die Temperaturen korrigieren wieder auf Normalwerte, der aktuelle 45-Tage-Lauf ist zudem eher bullish, der Ausblick also leicht unter normal. Die russischen Flüsse sind weiter Gesprächsthema: auch wenn Gazprom Kapazitäten für Januar in Höhe von 200 GWh/d gebucht, fließen keine Mengen in Richtung Deutschland, die Kapazität wird aktuell also gar nicht genutzt, das hatten viele anders erwartet. Auch die Flüsse über die Ukraineroute sind deutlich gesunken.
Anders die Lage am Ölmarkt, hier sehen Analysten in 2022 einen stärkeren Zuwachs beim Angebot als bei der Nachfrage, womit der Markt im Laufe des Jahres wieder in einen leichten Angebotsüberschuss drehen sollte und sich die Preise längerfristig auf dem recht hohen Niveau stabilisieren oder sogar leicht nachgeben.
Worauf müssen wir uns zukünftig einstellen?
Der Neustart der Weltwirtschaft mit der Squeeze Situation zwischen Angebot und Nachfrage hat das System ins Ungleichgewicht gebracht. Bei stabilen Bedingungen würde sich dieses Ungleichgewicht über die nächsten Jahre reduzieren, aber der Umbau der weltweiten Energie- und Stoffströme zur Erreichung der Klimaziele bietet diese stabilen Bedingungen nicht. Corona hat den Start in diese neue Welt nur dramatisch beschleunigt.
Mit einer Sonderausschreibung des Regelenergieproduktes Long-Term Option (LTOs) für Februar 2022 will Trading Hub Europe (THE) möglichen Gefahren für die Systemstabilität aufgrund niedriger Speicherfüllstände vorbeugen und somit Mengenverfügbarkeit und Versorgungssicherheit gewährleisten.
Ob und wie die neue Bundesregierung und die EU diesen Entwicklungen begegnen wollen, muss sich erst noch zeigen. Darauf zu warten, ist für energieintensive Industrieunternehmen allerdings riskant.
Das fundamentale Problem der geringen Gasmengen und sehr niedrige Temperaturaussichten bleiben wohl vorerst bestehen und weiterhin Preistreiber für den Strom- und Gasmarkt. Einige Stimmen der Energiewirtschaft sprechen von einer neuen Normalität. Zumindest in Bezug auf die Volatilität der Energiepreise zeigt der Trend weiter nach oben. In jedem Falle erfordert die aktuelle Marktlage ein deutlich schnelleres Handeln und Entscheiden bei der Energiebeschaffung.
Für die Energiebeschaffung in Industrieunternehmen stellt sich demnach die Herausforderung, ein komplexes System wie den Weltmarkt mit mehrfachen Abhängigkeiten zu ebenfalls sehr komplexen Subsystemen sowie das Zusammenspiel aller Energieträger ständig im Blick zu haben und obendrein die Klimaziele zu erreichen.
Die nachhaltige und risikoabgesicherte Beschaffung von Energie – auch und insbesondere grüner Energie – ist somit mehr denn je eine Schlüsselaufgabe in deutschen Industrieunternehmen. Die herausfordernde Kombination aus gestiegenen Materialpreisen und Materialmangel, Produktionseinschränkungen und wachsenden Energiekosten, Steuerbelastungen und Klimaanforderungen muss geschickt gemanagt werden.
Aber wie genau können die neuen Risiken abgesichert und das Beschaffungsportfolio aufmerksam gemanagt werden? Die Antwort klingt einfach und ist es doch nicht: Indem die eigene Produktion sehr zeitnah mit entsprechenden Energieprodukten im Einkauf abgesichert wird. Das bedingt schnelle Prozesse und vorbereitete Beschaffungsstrategien.
Womit können wir als VNG H&V unsere Industriekunden in dieser Situation unterstützen?
Ganz neu ist die aktuelle Situation für die Energiewirtschaft nicht. Als Importeur und Großhändler können wir damit umgehen und somit unseren Kunden die nötige Sicherheit und passende Produkte bieten.
Mit unseren Marktreports haben Sie die aktuellen Entwicklungen nach Ihren eigenen Bedürfnissen stets im Blick. Der VNG Analysten Call bietet tiefe Einblicke in die Energiemärkte und liefert die dazu gehörigen Erläuterungen durch unsere Spezialisten.
Darüber hinaus stehen wir unseren Kunden als strategischer Partner auch in unsicheren Zeiten zuverlässig zur Seite und bieten Perspektiven für den Weg in die industrielle Wasserstoff-Zukunft.
Weitere Informationen finden Sie unter www.vng-handel.de.
Fotos: VNG H&V
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