Preis-Jo-Jo in China – bald wieder niedrigere Preise in der EU
von David Fleschen
Leverkusen, den 06. Juni 2016 - Am deutschen Markt sind die Spotpreise für Stahlerzeugnisse im Mai nochmals kräftig gestiegen. Damit ist nun bei den meisten Erzeugnissen der Verfall des Vorjahres mehr als ausgeglichen. Bei Flachstahl hat es einen solchen Preisanstieg in vergleichbar kurzer Zeit zuletzt Anfang 2011 gegeben. Am chinesischen Stahlmarkt und bei wichtigen Stahl-Rohstoffen ist seit Ende April aber die zu erwartende kräftige Preiskorrektur eingetreten. Damit ist die wichtigste Ursache für den starken Preisanstieg in der EU weggefallen. Dennoch ist fraglich, wann auch hierzulande die Prei-se wieder sinken werden.
Die chinesischen Inlandspreise für das Referenzprodukt Warmbreitband, die von November 2015 bis Ende April 2016 um ca. 70% auf umgerechnet ca. 480,- $/t explodiert waren, lagen Ende Mai noch knapp über 400,- $/t. Die chinesischen Exportpreise für Warmbreitband sind ab Ende April innerhalb von vier Wochen um ca. 25% gefallen. Die Preise für Halbzeug-Knüppel haben noch stärker nachgege-ben. Aktuell gehen die Preise weiter zurück. Damit hat sich zunächst bestätigt, dass das Preis-Hoch in China nur temporärer Natur war. Neben saisonalen Faktoren und lagerzyklischen Einflüssen hat auch der in China weit verbreitete Börsenhandel mit Stahl und Rohstoffen zu dem heftigen Auf und Ab beigetragen. Dieser kann auch künftig für unerwartete Preisausschläge sorgen.
Auch bei den Rohstoffen sind die Preise wieder gesunken. Der Referenzpreis für Eisenerz liegt derzeit wieder unter 50,-$/dmt, nachdem noch im April kurz an der Marke von 70,- $/t gekratzt worden war. Die internationalen Schrottpreise haben seit Mitte Mai ebenfalls den Rückwärtsgang eingelegt. Grund für die Preissprünge ist das von den chinesischen Halbzeugpreisen beeinflusste Einkaufsverhalten der türkischen Stahlwerke, die sich nun schon seit einigen Wochen weitgehend vom internationalen Schrottmarkt zurückgezogen haben.
Nach dem Muster der vergangenen Jahre sollten sinkende chinesische Stahlpreise und sinkende Roh-stoffpreise mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung über den Umweg sinkender Weltmarktnotierun-gen auch in der EU ankommen. In der Tat zeigt der Preisrückgang in China erste Wirkungen. Mit Aus-nahme des US-Marktes ist der Preisanstieg des Frühjahrs zum Stillstand gekommen und in Ländern wie Russland oder der Türkei sind erste Reduzierungen der Exportnotierungen zu beobachten. Dies gilt besonders für international gehandelte Langprodukte und entsprechende Halbzeuge, in schwäche-rem Maße auch für Flachprodukte.
Mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung sollten eigentlich ab dem Sommer niedrigere Weltmarkt- und Importpreise auch in der EU zu wieder sinkenden Preisen führen. Allerdings bleibt abzuwarten, inwieweit dieser Mechanismus vor dem Hintergrund der zahlreichen EU-Antidumpingmaßnahmen tatsächlich funktionieren wird. Generell könnte der am Welt-Stahlmarkt derzeit tobende Handelskrieg mit seinen teilweise unverhohlen protektionistischen Maßnahmen die Spielregeln am globalen Stahl-markt grundlegend verändern. Es droht eine Re-Regionalisierung, deren Wirkungen noch nicht über-schaubar sind.
Gerade für die in den kommenden Wochen im Industriegeschäft zu erneuernden Halbjahresverträge ist die Frage spannend, ob es am EU-Spotmarkt bereits relativ kurzfristig zu wieder etwas niedrigeren Preisen kommen wird. Bisher ist bei Flachstahl zwar zu beobachten, dass der Preisauftrieb an Dynamik verloren hat. Zudem ist der Preisrückgang in China und bei den Rohstoffen von den Marktteilnehmern genau wahrgenommen worden und wird nicht ohne Auswirkungen auf die Markterwartungen für das zweite Halbjahr bleiben. Zu Preisreduzierungen ist es aber bisher allenfalls bei einzelnen Langproduk-ten gekommen. Eher scheint sich aktuell eine Stabilisierung abzuzeichnen.
Ohne die Rückkehr von mengen- und preismäßigen Alternativen auf der Importseite wird eine Preis-korrektur am EU-Markt nur schwer in Gang kommen. Zudem muss abgewartet werden, ob die Auslas-tung der EU-Hersteller tatsächlich so gut ist, wie es in den vergangenen Wochen am Markt kommuni-ziert wurde. Dies wird die Bereitschaft zu möglichen Preiszugeständnissen maßgeblich beeinflussen.
Der Beitrag stammt vom Leverkusener Stahlmarkt-Berater Andreas Schneider, StahlmarktConsult. Foto: StahlmarktConsult
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