Tata Steel: Auf dem Weg zu grünem Stahl in Europa
von unsem Gastkommentator
marketSTEEL im Interview mit Dr. Henrik Adam, CEO Tata Steel in Europa
marketSTEEL: Grüner Stahl – derzeit das vermutlich dominanteste Thema in der Stahlbranche. Mit Blick auf Europa: Wie ist Tata Steel in dieser Hinsicht aufgestellt?
Dr. Henrik Adam: Wir konzentrieren uns darauf, unsere CO2-Emissionen so schnell wie möglich zu reduzieren. Unser Motto lautet: Jede Tonne CO2, die nicht ausgestoßen wird, hilft, den globalen Klimawandel zu begrenzen. Als Tata Steel in Europa sind wir schon heute einer der führenden und CO2-effizientesten Stahlproduzenten weltweit. Unser integriertes Stahlwerk in IJmuiden war im Jahr 2020 der dritteffizienteste Stahlstandort weltweit, der Zahlen an worldsteel übermittelt hat. Trotzdem haben sich die weltweiten CO2-Emissionen in den letzten 50 Jahren mehr als verdoppelt. Und wir als Stahlindustrie sind für sieben Prozent dieser Emissionen verantwortlich.
Wir sehen uns selbst in der großen Verantwortung, unser Geschäft klimaneutral zu gestalten und gleichzeitig genau den Stahl zu produzieren, den wir brauchen, um auch den Rest der Gesellschaft dabei zu unterstützen, kohlenstofffrei zu werden. Das erwarten auch unsere Kunden von uns. Deshalb haben wir den Anspruch, unsere CO2-Emissionen in Europa bis 2030 um 30 bis 40 Prozent zu reduzieren, unseren Stahl bis spätestens 2050 CO2-neutral zu produzieren und Stähle herzustellen, die stärker sind, länger halten und weniger Rohstoffe benötigen.
marketSTEEL: Welche Strategien verfolgen Sie, um das zu erreichen?
Dr. Henrik Adam: Wir haben verschiedene Strategien, die lang-, mittel- und kurzfristig zusammenspielen, um ein optimales Ergebnis zu erzielen. Dazu bewerten wir sowohl Risiken als auch Chancen des Klimawandels und integrieren diese in unsere Strategie und Planung wie auch in die Prüfung unserer Investitionen sowie in unsere Risikomanagement-Tools.
Wir gehen davon aus, dass die Dekarbonisierung der Produktion letztlich auch mit dem Einsatz von Wasserstoff einhergehen wird. Im Moment steckt die Wasserstofftechnologie aber noch in ihren Kinderschuhen und ist noch nicht über das Niveau kleiner Pilotanlagen hinausgekommen. Aus diesem Grund prüfen wir auch Optionen, um beispielsweise mehr Schrott in unserer Stahlproduktion einzusetzen. Eine andere Technologie, die viel früher zum Tragen kommen wird, ist die Abscheidung, Nutzung und Speicherung von Kohlenstoff (Carbon Capture, Usage and Storage/CCUS). Wir sehen dies ganz klar als Übergangslösung, bis wir andere Technologien wie Wasserstoff und Direktreduktion nutzen können. Aber wir müssen schnell CO2 einsparen – und zwar heute und morgen und nicht erst in zehn Jahren.
marketSTEEL: Gibt es Unterschiede bei den Dekarbonisierungsstrategien in Tata Steel's Werken in den Niederlanden und in Großbritannien?
Dr. Henrik Adam: Es gibt entscheidende Unterschiede, weil wir auf die individuellen Bedingungen jedes Werks und Standorts eingehen müssen. Das liegt an den unterschiedlichen Regionen, in denen diese liegen, aber auch an den spezifischen Plänen der jeweiligen Länder zur CO2-Reduktion. Das sind wichtige Faktoren für alle Stahlproduzenten. Die Tatsache, dass etwas an einem Ort sehr gut passt, bedeutet nicht unbedingt, dass es auch an einem anderen Ort die optimale Lösung ist. Um beim Beispiel CCUS zu bleiben: In den Niederlanden ist Tata Steel Partner des Athos-Konsortiums. Dieses hat sich zum Ziel gesetzt, eine Infrastruktur zu schaffen, die die Nutzung oder Speicherung von CO2 unterhalb der Nordsee ermöglicht. Im Gegensatz dazu arbeiten wir in Großbritannien mit anderen Partnern zusammen, um sowohl die Abscheidung als auch den Transport von CO2 in Südwales zu prüfen.
Unsere Strategie zur Optimierung unserer Energieeffizienz ist an beiden Standorten ähnlich. Das ist natürlich an jedem Standort wichtig, aber der Weg dorthin ist unterschiedlich. In IJmuiden speisen wir zum Beispiel seit Anfang 2021 das Kühlwasser des Standortes in ein lokales System zur Abwärmeverteilung ein. In Port Talbot arbeiten wir mit dem örtlichen Kraftwerk zusammen, das unsere Prozessgase nutzt, um Wärme und Strom zu erzeugen. Aber wir setzen auch auch neben der Stahlproduktion selbst an. Hier gibt es ungemein viele Potenziale, die wir deutlich schneller heben können – auch wenn solche Bereiche in der öffentlichen Diskussion derzeit weniger im Vordergrund stehen.
marketSTEEL: Was meinen Sie mit "weniger im Vordergrund"?
Dr. Henrik Adam: Natürlich ist es richtig und wichtig, die Stahlproduktion zu dekarbonisieren. Aber das wird Zeit, Innovationen und Investitionen brauchen. Wir bei Tata Steel betrachten aber auch den gesamten Lebenszyklus unserer Produkte. Zum Beispiel sind die Sektoren Transport sowie Wohn- und Geschäftsgebäude für ein Drittel aller globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Wir wissen, dass Stahl der Schlüssel ist, um unsere Gesellschaft klimaneutral zu gestalten. Und als Stahlunternehmen sind wir eben Schlüssellieferant für all die Sektoren, die alles dafür geben, dieses Ziel zu erreichen.
Wir spielen also eine wichtige Rolle dabei, sie bei ihrer Reise in eine kohlenstoffneutrale Zukunft zu unterstützen. Wir können helfen, den Transport- und Gebäudebereich CO2-ärmer zu machen, weil wir mit verschiedenen Industrien zusammenarbeiten können. Um ehrlich zu sein, ist es das, was unsere Kunden von uns verlangen. Und deshalb berücksichtigt unsere Lebenszyklusanalyse den gesamten Weg unseres Produkts: Wenn es hergestellt wird, wenn es benutzt wird und wenn es das Ende seiner Lebensdauer erreicht hat.
marketSTEEL: Und wie wird das bei Tata Steel in Europa konkret umgesetzt?
Dr. Henrik Adam: Das Wichtigste ist zunächst einmal, dass wir stets in enger Abstimmung mit unseren Kunden stehen. Diesen Ansatz verstehen wir eindeutig als gemeinsames Netzwerk. Darüber hinaus gehen wir sehr unterschiedliche Projekte an, zum Beispiel in unserer Logistik. Letztes Jahr haben wir unser "Zero Carbon Logistics Framework" eingeführt. Dieses hilft uns bei dabei, unsere Lieferketten zu dekarbonisieren. Um dieses Rahmenwerk einzuführen, hat Tata Steels Outbound-Logistik über anderthalb Jahre damit verbracht, eine ausführliche Listung all unserer Emissionsfaktoren aufzustellen. Jetzt haben wir die Möglichkeit, sowohl aktuelle als auch potenzielle Emissionen zu berücksichtigen. Das erlaubt es uns, ganze Prozesse abzubilden und dadurch Emissions-Hotspots zu identifizieren. Das wiederum erlaubt es uns, Kunden nicht nur mit umfassendem Wissen zu versorgen, sondern auch eigene Schlüsse zu ziehen.
Daraus ergeben sich zum Beispiel neue Partnerschaften, wie mit DB Cargo in Großbritannien. Gemeinsam arbeiten wir daran, unsere Güter auf der Schiene mit Zügen zu transportieren, die mit dem emissionsarmen Biokraftstoff HVO fahren. Im Vergleich zu herkömmlichem Diesel kann dieser den CO₂-Ausstoß um bis zu 90 Prozent senken. Gleichzeitig prüfen wir, wie wir die Größe und das Gewicht der Züge erhöhen können, um die Anzahl der erforderlichen Fahrten zu reduzieren. Derzeit macht die Logistik vier bis fünf Prozent unserer CO2-Emissionen aus. Hier liegt in den nächsten Jahrzehnten großes Einsparpotenzial. Und es ist eines, das wir schon jetzt realisieren können.
Aber bei allen Möglichkeiten müssen wir natürlich auch die Kosten im Blick behalten. Wir schaffen derzeit ein größeres Bewusstsein für die Emissionshandelssysteme der EU und Großbritanniens und dafür, wie diese die Kohlenstoffkosten bei der Stahlerzeugung beeinflussen. Die zunehmende Verknappung und die steigenden Preise für Emissionsrechte bedeuten, dass alle Stahlhersteller mit wachsenden Kosten für Kohlenstoff umgehen und gleichzeitig massiv in eine dekarbonisierte Zukunft investieren müssen. Um die Klimaziele der EU zu erfüllen sowie auch in Zukunft eine nachhaltige Stahlwertschöpfungskette in der EU und in Großbritannien sicherzustellen, müssen wir solche Kosten weitergeben.