Stahlpreise im Hochseilakt – Ausblick auf das Jahr 2018

von Dagmar Dieterle

Am Ende des Jahres 2017 liegen die Stahlpreise bei Flachprodukten überwiegend etwas niedriger und bei Langprodukten deutlich höher als vor einem Jahr. Der kurzfristige Preistrend weist bei vielen Erzeugnissen nach oben. Gemessen an den Rohstoffkosten liegen die Stahlpreise aber schon jetzt auf einem unüblich hohen Niveau. Dies spiegelt sich wider in den Geschäftsabschlüssen der Stahlhersteller, von denen viele die seit Jahren höchsten Gewinne aufweisen. Wird sich die Hochpreisphase im Jahr 2018 fortsetzen? Oder wird der Hochseilakt ein jähes Ende finden? Einschätzungen dazu enthält der Marktausblick für das Jahr 2018.   

Angesichts zahlreicher Unwägbarkeiten sollten Stahleinkäufer das Jahr 2018 auf Basis unterschiedlicher Szenarien und nach Möglichkeit „auf Sicht“ planen. Es gibt durchaus eine gute Chance, dass es im Verlauf des neuen Jahres wieder zu niedrigeren Preisen kommt. Denn das aktuelle Stahlpreisniveau ist zu einem erheblichen Teil auf Entwicklungen am chinesischen Stahlmarkt zurückzuführen. Die wichtigste Frage für das Jahr 2018 lautet daher, wie es in China weitergeht. Hier ist der Überblick:

  1. „Black Box China“ macht ihrem Namen alle Ehre  
    Die von politischen Einflüssen geprägte Marktentwicklung in China war die größte Überraschung des Stahljahres 2017. Die unerwartet hohe Stahlnachfrage in Verbindung mit umfassenden Kapazitätsschließungen haben die chinesischen Stahlpreise auf ein Mehrjahreshoch geführt und zu deutlich niedrigeren Exporten beigetragen. Dies hat die Stahlpreisentwicklung weltweit unterstützt. Die über den Umweg der Importpreise bestehende, enge Anbindung auch des europäischen Marktes zeigt sich daran, dass der europäische Spotmarktpreis für Warmbreitband auf Dollarbasis weitgehend im Einklang mit den chinesischen Inlandspreisen gestiegen ist. 
  1. Stahlmarkt China – Kommt die Korrektur?
    Leider ist der wichtigste Einflussfaktor für das Jahr 2018 zugleich der am schwersten einzuschätzende. Politisierung, hoher Börseneinfluss, mangelnde Datenqualität – diese Merkmale des chinesischen Marktes sind eher noch stärker geworden. Dies setzt ein großes Fragezeichen hinter jede Prognose für 2018. Bis zum März wird der Markt unter dem Einfluss der behördlich verordneten Produktionskürzungen stehen, deren Auswirkungen nach wie vor unklar sind und zur Spekulation einladen. In dieser Zeit dürften je nach Nachrichtenlage Preisausschläge in beide Richtungen an der Tagesordnung sein, wobei die Chance für deutlich niedrigere Preise gering ist.

    Für das Gesamtjahr werden dann aber ein etwas schwächeres Wirtschaftswachstum und eine weitgehend stagnierende Stahlnachfrage erwartet. Insbesondere die Nachfragedynamik aus dem wichtigen Baubereich dürfte wegen nachlassender staatlicher Impulse schwächer werden. Die große Frage ist, ob in China erneut das Kunststück gelingen wird, trotz nominell riesiger Überkapazitäten eine knappe Versorgung mit Stahl entstehen zu lassen. Ich halte das für unwahrscheinlich. Denn die Schließung der Induktionsöfen in 2017 war ein Einmaleffekt und es sind keine weiteren Kapazitätskürzungen in größerem Umfang angekündigt. Chinesische Stahlhersteller verdienen derzeit gutes Geld und werden die Erzeugung daher ausweiten wollen. Das aus meiner Sicht unter allen Szenarien für 2018 wahrscheinlichste ist es daher, dass es im Jahresverlauf zu einem Überangebot und zu sinkenden Stahlpreisen kommen wird. Ab dem (späten) Frühjahr scheint eine Preiswende möglich.
  2. Rohstoffpreise: Rückgang in Sicht
    Die derzeit vorliegenden Rohstoffpreisprognosen gehen überwiegend von einem schwächeren chinesischen Wachstum und von auf Jahressicht nachgebenden Rohstoffpreisen aus. Preisrückgänge sind zwar kurzfristig eher nicht zu erwarten, dürften sich aber im späteren Verlauf des Jahres 2018 zeigen. Die Schwankungsbreite wird voraussichtlich hoch bleiben. Aus fundamentaler Sicht werden für hochwertige Kokskohle ab Australien derzeit im Jahresmittel Preise zwischen 120,- und 180,- $/t erwartet. Dies wäre ein Rückgang um ca. 20% gegenüber 2017. Bei Eisenerz werden Preise zwischen 50,- und 70,- $/dmt vorhergesagt, was einem Rückgang um ca. 15% entspricht. Die Rohstoffkosten der Hochofenroute könnten damit insgesamt im kommenden Jahr um ca. 30,- bis 40,- €/t niedriger ausfallen als 2017. Die Schrottpreise werden sich im Vergleich zu Eisenerz wahrscheinlich etwas fester zeigen, könnten aber im Jahresmittel ebenfalls sinken. Im Langprodukte- und Edelstahlbereich sind neben den Schrottpreisen als weiterer Kostenfaktor die Preise für Graphit-Elektroden hinzukommen. Der dortige Preisanstieg im Jahr 2017 wird sich im gesamten kommenden Jahr kostenerhöhend auswirken, wenn auch in individuell unterschiedlichem Ausmaß.
  3. Stahlnachfrage: Aufwärtstrend setzt sich fort
    Aufgrund der guten Konjunkturentwicklung sollte der Stahlbedarf im kommenden Jahr weiter zulegen. Der europäische Stahlverband Eurofer hat im Oktober ein Wachstum des EU-Stahlbedarfs um 1,5% prognostiziert. Dieser Wert scheint eher etwas zu niedrig angesetzt. Zuwächse könnten auf breiter Basis aus nahezu Abnehmerbranchen kommen. Die lagerzyklischen Effekte, die den Markt 2017 stark beeinflusst haben, dürften wesentlich schwächer ausfallen. Zu erwarten ist der übliche saisonale Verlauf mit einem stärkeren ersten Quartal und einer nachfolgenden Abschwächung.

    Vergessen werden darf aber nicht: 2017 liegt der EU-Stahlverbrauch immer noch um ca. 40 Mio. Tonnen oder 20% unter dem Spitzenniveau des Jahres 2007. Die Ergebnisverbesserungen vieler Stahlhersteller sind mehr den hohen Preisen als einem Absatzboom geschuldet.  Der EU-Stahlmarkt insgesamt befindet sich nicht in einer Boomphase, wobei die Situation bei den einzelnen Erzeugnissen unterschiedlich ist. Auch die Nachfrageniveaus in den einzelnen EU-Ländern unterscheiden sich erheblich.
  4. EU-Erzeugung: Luft nach oben   
    Aktuell dominieren werksseitige Aussagen über eine gute bis sehr gute Buchungslage und Meldungen von Verarbeitern über die bei manchen Erzeugnissen bestehenden Schwierigkeiten bei der Deckung von Zusatzbedarfen den Blick auf die Versorgungslage. Doch dies ist nur die halbe Wahrheit. Übersehen wird dabei oft, dass es in der EU nach wie vor erhebliche Überkapazitäten gibt. Zum Beispiel beziffert die EU-Kommission bei Warmbreitband die Differenz zwischen EU-Erzeugung und technischer Kapazität auf ca. 25 Mio. Tonnen. Davon könnten 7 Mio. Tonnen kurzfristig in Betrieb gebracht werden. Die Erfahrung zeigt, dass eine gute Ertragslage bisher zu steigender Erzeugung geführt hat. Bereits 2017 ist die Stahlerzeugung in einigen EU-Ländern kräftig gestiegen. Im kommenden Jahr wird sich dies mit einiger Wahrscheinlichkeit fortsetzen, wodurch sich die Angebots-Nachfrage-Relation am Gesamtmarkt verbessern wird.
  5. Importwettbewerb: Auf die Preise kommt es an
    Importe aus Drittländern haben über weite Strecken des Jahres kaum preislichen Druck auf die EU-Hersteller ausgewirkt. Grund dafür war das von China ausgehende hohe Preisniveau am Weltmarkt. Temporäre Preisrückgänge im Frühjahr haben aber gezeigt, dass der Wettbewerbsmechanismus im Prinzip noch intakt ist. Vor allem bei Flachstahl haben die harten Antidumping-Entscheidungen der EU zu temporären Versorgungsschwierigkeiten beigetragen. So haben Zölle bei verzinkten Blechen und Warmbreitband zu Vorratsbuchungen und zu einer Umlenkung von Buchungen auf die EU-Hersteller geführt. Es ist zu erwarten, dass dieser Effekt 2018 nachlassen wird. Wie es bereits bei anderen Erzeugnissen zu beobachten war, dürfte sich der Markt nach einer gewissen Übergangszeit auf die Zölle eingestellt haben. Neue Lieferländer können die ausgesperrten Mengen wenigstens zu einem guten Teil ersetzen. Die Importmengen der EU werden voraussichtlich nicht weiter steigen, aber auch nicht deutlich sinken. Immerhin wäre damit aus Sicht der Werke ein jahrelanger Negativtrend gestoppt.

    Die Protektionismus-Welle am Stahlmarkt ist noch nicht vorbei. Auf Basis eines verschärften Antidumping-Rechts und auf Druck der Stahlindustrie könnte die EU neue Verfahren einleiten. Die Ergebnisse der „section 232“-Untersuchung der USA könnten eine Kettenreaktion mit unabsehbaren Folgen auslösen. Für Stahlverarbeiter bestehen damit auf der Importseite weiter Risiken.
  6. Stahlpreise: Hohes Niveau nur mit Weltmarkt-Unterstützung zu halten
    Die EU-Nachfragesituation hat sich in den vergangenen beiden Jahren zweifellos gebessert. Auch die Antidumpingpolitik und die zunehmende Konsolidierung wirken tendenziell preiserhöhend. Trotzdem: derzeit scheint die Stimmung besser als die wirkliche Lage. Der EU-Stahlmarkt ist alleine nicht stark genug, um das derzeitige hohe Preisniveau ohne Unterstützung des Weltmarktes zu halten. Falls es in China 2018 tatsächlich zu einer Preiswende kommt, wird dies auch in der EU deutlich zu spüren sein. Die Eintrittswahrscheinlichkeit dafür liegt aus meiner Sicht mindestens bei 50%. Die potenzielle Fallhöhe ist nicht gering und wird dadurch markiert, dass sich die Stahlpreise in einem absolut unüblichen Maße von den Rohstoffkosten entkoppelt haben.

    Im nächstwahrscheinlichen Szenario bleibt die Enge am chinesischen Markt über weite Strecken des Jahres 2018 bestehen und zieht auch die Rohstoffpreise höher als es heute erwartet wird. Dann würde das jetzige Preisniveau unter Schwankungen weitgehend erhalten bleiben. Dass die Stahlpreise im Jahresmittel 2018 nochmals steigen werden, ist ziemlich unwahrscheinlich in einem Umfeld, das von hohen Überkapazitäten und voraussichtlich nachlassender Nachfragedynamik geprägt ist.

 

Der Beitrag stammt vom Leverkusener Stahlmarkt-Berater Andreas Schneider, StahlmarktConsult. Foto: StahlmarktConsult

Der Gastkommentar spiegelt die Meinung des Autors wider, nicht notwendigerweise die der Redaktion von marketSTEEL.

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