Warum Klimaschutz aus Stahlschrott gemacht wird
von Dagmar Dieterle
marketSTEEL-Interview mit Dipl.-Ing. Thomas Junker (49 Jahre), BDSV Hauptgeschäftsführer
marketSTEEL: Herr Junker, wie bewerten Sie die aktuelle Dekarbonisierungsstrategie der Bundesregierung für die Stahlindustrie?
Thomas Junker: Die deutsche Stahlindustrie ist eine wichtige Säule für unsere heimische Wirtschaft und mit 6-7 Prozent Anteil an den Industrie-Emissionen Deutschlands auch ein wichtiger Hebel in Bezug auf den Klimawandel. Aus diesem Grund ist das aktuelle Engagement der der Politik richtig und wird von uns grundsätzlich positiv bewertet.
Bei der Analyse des überarbeiteten Handlungskonzepts Stahl der Bundesregierung stellen wir allerdings fest, dass die Fokussierung der Politik auf die Produktion von Wasserstoffstahl viel zu einseitig ist. Aus unserer Sicht ist die Nutzung des Recyclingrohstoffs Stahlschrott bisher - völlig zu Unrecht - weitestgehend unberücksichtigt geblieben. Denn wir sind davon überzeugt: Klimaschutz wird aus Schrott gemacht! Ich möchte auch gerne erklären warum: Jede Tonne Stahlschrott, die in der Stahlproduktion eingesetzt wird, spart 1,67 Tonnen CO2 gegenüber dem Einsatz von Eisenerz und Steinkohle ein, jede Tonne Edelstahlschrott sogar 4,3 Tonnen CO2 – dies hat das Fraunhofer Institut IMWS in der Studie „Schrottbonus“ wissenschaftlich ermittelt. Mit dem Einsatz von 93,8 Millionen Tonnen Stahlschrott konnten in der EU so allein im Jahr 2018 157 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden, was den CO2-Emissionen aller Automobile in Frankreich, Großbritannien und Belgien entspricht. Außerdem sind Deutschland und die EU Exporteure für Stahlschrott. Deutschland hat im Jahr 2018 etwa 8,5 Millionen Tonnen exportiert, was ca. 20 Prozent der Stahlproduktion in diesem Jahr entspricht. Diese Menge sollte aus unserer Sicht als Ersatz für Eisenerz und Steinkohle zukünftig besser im Binnenmarkt eingesetzt werden. Stahl- und Edelstahlschrott sind übrigens beliebig oft und ohne Qualitätsverluste recyclebar und sparen vor allem Primärressourcen wie Erze und Kokskohle, deren Abbau und Transport ebenfalls sehr CO2-intensiv sind. Wir als Stahlrecyclingbranche verstehen uns als Motor einer ökologischen und wettbewerbsfähigen Kreislaufwirtschaft für den Recyclingrohstoff Stahlschrott. Auch wenn wir bisher noch nicht auf dem Zettel standen, muss man mit uns rechnen.
marketSTEEL: Welchen Beitrag kann die deutsche Stahlrecyclingindustrie in Bezug auf die europäischen Dekarbonisierungsstrategie liefern?
Thomas Junker: Auf europäischer Ebene wird seitens der Politik bereits eine Dekarbonisierungsstrategie diskutiert, die auch einen Fokus auf den Einsatz von klimafreundlichem Stahlschrott legt. Die BDSV begrüßt das ausdrücklich. Aus unserer Sicht stellt der verstärkte Einsatz des zum Sekundärrohstoff aufbereiteten Stahlschrotts eine technisch ausgereifte und mit vergleichsweise geringen Investitionen schon heute umsetzbare Maßnahme dar, die – neben der kostenintensiven und langwierigen Umstellung der Stahlbranche hin zum Wasserstoff-Stahl – unbedingt genutzt werden sollte. Das verstehen wir als unseren Beitrag zur Dekarbonisierung. Außerdem wollen wir einen Beitrag im Bereich des Transportes des Stahlschrotts zu den Stahlbetrieben und Gießereien leisten. Bereits im Jahr 2017 wurde von der BDSV und DB Cargo hierzu die Initiative 10/20 ins Leben gerufen. Ziel ist es, 20 Prozent mehr Schrott auf den klimafreundlichen Verkehrsträger Schiene zu verlagern, wenn im Gegenzug die Kosten um 10°Prozent gesenkt werden.
Die BDSV stellt sich auch ausdrücklich hinter die Idee eines europäischen Kohlendioxid-Grenzausgleichssystem (EU Carbon Border Tax Adjustment Mechanism), um eine Abwanderung energieintensiver Industrien in Drittländer mit schwächeren ökologischen Produktionsauflagen zu verhindern. Ohne einen wirksamen Mechanismus würden wesentliche Güter nicht mehr in der EU gefertigt, sondern importiert – zu Lasten des Klimas und des deutschen und europäischen Industriestandortes.
Darüber hinaus setzen wir uns derzeit auf europäischer Ebene dafür ein, dass die freien Märkte für Recyclingrohstoffe aufrechterhalten werden. Im Rahmen der aktuell diskutierten Revision der EU-Abfallverbringungsverordnung (Verordnung Nummer 1013/2006 über die Verbringung von Abfällen) fordern wir, zusammen mit den Verbänden bvse, BDE und VDM, eine Unterscheidung von Sekundärrohstoffen und Abfällen ohne Wert. Derzeit drohen Handelshemmnisse für Sekundärrohstoffe durch die geplante Verschärfung der Vorschriften für die Verbringung von grün gelisteten Abfällen in Drittländer. Aus unserer Sicht ist Stahlschrott definitiv kein Abfall, sondern ein Klimaschutzprodukt. Zudem können durch den weltweiten Handel mit dem Recyclingrohstoff Stahlschrott Rohstoffkreisläufe geschlossen werden und damit Primärrohstoffe ersetzt werden. Eine Exportbeschränkung wäre klimapolitischer Unsinn.
marketsteel: Nun finden im September 2021 die Bundestagswahlen statt. Welche Forderungen richten Sie an die Politik?
Thomas Junker: In erster Linie fordert die BDSV Unterstützung für neue und noch effektivere Wege zum Stahlrecycling sowie für vollständig geschlossene Stoffkreisläufe auch im Bereich von Stahl- und Edelstahlschrott. Dies ist aus der Sicht der BDSV nur gemeinsam und mithilfe der Politik möglich. Bereits heute wird der Rohstoffeinsatz in der Stahlherstellung fast zur Hälfte aus Sekundärrohstoffen gedeckt. Der Bedarf an Stahlschrott wird weltweit weiter steigen, weil die Qualität und die Menge der zur Verfügung stehenden Primärressourcen die Nachfrage der Stahlwerke und Gießereien allein nicht mehr decken können.
Der Weltstahlverband worldsteel prognostiziert, dass das weltweite Stahlschrottaufkommen bis 2030 um 30 Prozent und bis 2050 um 70 Prozent auf 1,3 Milliarden Tonnen steigen wird. Dies ist die Rohstoffquelle für den Stahl der Zukunft.
Um noch mehr Stahlschrott in den Kreislauf zurückzuführen, fordert die BDSV eine gesetzlich festgeschriebene Mindesteinsatzquote von Stahlschrott in der Stahlproduktion. Diese Maßnahme würde nicht nur den Einsatz von Sekundärrohstoffen fördern, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit der Stahlrecyclingwirtschaft erhöhen. Die Stahlrecyclingbranche könnte damit ihren positiven Einfluss auf die Ressourcenschonung vervielfachen und dazu beitragen, Millionen Tonnen CO2 einzusparen. Das würde sich wiederum positiv auf die gesetzten Klimaziele Deutschlands und der EU auswirken.
Einen weiterer Lösungsansatz den Einsatz von Recyclingstahl deutlich zu erhöhen wäre die Beteiligung der Stahlrecyclingbranche am CO2-Zertifikatehandel. Diese Möglichkeit wird aktuell von der BDSV zusammen mit dem Institut Fraunhofer IMW in Rahmen eines Forschungsprojekts vertiefend geprüft.
Wir appellieren auch an die Politik, vereinfachte und beschleunigte Genehmigungsverfahren für Stahlrecyclingunternehmen einzuführen, bzw. deren Vollzug entsprechend zu optimieren. Die Unternehmen der Stahlrecyclingbranche, die im Jahr über 100.000 Tonnen CO2 einsparen und Umweltkosten in Millionenhöhe abwenden, leisten einen entscheidenden Beitrag zur CO2-Einsparung und sollten deshalb möglichst ungebremst arbeiten können. So erschaffen wir Umweltbetriebe.
Aber auch das Prinzip Design for Recycling steht bei uns oben auf der Agenda. Insbesondere ausgediente Elektro- und Elektronikaltgeräte müssen am Ende ihres Lebenszyklus einfach und rohstoffoptimal recycelt werden. Hier kann und muss ein hinsichtlich der Demontageanforderungen optimiertes Design einen wesentlichen Beitrag leisten.
Zur Person:
Herr Junker ist seit Januar 2019 BDSV Hauptgeschäftsführer und hat damit die Nachfolge von Dr. Rainer Cosson angetreten, der in den Ruhestand ging. Mit Thomas Junker konnte die BDSV einen erfahrenen Manager gewinnen, der zuvor Führungsaufgaben in der Investitionsgüter-Industrie, bei der Deutschen Bahn, sowie im kommunalen Bereich wahrgenommen hat – zuletzt war Junker als Technischer Geschäftsführer für die Stadtwerke Neumünster tätig.
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