„Schutzschirmverfahren“ und „Eigenverwaltung“ als Sanierungsoption – Ein Ausweg aus der Krise?
Die COVID-19-Krise hat Deutschland wirtschaftlich erschüttert und auch in der Stahl- und metallverarbeitenden Industrie zu einem (weiteren) Rückgang der Nachfrage geführt.
Dass die Stahlbranche sich im Umbruch befindet, war jedoch bereits vor COVID-19 unverkennbar, so dass der „Lockdown“ und der damit zusammenhängende Produktionsstopp sowie die zahlreichen Werksschließungen insbesondere in der Automobilbranche die jetzige Krise nicht hervorgerufen, sondern verstärkt haben.
Unerwartete Umsatzeinbußen und schnelle Veränderungen im Markt können selbst bei jahrzehntelang wirtschaftlich klug geführten und etablierten Unternehmen kurzfristig zu einer Liquiditätskrise führen und folglich auch eine gesetzliche Insolvenzantragspflicht hervorrufen. Denn die in § 15a InsO geregelte Pflicht gilt für alle Geschäftsleiter juristischer Personen (z.B. GmbH, AG, GmbH & Co. KG oder Genossenschaft) gleichermaßen, und zwar wieder ab dem 01. Oktober 2020.
Bei Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ist grundsätzlich unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb einer Höchstfrist von drei Wochen ein Insolvenzantrag zu stellen. Erfolgt dies nicht, kann die Geschäftsleitung in einem späteren Insolvenzverfahren persönlich in Haftung genommen werden, was regelmäßig zur Privatinsolvenz der Geschäftsleiter führt. Auch strafrechtliche Ermittlungen im Falle einer Insolvenzverschleppung sind regelmäßige Folge einer verspäteten/unterlassenen Antragstellung. Besonders brisant ist die Tatsache, dass die vorgenannten Ansprüche im Falle einer Insolvenz „rückwirkend“ geltend gemacht werden können, also für eine unterlassene Antragstellung, die regelmäßig mehrere Jahre zurückliegt. Dies gilt es jedoch frühzeitig zu verhindern.
Glücklicherweise gibt es in Deutschland diverse Möglichkeiten, um in Krisensituationen Unterstützungsleistungen zu erhalten und die vorgenannte Insolvenzantragspflicht zu verhindern. Bekannteste Beispiele sind das Kurzarbeitergeld sowie diverse Förder- und Überbrückungskredite. Die Bunderegierung hat in den letzten Monaten zahlreiche weitere Maßnahmen auf den Weg gebracht (z.B. Soforthilfe-Programme, Stundungsmöglichkeiten bei Mieten, Sozialversicherungsbeiträgen, Steuern, Senkung der Umsatzsteuer). Insbesondere die bedingt durch COVID-19 gesetzlich geschaffene Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30. September 2020 ermöglicht es betroffenen Unternehmen die Folgen der COVID-19-Krise zeitweise abzufedern.
Die Unternehmen sowie deren Geschäftsleiter und Berater haben unlängst erkannt, dass die vorgenannten zahlreichen Maßnahmen in den meisten Fällen eine lediglich temporäre Wirkung haben. Denn Kredite und gestundete Forderungen müssen irgendwann zurückgezahlt werden. Der „entgangene“ Umsatz hingegen kann nicht kompensiert werden. Spätestens sobald die Kredite und die gestundeten Forderungen fällig (gestellt) werden, muss sich jeder Geschäftsleiter erneut mit der o.g. Insolvenzantragspflicht befassen.
Da die o.g. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht am 30. September 2020 endet und es bislang keine Gewissheit darüber gibt, dass die Frist verlängert wird (was nochmal bis zum 31. März 2021 möglich ist), sollte die Geschäftsleitung jedes Unternehmens bereits jetzt frühzeitig die Liquiditätsentwicklung überwachen und Sanierungsoptionen prüfen.
Bei der Prüfung der Sanierungsoptionen sollte dabei die Möglichkeit eines in Eigenregie geführten „Schutzschirmverfahrens“ oder „Eigenverwaltungsverfahrens“ in Betracht gezogen werden. Beide Verfahrensarten bieten die Möglichkeit, Liquiditätsprobleme und Altlasten nicht nur temporär, sondern dauerhaft zu regulieren und das Unternehmen zu entschulden sowie neu aufzustellen.
Schutzschirmverfahren/Eigenverwaltung
Seit dem 1. März 2012 bietet das Gesetz (ESUG) jedem Unternehmen die Möglichkeit, unter einem gesetzlichen Schutzschirm und unter gerichtlicher Aufsicht einen Sanierungsplan zu erstellen, der anschließend in Abstimmung mit den Gläubigern umgesetzt werden kann. Gleichzeitig wird das Unternehmen für den Zeitraum der Sanierung dem unmittelbaren Zugriff seiner Gläubiger entzogen, etwaige Vollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern und Behörden werden eingestellt/ausgesetzt.
Während das Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) bereits dann in Betracht kommt, wenn lediglich Überschuldung oder eine drohende (also eine in der Zukunft absehbare) Zahlungsunfähigkeit vorliegt, ist die Eigenverwaltung (§ 270a InsO) auch bei bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung möglich.
Beide Verfahrensarten müssen grundsätzlich beim am Sitz des Unternehmens zuständigen Amtsgericht beantragt werden. Bei Unternehmensgruppen ist die Begründung eines gemeinsamen „Gruppen-Gerichtsstands“ möglich.
Im Rahmen der Antragstellung muss bescheinigt werden können, dass der Antrag bzw. die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos sind. Soweit die Voraussetzungen für ein Schutzschirm-/ und Eigenverwaltungsverfahren vorliegen, bleibt die Geschäftsleitung weiterhin im Amt und kann die Geschicke des Unternehmens weiter lenken. Ein Verfahren dauert erfahrungsgemäß ca. sechs bis zehn Monate und ist in allen Branchen sowie bei Unternehmen aller Art und Größe durchführbar.
Sanierungs-/Liquiditätseffekte:
Beide vorgenannten Verfahrensarten bieten diverse Sanierungseffekte, die wesentlichen werden nachfolgend skizziert:
- Das Unternehmen hat im Rahmen des Schutzschirmverfahrens/der Eigenverwaltung die Möglichkeit, sich von Altverbindlichkeiten (z.B. Darlehen/Krediten oder gestundeten Forderungen) mithilfe eines Sanierungsplans nahezu vollständig zu lösen. Forderungsverzichte von über 90 % sind bei den Gläubigern regelmäßig zu erreichen. Dadurch wird die Bilanz saniert;
- Löhne/Gehälter müssen für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten vom Unternehmen nicht bezahlt werden, was regelmäßig einen sehr großen Liquiditätseffekt für das Unternehmen zur Folge hat;
- Langjährige Dauerschuldverhältnisse (z.B. Miet- und Leasingverträge) können mit kurzen Fristen gekündigt werden;
- Steuern (Umsatzsteuer, Lohnsteuer) und Sozialversicherungsbeiträge müssen in einem Zeitraum von mehreren Monaten nicht abgeführt werden;
- Die Geschäftsleitung bleibt während des gesamten Sanierungsverfahrens im Amt und kann die Sanierung des Unternehmens, zusammen mit den Beratern, selbst (mit-)gestalten. Während des gesamten Verfahrens wird das Unternehmen rechtlich und auch betriebswirtschaftlich (Liquiditätsplanung, Erstellung eines Sanierungskonzeptes) beraten;
- Gesellschaftsrechtliche Regelungen jeglicher Art (z.B. Verkäufe von Geschäftsanteilen, Share Deals/ Asset Deals), können bei Bedarf im Rahmen des Sanierungsplans vereinfacht umgesetzt werden;
- Umstrukturierungen im Personalbereich sind regelmäßig unter vereinfachten Bedingungen/kotengünstiger möglich;
- Banken, Lieferanten, Behörden und sonstige Gläubiger werden in dem Schutzschirm-/Sanierungsverfahren regelmäßig eng eingebunden und sind daher oft zu Forderungsverzichten bereit, um die Sanierung des Unternehmens zu unterstützen;
- Die gesamten Verfahrens- und Beratungskosten können aufgrund der vorgenannten Liquiditätseffekte vom Unternehmen getragen werden.
Fazit
Jedes Unternehmen sollte bereits jetzt seine Liquidität über September 2020 hinaus planen und bei der Prüfung von Sanierungsoptionen die o.g. Möglichkeiten frühzeitig in Betracht ziehen. Die Unterstützung von spezialisierten Beratern ist dabei unerlässlich, denn es gibt zahlreiche rechtliche Hürden zu beachten. Von einer vom Unternehmen eigenständig durchgeführten und unvorbereiteten Antragstellung ist abzuraten. Denn Schutzschirmverfahren und Eigenverwaltung bedürfen einer gründlichen Vorprüfung/Vorbereitung und stellen zwar eine gute, hilfreiche, gesetzlich geregelte Sanierungsoption dar, sind jedoch nicht per se für alle Unternehmen das beste Sanierungsinstrument.
Zum Verfasser des Artikels:
RA Zdanowicz von der Düsseldorfer Wirtschaftskanzlei Hoffmann Liebs ist seit 2010 spezialisiert auf die Sanierung-/Restrukturierungberatung, insb. im Rahmen von Schutzschirm- und Eigenverwaltungsverfahren. Dabei begleitet er Unternehmen auch als Generalbevollmächtigter/CRO und zwar bereits im Vorfeld einer Antragstellung bis hin zur Verfahrensaufhebung. Er hat in den letzten Jahren diverse Unternehmen bei der Sanierung erfolgreich unterstützt.
Foto: Hoffmann Liebs