Unterstützung für hohe Stahlpreise schwindet
von Dagmar Dieterle
Die Spotmarktpreise für Flachstahl sind im März auf den höchsten Stand seit dem Frühjahr 2011 gestiegen. Die Unterstützung für dieses hohe Niveau schwindet nun. Am Spotmarkt sind seit einigen Wochen zunehmende Entspannungszeichen zu beobachten und die Preise beginnen in vielen Fällen zu sinken. Bei den meisten Einflussfaktoren haben die Vorzeichen gedreht. Aktuell sprechen vier Gründe dafür, dass die Preise spürbar unter das im ersten Quartal erreichte Plateau zurückfallen. Ob es außerhalb des Spotmarktes auch bei Verträgen für das zweite Halbjahr zu einer Entlastung kommen wird, ist aber noch offen. Ein großer Risikofaktor aus Einkäufersicht bleibt die Antidumping-Politik der EU. Aber auch andere Einflüsse können sich schnell ändern.
Nach einigen äußerst turbulenten und schwierigen Monaten gibt es für Stahleinkäufer jetzt wieder positivere Nachrichten. Die Chancen sind hoch, dass sich die Preise wieder ein Stück weit von den im ersten Quartal erreichten Spitzenwerten entfernen werden. Was sind die Gründe dafür?
- Niedrigere Rohstoffkosten
Die Folgen des Wirbelsturms „Debbie“, der Anfang April die Preise für international gehandelte Kokskohle nach oben getrieben hatte, blieben begrenzt. Die Schäden in den betroffenen australischen Kohlegebieten konnten relativ schnell behoben werden. Die Preise für hochwertige Kokskohle, die in der ersten Aprilhälfte von ca. 160,- auf 300,- $/t explodiert waren, sind mittlerweile sogar noch etwas unter das Ausgangsniveau zurückgefallen. Gleichzeitig notieren aktuell die Weltmarktpreise für Eisenerz deutlich niedriger als über weite Strecken des ersten Quartals. Der Referenzpreis für Feinerz liegt nur noch wenig über 60,- $/dmt, nachdem im Februar phasenweise noch mehr als 90,- $/dmt zu zahlen waren. Der internationale Schrottmarkt hat sich nach dem heftigen Auf und Ab einigermaßen beruhigt.
Auf Basis von Spotmarktpreisen dürften die Rohstoffkosten der Hochofenroute im Mai den niedrigsten Stand seit September 2016 erreichen. Zudem hat sich zum ersten Mal in diesem Jahr eine Situation eingestellt, in der von keinem wichtigen Rohstoff Aufwärtssignale kommen.
- Nachfragezyklus schwingt zurück
Der wichtigste Grund dafür, dass die Stahlpreise Ende 2016 und Anfang 2017 deutlich stärker als die Rohstoffkosten gestiegen sind, waren lagerzyklische Effekte. Steigende Preise und die Furcht vor Versorgungsengpässen haben zu Buchungen weit über dem tatsächlichen Bedarf geführt. Dieser Effekt dreht sich nun aber um: hohe Lagerbestände bei Händlern und Verarbeitern sowie vorgezogene Bestellungen lasten nun auf der Nachfrage vor allem am Spotmarkt. Diese dürfte auch in den kommenden Wochen unter dem echten Bedarf liegen.
- Versorgungssituation bessert sich
Damit in Zusammenhang steht die sich wenigstens in Teilbereichen des Flachstahlmarktes entspannende Versorgungssituation. Denn nicht nur die Nachfrage am Spotmarkt hat nachgelassen, sondern auch die Erzeugung ist gestiegen. Nach den neuen Zahlen von Worldsteel ist die EU-Rohstahlproduktion bis April um 4,5% gegenüber dem Vorjahr gestiegen, für Deutschland wird ein Zuwachs um 3,4% gemeldet. Zumindest bei Standardmaterial dürfte sich damit die Versorgungslage in den kommenden Wochen weiter bessern.
- Importwettbewerb meldet sich zurück
Aus mehreren Gründen hat der von der Importseite ausgehende Wettbewerb in den vergangenen Wochen deutlich zugenommen. Nach spürbaren Preisrückgängen in China ist das Preisniveau am internationalen Exportmarkt ebenfalls gesunken. Dies wird bei den EU-Importpreisen noch verstärkt durch die jüngste Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar. Die überraschende Entscheidung der EU-Kommission, im Antidumping-Verfahren gegen Warmbreitbandeinfuhren aus Russland, Brasilien, der Ukraine, dem Iran und Serbien auf die Einführung vorläufiger Zölle zu verzichten, hat die Verfügbarkeit von Material aus diesen Ländern wenigstens temporär verbessert. Auch die psychologische Wirkung des Schrittes ist nicht zu unterschätzten, da der Markt damit nicht gerechnet hatte. Darüber hinaus sprechen die bisher vorliegenden Zahlen dafür, dass durch Zölle ausgesperrte Importe besser als vielfach erwartet von alternativen Lieferländern ersetzt werden können.
Auch wenn Stahleinkäufer mit diesen Entwicklungen wieder mehr Argumente auf ihrer Seite haben, ist es für eine Entwarnung zu früh. Denn am Flachstahlmarkt werden große Mengen über Halbjahres- oder Jahresverträge gehandelt. Hier wirken die am Jahresanfang eingetretenen drastischen Verteuerungen bis heute uneingeschränkt weiter. Ob es bei den Verträgen für das zweite Halbjahr zu einer Entlastung kommen wird, ist noch offen. Wie die vergangenen Monate gezeigt haben, ist der Stahlmarkt sehr schnelllebig geworden. Wendungen in die ein oder andere Richtung können jederzeit erfolgen. Auch weist die Marktentwicklung bei den verschiedenen Erzeugnissen durchaus Unterschiede auf.
Ein großer Risikofaktor liegt weiter in der Antidumping-Politik der EU. Im Verfahren gegen warmgewalzte Bleche steht die endgültige Entscheidung der Kommission noch aus. Es wird erwartet, dass die Bekanntgabe des Ergebnisses in den Sommer vorgezogen wird. Rückwirkende Zölle gegen mehrere Lieferländer sind weiter möglich. Auch im Verfahren bei verzinkten Blechen aus China, das für große Unruhe sorgt, steht eine Entscheidung noch aus.
Der Beitrag stammt vom Leverkusener Stahlmarkt-Berater Andreas Schneider, StahlmarktConsult. Foto: StahlmarktConsult
Der Gastkommentar spiegelt die Meinung des Autors wider, nicht notwendigerweise die der Redaktion von marketSTEEL.