Vom traditionellen Mittelständler zum Teil eines Konzerns

von Dagmar Dieterle

Interview mit Herr Wichmann, Chief Executive Officer (CEO), ArcelorMittal Dortmund, Long Products, Wire Solutions

 

Vor gut einem Jahr übernahm die ArcelorMittal die angeschlagene Dortmunder Blankstahl (wir berichteten)

https://www.marketsteel.de/news-details/arcelormittal-%c3%bcbernimmt-dortmunder-blankstahl.html).

Das Unternehmen, das über 45 Jahre als etablierter Hersteller von Blankstahl und Blankstahlerzeugnissen galt, war mit etwa 85 Mitarbeitenden in die Insolvenz geraten. Wie Lutz Bandusch, Vizepräsident der ArcelorMittal Europe – Long Products, damals sagte, sollte mit der Übernahme des Unternehmens das Produktportfolio Drahtverarbeitung von ArcelorMittal abrunden.

Inwieweit das gelungen ist, beantwortet Robin Wichmann, CEO ArcelorMittal Dortmund, in einem Gespräch mit marketSTEEL.

 

marketSTEEL: Herr Wichmann, ist dem Stabstahlproduzenten als Mittelständler mit 82 Mitarbeitenden der Schritt zu einem erfolgreichen Zweig eines Konzerns mit über 158.000 Mitarbeitenden gelungen?

Wichmann: Wir arbeiten seit nunmehr einem Jahr als Profitcenter eines Konzerns. Wir behielten unsere Eigenständigkeit und können das Unternehmen nachhaltig führen. Andererseits haben wir auch die Vorteile eines Konzerns. Die Zusammenarbeit zwischen dem kleinen Unternehmen und der Konzernmutter funktioniert hervorragend. Es hat sich innerhalb kürzester Zeit eine angenehme Teamarbeit entwickelt, und es sind kollegiale Bindungen entstanden. Vor allem läuft der Austausch zwischen den Werken, zum Beispiel mit unserem Schwesterwerk in Frankreich, problemlos und wir unterstützen uns gegenseitig.

 

marketSTEEL: War der Weg von einem Mittelständler mit traditionsbewusster Denke nicht schwierig und dornig?

Wichmann: Zunächst fühlten wir uns im Konzern von Beginn an "mit offenen Armen empfangen". Als neuer Geschäftsführer bin ich hier vor Ort sehr freundlich aufgenommen worden. Dabei darf man nicht vergessen, welch eine schwierige Zeit die Belegschaft mit der Insolvenz und den daraus resultierenden Existenzängsten durchgestanden hatte. Wir haben hier in Dortmund von Beginn an eine offene Unternehmenskultur im Sinne des Konzerns gepflegt. So wurden die Verbesserungsvorschläge oder die Ideen zur Prozessoptimierung, die von der Belegschaft kamen, diskutiert und - wenn möglich - umgesetzt. Dies war in der Technik und Produktion ebenso zu sehen wie in der Verwaltung. Dieses Vorgehen war auch für die Mitarbeitenden ein positives Signal.

Nachdem das Unternehmen in der Vergangenheit viel Geld verloren hatte, war es wichtig, mit klaren Wachstumsambitionen frühzeitig Investitionsentscheidungen zur treffen. Dabei spielte die Geschwindigkeit eine Rolle, um die Flexibilität im Werk zu steigern und auch die Kapazitäten zu erhöhen.

 

marketSTEEL: Ist das rückblickend gelungen, und sind Sie mittlerweile mit den Umsätzen auf einem positiven Weg?

Wichmann: Wir haben eine sehr schnelle Drehung hingelegt, was die Kostensituation des Unternehmens betrifft. Aus der Insolvenz heraus, in der manches nicht bezahlbar war, haben wir es ermöglicht, Wichtiges weiter zu führen und Verzichtbares zu kappen. Aber wir konnten auch nicht alles  umsetzen, was weniger an mangelndem Verantwortungsbewusstsein der Belegschaft, sondern eher an den Auswirkungen der Insolvenzphase lag.  So mussten wir frühzeitig erkennen, dass es bei der lückenlosen Verfügbarkeit kritischer Reserveteile oder Assets für die Anlagenverfügbarkeit Verzögerungen gab.

Insofern war die Übernahme durch ArcelorMittal eine Befreiung aus Ketten, um endlich wieder Fahrt aufnehmen zu können. Das ist uns dank der schnellen Reaktion und der guten Zusammenarbeit von Instandhaltung, Produktionsleitung und Mitarbeitenden innerhalb kürzester Zeit gelungen.

 

marketSTEEL: Sind im Lauf des ersten Geschäftsjahres Altkunden verblieben, oder konnten Sie Neukunden gewinnen?

Eine große Anzahl treuer Kunden ist geblieben. Da machte sich das Traditionsunternehmen wieder bemerkbar, zu dem langfristige Lieferverbindungen bestehen, die nicht einfach aufgegeben werden. Aber es kamen auch Neukunden hinzu, die an unserer Vision und unserem größeren Produktangebot interessiert sind.

Im Moment erhalten wir bei den Kapazitäten Unterstützung durch unsere Kollegen in Frankreich, wobei das Mengenportfolio in naher Zukunft aber auch wieder in Dortmund produziert werden soll.

 

marketSTEEL: Ist oder wird der traditionelle Stahlhandel für Sie eine Zielgruppe?

Interessant ist der Stahlhandel auf jeden Fall, aber hier müssen wir in der Lage sein, verbraucherspezifische Anforderungen wie verschiedene Stahlsorten oder besondere Materialbeschaffenheit zu erfüllen.

Und genau diese Flexibilität plant die Dortmunder ArcelorMittal in naher Zukunft auszubauen.

 

marketSTEEL:  Vielen Dank für das Gespräch.

 

 

Fotos: marketSTEEL

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