Preisrutsch am Stahlmarkt – auch in Deutschland?

von Dagmar Dieterle

Der internationale Stahlmarkt war im November von kräftigen Preisrückgängen geprägt. Am hiesigen Markt zeigen sich die Spotmarktpreise zwar noch vergleichsweise robust, haben aber vor allem bei Flacherzeugnissen ebenfalls nachgegeben. Auch in Deutschland haben die Stützungsfaktoren an Kraft verloren. Während viele marktseitige Faktoren für die Einkaufsseite sprechen, ist die noch ausstehende Entscheidung in der Schutzmaßnahmenuntersuchung der EU der politische „Elefant im Raum“. Lesen Sie eine Einschätzung zur aktuellen Situation.

Am Weltmarkt hat sich das Bröckeln der Vorwochen im November in einen veritablen Preisrutsch gewandelt. Die Preise für Halbzeuge und Walzstahl sind unter gehörigen Druck geraten. Nachdem ab dem Spätsommer niedrigere Preise in vielen Fällen von der Türkei ausgingen, waren zuletzt vor allem in China massive Preisrückgänge zu verzeichnen. Diese haben sich über den Exportmarkt in viele Regionen der Welt ausgebreitet. Am asiatischen Markt haben die Exportpreise für Warmbreitband in vielen Fällen 480,- $/t erreicht und liegen somit ca. 100,- $/t niedriger als zur Jahresmitte. Die Marktstimmung ist aktuell stark negativ und mit einer schnellen Erholung rechnet kaum jemand. Die Zweifel an der Nachhaltigkeit der seit 2017 andauernden Hochpreisphase scheinen sich zu bestätigen.

Die Preisrückgänge des Weltmarktes sind auch am EU-Importmarkt klar zu spüren, wo sich die Preise in den vergangenen Wochen spürbar nach unten bewegt haben. Neben dieser direkten Wirkung dürfte die verschlechterte Stimmung auch dazu führen, dass die zum Jahresende traditionell ausgeprägte Kaufzurückhaltung am Spotmarkt noch verstärkt wird. Dazu dürften auch die überdurchschnittlich hohen Lagerbestände des Handels beitragen.

Nicht nur zyklische Einflüsse dämpfen die Nachfrage, sondern auch der reale Bedarf schwächelt. In Deutschland ist die Nachfrage nach der Sommerpause nicht richtig in Gang gekommen. Die offenbar spürbar niedrigen Bedarfe aus der Automobilindustrie lasten vor allem auf dem Flachstahlmarkt. Ob es nach Bewältigung der WLTP-Umstellung zu einer Gegenreaktion kommt, ist schwer einzuschätzen. Aktuell mehren sich die Zeichen dafür, dass eine schnelle Besserung nicht unbedingt zu erwarten ist.

Die rückläufigen Stahlpreise führen zu niedrigeren Margen der Stahlhersteller, was wiederum auf die Rohstoffpreise drückt. Die Preise für Eisenerz haben zuletzt klar nachgegeben. Bei Kokskohle scheint zumindest der jüngste Aufwärtstrend gestoppt. Am Schrottmarkt sind die Preise in Deutschland im November zwar nochmals etwas gestiegen. Der türkische Importmarkt zeigte sich zuletzt aber schwächer.

Damit sprechen wichtige marktseitige Einflüsse dafür, dass die Stahlpreise in den kommenden Wochen weiter nachgeben werden. Dies gilt für Flachprodukte stärker als für baunahe Langprodukte, die derzeit nachfrage- und kostenseitig besser abgestützt scheinen. Zudem sind bei vielen Langprodukten die von der EU festgelegten zollfreien Importkontingente stärker ausgeschöpft als bei Blechen. Bei Walzdraht dürften die EU-Kontingente demnächst sogar ganz ausgeschöpft sein, was den Importwettbewerb reduzieren wird.

Das größte Risiko aus Sicht des Stahleinkaufs liegt in der näher rückenden endgültigen Entscheidung der EU-Kommission in der laufenden Schutzmaßnahmenuntersuchung. Diese muss spätestens Anfang Februar erfolgen, kann aber auch schon vorher bekannt gegeben werden. Dabei ist nicht nur eine einfache Fortschreibung, sondern auch eine Neugestaltung der vorläufigen Maßnahmen denkbar. So drängt die Stahlindustrie auf die Zuteilung von Importkontingenten auf einzelne Lieferländer entsprechend „historischer“ Lieferströme. Dies wäre aus Verarbeitersicht vor allem bei Flachstahl im Zusammenspiel mit den zahlreichen bestehenden Antidumping-Maßnahmen eine Katastrophe. Nach StahlmarktConsult-Berechnungen würden die Importmengen um ca. 30% gegenüber dem Niveau des Jahres 2018 reduziert. Umgekehrt könnten verschiedene Flachprodukte auch ganz von den Maßnahmen ausgenommen werden, weil das Kriterium eines signifikanten Importanstiegs nicht erfüllt ist.

Je nach Ausgestaltung kann die EU-Entscheidung die Stahlpreise also positiv oder negativ beeinflussen. So oder so sind sie dazu geeignet, die Markteinflüsse jedenfalls kurzfristig zu überlagern.

 

Der Beitrag stammt vom Leverkusener Stahlmarkt-Berater Andreas Schneider, StahlmarktConsult. Foto: StahlmarktConsult

Der Gastkommentar spiegelt die Meinung des Autors wider, nicht notwendigerweise die der Redaktion von marketSTEEL.

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